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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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sinnliche Ausschweifungen Schopenhauers in Betracht kommen, dafür sind wir
ihm dankbar; aber es scheint doch, als ob auch ein ernsteres Verhältniß
sich hier gebildet habe. Ein Brief Ateles an ihren Bruder läßt darüber keinen
Zweifel: "Deine Geschichte," schreibt sie, "fängt an mich zu interessiren, möge
sie glücklich enden, -- die Geliebte ist reich, sie ist von Stande gar, und doch
meinst Du, sie werde Dir folgen wollen?" Daß die Geschichte aber nicht glück¬
lich enden werde, mochte sie wohl ahnen; "doch thut mir's innerlich recht weh,"
-- fährt sie fort; "daß in Deinem einen Briefe zwei Liebesgeschichten sind ohne
Liebe und Alles dies doch nicht ist, was ich Dir gewünscht hätte."

Indessen urtheilte sie bald darauf doch anders, es scheint, daß sie ans
einem späteren Briefe des Bruders den Eindruck gewonnen hatte, daß ein
tieferes Gefühl ihn erfüllte. "Nie habe ich, fagt sie, eine solche Leidenschaft
in Dir für möglich gehalten."

Der Zusammenbruch eines Danzigers Hauses, welchem die Mutter den
Rest, die Schwester den größten, Arthur nur einen kleinen Theil des Ver¬
mögens anvertraut hatte, rief diesen in die Heimath zurück. Durch große
Entschiedenheit gelang es ihm, den ihm drohenden Verlust abzuwenden, wäh¬
rend Mutter und Schwester auf einen ihnen sehr unvorteilhaften Akkord
eingingen. Berührt es angenehm, daß Schopenhauer sich erbot, seinen Besitz
mit deu Seinen zu theilen, -- was übrigens von diesen abgelehnt wurde, --
so wird dieser günstige Eindruck sofort wieder verwischt, wenn wir hören, daß
die Verhandlungen, die bei dieser Gelegenheit stattfanden, einen zehn Jahre
währenden Konflikt mit seiner Schwester einleiteten. In dem Augenblick, in
welchem Adele die schwersten Opfer brachte, in dem sie und die Mutter das
Band zerissen, das sie mit dem Weimar'schen Kreise verknüpfte, um fern von
demselben ein neues Daheim zu gründen, brachte es Schopenhauer fertig, seiner
Schwester vorzuwerfen, daß sie mehrere Heirathsanträge, denen sie keine innere
Neigung entgegen bringen konnte, abgelehnt hatte, und sie mit dem Argwohn
zu verletzen, daß sie auf den Akkord nur deshalb eingegangen sei, weil er ihr
ganz besondere Vortheile sichere.

Auch auf die äußere Gestaltung seines Lebens war das pekuniäre Mi߬
geschick, das seine Familie traf, von Einfluß. So wie er die Nachricht von
demselben erhielt, war sein Entschluß gefaßt, die akademische Laufbahn zu
betreten. Nach mannichfcichem Schwanken zwischen den Universitäten Heidel¬
berg, Göttingen und Berlin wählte er letztere. Daß sein Auftreten hier mit
einem vollkommenen Mißerfolg endete, hatte er sich selbst zuzuschreiben. Er
legte es förmlich darauf an. In der Probevorlesung bezeichnete er die Philo¬
sophen nach Kant als Sophisten, welche irivits. Mnorva, durch unentwirrbare
Wortgeflechte, mit Geräusch und Gezänk zuerst die Aufmerksamkeit ihrer Zeit er-


sinnliche Ausschweifungen Schopenhauers in Betracht kommen, dafür sind wir
ihm dankbar; aber es scheint doch, als ob auch ein ernsteres Verhältniß
sich hier gebildet habe. Ein Brief Ateles an ihren Bruder läßt darüber keinen
Zweifel: „Deine Geschichte," schreibt sie, „fängt an mich zu interessiren, möge
sie glücklich enden, — die Geliebte ist reich, sie ist von Stande gar, und doch
meinst Du, sie werde Dir folgen wollen?" Daß die Geschichte aber nicht glück¬
lich enden werde, mochte sie wohl ahnen; „doch thut mir's innerlich recht weh,"
— fährt sie fort; „daß in Deinem einen Briefe zwei Liebesgeschichten sind ohne
Liebe und Alles dies doch nicht ist, was ich Dir gewünscht hätte."

Indessen urtheilte sie bald darauf doch anders, es scheint, daß sie ans
einem späteren Briefe des Bruders den Eindruck gewonnen hatte, daß ein
tieferes Gefühl ihn erfüllte. „Nie habe ich, fagt sie, eine solche Leidenschaft
in Dir für möglich gehalten."

