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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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mung entsprechen, sie waren die Fäden, aus denen er den negativen Theil
seiner Philosophie wob. Aber auch der positiven Seite derselben gab Kant
die entscheidende Richtung. Ist er es doch, der dem Willen, dem ethischen
Faktor die Herrschaft im vernünftigen Sein des Menschen zuerkennt, ja der
sogar kein Bedenken trägt, denselben als das Ding an sich zu bezeichnen.*)

Von Göttingen ging Schopenhauer nach Berlin, und hier war es Fichte,
dessen System einen großen Einfluß auf ihn ausübte. Schopenhauer hat in
der wegwerfendsten Weise sich über dasselbe geäußert, ohne zu erkennen, daß
er sich in großer Abhängigkeit von demselben befinde, getäuscht durch den Ge¬
gensatz der philosophischen Methode, die vou ihm und von Fichte befolgt wurde.
In der That aber ist der Grundgedanke beider Systeme sehr verwandt. Die
fundamentale Differenz zwischen ihnen liegt darin, daß Schopenhauer das
ethische Element, die ethische Beleuchtung der Philosophie Fichte's beseitigt und
sie naturalistisch umgedeutet hat.

Schopenhauer machte, ohne es zu wissen, denselben Fortschritt vom Dua¬
lismus Kants zum Monismus, wie Fichte es gethan, indem sie beide vom
Ding an sich ausgingen, das in der praktischen Philosophie Kants den Schleier
etwas gelüftet, in welchen es in der theoretischen gehüllt ist; aber der eine ver¬
folgte den Weg des Naturalismus, der andere die Bahn des Ethicismus. Wie früh
die Abhängigkeit Schopenhauer's vou Fichte erkannt wurde, dafür hat Referent in
einem älteren Handbuch der Geschichte der Philosophie einen Beleg gefunden.
Rixner. Handbuch der Geschichte der Philosophie Sulzbach 1829. Bd. 3.
S. 351 bezeichnet Schopenchauer's Philosophie ausdrücklich "als eine spätere
Ausgeburt der Fichte'schen Jchlehre von ihrer negativen Seite."

Der Aufenthalt in Weimar im Winter 1813 zu 1814 sollte Schopen¬
hauer die letzten Anstöße zur Entwicklung seines Systems geben. Es war vor
allem die persönliche Beziehung zu Goethe, der im Hause seiner Mutter ver¬
kehrte, und dem er durch das Interesse für seine von ihm selbst allerdings
modifizirte Farbentheorie nahe trat, welche einen mächtigen Einfluß auf ihn
ausübte. Es ist wahrscheinlich, daß er durch Goethe Antriebe empfing, den
naturwissenschaftlichen Studien, denen er sich schon auf der Universität mit Eifer
gewidmet hatte, eine poetisch philosophische Gestalt zu geben, und Goethe



*) "Daß ein Ding in der Erscheinung (das zur Sinnenwelt gehörig) gewissen
Gesetzen unterworfen ist, von welchen eben dasselbe, als Ding oder Wesen an sich selbst,
unabhängig ist, enthält nicht den mindesten Widerspruch; daß er sich selbst aber auf diese
zwiefache Art vorstellen und denken müsse, beruht, was das erste betrifft, auf dem Bewußt¬
sein seiner selbst, als durch Sinne afficirten Gegenstandes, was das zweite anlangt, auf dem
Bewußtsein seiner selbst als Intelligenz, d. i. als unabhängig im Vernunftgebrauch von sinn¬
lichen Eindrücken (mithin als zur Berstandeswclt gehörig)." Kant, Grundlegung zur Meta¬
physik der Sitten. Riga 178S. S. 117.

mung entsprechen, sie waren die Fäden, aus denen er den negativen Theil
seiner Philosophie wob. Aber auch der positiven Seite derselben gab Kant
die entscheidende Richtung. Ist er es doch, der dem Willen, dem ethischen
Faktor die Herrschaft im vernünftigen Sein des Menschen zuerkennt, ja der
sogar kein Bedenken trägt, denselben als das Ding an sich zu bezeichnen.*)

Von Göttingen ging Schopenhauer nach Berlin, und hier war es Fichte,
dessen System einen großen Einfluß auf ihn ausübte. Schopenhauer hat in
der wegwerfendsten Weise sich über dasselbe geäußert, ohne zu erkennen, daß
er sich in großer Abhängigkeit von demselben befinde, getäuscht durch den Ge¬
gensatz der philosophischen Methode, die vou ihm und von Fichte befolgt wurde.
In der That aber ist der Grundgedanke beider Systeme sehr verwandt. Die
fundamentale Differenz zwischen ihnen liegt darin, daß Schopenhauer das
ethische Element, die ethische Beleuchtung der Philosophie Fichte's beseitigt und
sie naturalistisch umgedeutet hat.

Schopenhauer machte, ohne es zu wissen, denselben Fortschritt vom Dua¬
lismus Kants zum Monismus, wie Fichte es gethan, indem sie beide vom
Ding an sich ausgingen, das in der praktischen Philosophie Kants den Schleier
etwas gelüftet, in welchen es in der theoretischen gehüllt ist; aber der eine ver¬
folgte den Weg des Naturalismus, der andere die Bahn des Ethicismus. Wie früh
die Abhängigkeit Schopenhauer's vou Fichte erkannt wurde, dafür hat Referent in
einem älteren Handbuch der Geschichte der Philosophie einen Beleg gefunden.
Rixner. Handbuch der Geschichte der Philosophie Sulzbach 1829. Bd. 3.
S. 351 bezeichnet Schopenchauer's Philosophie ausdrücklich „als eine spätere
Ausgeburt der Fichte'schen Jchlehre von ihrer negativen Seite."

Der Aufenthalt in Weimar im Winter 1813 zu 1814 sollte Schopen¬
hauer die letzten Anstöße zur Entwicklung seines Systems geben. Es war vor
allem die persönliche Beziehung zu Goethe, der im Hause seiner Mutter ver¬
kehrte, und dem er durch das Interesse für seine von ihm selbst allerdings
modifizirte Farbentheorie nahe trat, welche einen mächtigen Einfluß auf ihn
ausübte. Es ist wahrscheinlich, daß er durch Goethe Antriebe empfing, den
naturwissenschaftlichen Studien, denen er sich schon auf der Universität mit Eifer
gewidmet hatte, eine poetisch philosophische Gestalt zu geben, und Goethe



*) „Daß ein Ding in der Erscheinung (das zur Sinnenwelt gehörig) gewissen
Gesetzen unterworfen ist, von welchen eben dasselbe, als Ding oder Wesen an sich selbst,
unabhängig ist, enthält nicht den mindesten Widerspruch; daß er sich selbst aber auf diese
zwiefache Art vorstellen und denken müsse, beruht, was das erste betrifft, auf dem Bewußt¬
sein seiner selbst, als durch Sinne afficirten Gegenstandes, was das zweite anlangt, auf dem
Bewußtsein seiner selbst als Intelligenz, d. i. als unabhängig im Vernunftgebrauch von sinn¬
lichen Eindrücken (mithin als zur Berstandeswclt gehörig)." Kant, Grundlegung zur Meta¬
physik der Sitten. Riga 178S. S. 117.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/210>, abgerufen am 01.09.2024.