Der Zusammenbruch eines Danzigers Hauses, welchem die Mutter den
Rest, die Schwester den größten, Arthur nur einen kleinen Theil des Ver¬
mögens anvertraut hatte, rief diesen in die Heimath zurück. Durch große
Entschiedenheit gelang es ihm, den ihm drohenden Verlust abzuwenden, wäh¬
rend Mutter und Schwester auf einen ihnen sehr unvorteilhaften Akkord
eingingen. Berührt es angenehm, daß Schopenhauer sich erbot, seinen Besitz
mit deu Seinen zu theilen, — was übrigens von diesen abgelehnt wurde, —
so wird dieser günstige Eindruck sofort wieder verwischt, wenn wir hören, daß
die Verhandlungen, die bei dieser Gelegenheit stattfanden, einen zehn Jahre
währenden Konflikt mit seiner Schwester einleiteten. In dem Augenblick, in
welchem Adele die schwersten Opfer brachte, in dem sie und die Mutter das
Band zerissen, das sie mit dem Weimar'schen Kreise verknüpfte, um fern von
demselben ein neues Daheim zu gründen, brachte es Schopenhauer fertig, seiner
Schwester vorzuwerfen, daß sie mehrere Heirathsanträge, denen sie keine innere
Neigung entgegen bringen konnte, abgelehnt hatte, und sie mit dem Argwohn
zu verletzen, daß sie auf den Akkord nur deshalb eingegangen sei, weil er ihr
ganz besondere Vortheile sichere.

Auch auf die äußere Gestaltung seines Lebens war das pekuniäre Mi߬
geschick, das seine Familie traf, von Einfluß. So wie er die Nachricht von
demselben erhielt, war sein Entschluß gefaßt, die akademische Laufbahn zu
betreten. Nach mannichfcichem Schwanken zwischen den Universitäten Heidel¬
berg, Göttingen und Berlin wählte er letztere. Daß sein Auftreten hier mit
einem vollkommenen Mißerfolg endete, hatte er sich selbst zuzuschreiben. Er
legte es förmlich darauf an. In der Probevorlesung bezeichnete er die Philo¬
sophen nach Kant als Sophisten, welche irivits. Mnorva, durch unentwirrbare
Wortgeflechte, mit Geräusch und Gezänk zuerst die Aufmerksamkeit ihrer Zeit er-


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[0212] sinnliche Ausschweifungen Schopenhauers in Betracht kommen, dafür sind wir ihm dankbar; aber es scheint doch, als ob auch ein ernsteres Verhältniß sich hier gebildet habe. Ein Brief Ateles an ihren Bruder läßt darüber keinen Zweifel: „Deine Geschichte," schreibt sie, „fängt an mich zu interessiren, möge sie glücklich enden, — die Geliebte ist reich, sie ist von Stande gar, und doch meinst Du, sie werde Dir folgen wollen?" Daß die Geschichte aber nicht glück¬ lich enden werde, mochte sie wohl ahnen; „doch thut mir's innerlich recht weh," — fährt sie fort; „daß in Deinem einen Briefe zwei Liebesgeschichten sind ohne Liebe und Alles dies doch nicht ist, was ich Dir gewünscht hätte." Indessen urtheilte sie bald darauf doch anders, es scheint, daß sie ans einem späteren Briefe des Bruders den Eindruck gewonnen hatte, daß ein tieferes Gefühl ihn erfüllte. „Nie habe ich, fagt sie, eine solche Leidenschaft in Dir für möglich gehalten." Der Zusammenbruch eines Danzigers Hauses, welchem die Mutter den Rest, die Schwester den größten, Arthur nur einen kleinen Theil des Ver¬ mögens anvertraut hatte, rief diesen in die Heimath zurück. Durch große Entschiedenheit gelang es ihm, den ihm drohenden Verlust abzuwenden, wäh¬ rend Mutter und Schwester auf einen ihnen sehr unvorteilhaften Akkord eingingen. Berührt es angenehm, daß Schopenhauer sich erbot, seinen Besitz mit deu Seinen zu theilen, — was übrigens von diesen abgelehnt wurde, — so wird dieser günstige Eindruck sofort wieder verwischt, wenn wir hören, daß die Verhandlungen, die bei dieser Gelegenheit stattfanden, einen zehn Jahre währenden Konflikt mit seiner Schwester einleiteten. In dem Augenblick, in welchem Adele die schwersten Opfer brachte, in dem sie und die Mutter das Band zerissen, das sie mit dem Weimar'schen Kreise verknüpfte, um fern von demselben ein neues Daheim zu gründen, brachte es Schopenhauer fertig, seiner Schwester vorzuwerfen, daß sie mehrere Heirathsanträge, denen sie keine innere Neigung entgegen bringen konnte, abgelehnt hatte, und sie mit dem Argwohn zu verletzen, daß sie auf den Akkord nur deshalb eingegangen sei, weil er ihr ganz besondere Vortheile sichere. Auch auf die äußere Gestaltung seines Lebens war das pekuniäre Mi߬ geschick, das seine Familie traf, von Einfluß. So wie er die Nachricht von demselben erhielt, war sein Entschluß gefaßt, die akademische Laufbahn zu betreten. Nach mannichfcichem Schwanken zwischen den Universitäten Heidel¬ berg, Göttingen und Berlin wählte er letztere. Daß sein Auftreten hier mit einem vollkommenen Mißerfolg endete, hatte er sich selbst zuzuschreiben. Er legte es förmlich darauf an. In der Probevorlesung bezeichnete er die Philo¬ sophen nach Kant als Sophisten, welche irivits. Mnorva, durch unentwirrbare Wortgeflechte, mit Geräusch und Gezänk zuerst die Aufmerksamkeit ihrer Zeit er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/212>, abgerufen am 01.09.2024.