Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

übersah, daß dazu ihm die Voraussetzungen fehlten; vor allem, daß er des
Segens entbehrte, den nur das Hans, das Leben im Schoße der eigenen
Familie, gewähren kann. Freilich im vollen Maße hätte er dieses Segens
auch dann nicht theilhaft werden können, wenn die Reiselust der Aeltern ein¬
geschränkt worden wäre, da die Unstetigkeit der Mutter ein Hinderniß für die
Entwicklung des häuslichen Behagens bildete, dessen die Glieder der Familie
bedürfen, um häusliches Glück würdigen zu können.

Auch die intellektuelle Bildung, die Schopenhauer empfing, war keine
seiner Individualität entsprechende. Sein Vater hatte ihn zum Kaufmann be¬
stimmt, seine Neigung ging auf die Wissenschaften. Um den Preis einer großen
Reise hatte er auf einen diese voraussetzenden Beruf verzichtet. Dem entspre¬
chend war der Unterricht, welchen er empfing. Vom 9. bis 11. Jahre genoß
er in Havre mit dem Sohn eines Geschäftsfreundes des Vaters Privatunter¬
richt, später wurde er einem Hamburger Privatinstitut anvertraut.

Endlich, um die Mängel, mit denen er aus der Kindheit in die Jugend
trat, zu vollenden, fehlte seiner Erziehung das religiöse Element. Die Kreise,
die auf dieselbe einwirkten, waren zu aufgeklärt, um desselben zu bedürfen.
Und in der That hatte ja auch der Rationalismus, der damals die Kirche be¬
herrschte, wenig, was an sie fesseln konnte.

Der plötzliche Tod des Vaters, der wahrscheinlich in Folge geistiger
Störungen von ihm selbst herbeigeführt war, im Jahr 1805, bildete ein ver-
hängnißvolles Ereignis; im Leben des siebzehnjährigen Jünglings. Mutter und
Schwester zogen nach Weimar, wohin erstere durch ihre schöngeistigen Inter¬
essen gezogen wurde, und Arthur gewann Freiheit. War er auch noch einige
Zeit ans Pietät gegen den Willen des Vaters in einem kaufmännischen Ge¬
schäft thätig, so vermochte er doch nicht dauernd in diesem seinen wissenschaft¬
lichen Neigungen nicht genügenden Beruf zu weiten. Wir finden ihn 1807 in
Gotha, wo er den Unterricht des berühmten Philologen Jakobs empfing, und
als er sich hier durch Verhöhnung eines Lehrers unmöglich gemacht hatte, bald
darauf in Weimar, um unter Passvws Leitung sich den Studien zu widmen.

Schon in dieser Zeit zeigen sich bei ihm die Spuren der pessimistischen
Weltanschauung. Auf der letzten großen Reise, die er mit den Aeltern machte,
verlor er, damals ein sechszehnjähriger junger Mann, mitten in der reizendsten
Landschaft plötzlich alle Reiselust, weil er an elenden Hütten uno verkümmerten
Menschen vorbeifuhr. In einem Brief der Mutter, in welchem sie die Schrecken
des Kriegs erwähnt, deren Zeuge sie gewesen, schließt sie ihre Beschreibung
mit den Worten: "Ich könnte Dir Dinge erzählen, vor denen Dir das Haar
emporsträuben würde; allein ich will es nicht thun: denn ich weiß ohnehin,
^wie gern Du über das Elend der Menschen brütest." Und in dem Brief, in


übersah, daß dazu ihm die Voraussetzungen fehlten; vor allem, daß er des
Segens entbehrte, den nur das Hans, das Leben im Schoße der eigenen
Familie, gewähren kann. Freilich im vollen Maße hätte er dieses Segens
auch dann nicht theilhaft werden können, wenn die Reiselust der Aeltern ein¬
geschränkt worden wäre, da die Unstetigkeit der Mutter ein Hinderniß für die
Entwicklung des häuslichen Behagens bildete, dessen die Glieder der Familie
bedürfen, um häusliches Glück würdigen zu können.

Auch die intellektuelle Bildung, die Schopenhauer empfing, war keine
seiner Individualität entsprechende. Sein Vater hatte ihn zum Kaufmann be¬
stimmt, seine Neigung ging auf die Wissenschaften. Um den Preis einer großen
Reise hatte er auf einen diese voraussetzenden Beruf verzichtet. Dem entspre¬
chend war der Unterricht, welchen er empfing. Vom 9. bis 11. Jahre genoß
er in Havre mit dem Sohn eines Geschäftsfreundes des Vaters Privatunter¬
richt, später wurde er einem Hamburger Privatinstitut anvertraut.

Endlich, um die Mängel, mit denen er aus der Kindheit in die Jugend
trat, zu vollenden, fehlte seiner Erziehung das religiöse Element. Die Kreise,
die auf dieselbe einwirkten, waren zu aufgeklärt, um desselben zu bedürfen.
Und in der That hatte ja auch der Rationalismus, der damals die Kirche be¬
herrschte, wenig, was an sie fesseln konnte.

Der plötzliche Tod des Vaters, der wahrscheinlich in Folge geistiger
Störungen von ihm selbst herbeigeführt war, im Jahr 1805, bildete ein ver-
hängnißvolles Ereignis; im Leben des siebzehnjährigen Jünglings. Mutter und
Schwester zogen nach Weimar, wohin erstere durch ihre schöngeistigen Inter¬
essen gezogen wurde, und Arthur gewann Freiheit. War er auch noch einige
Zeit ans Pietät gegen den Willen des Vaters in einem kaufmännischen Ge¬
schäft thätig, so vermochte er doch nicht dauernd in diesem seinen wissenschaft¬
lichen Neigungen nicht genügenden Beruf zu weiten. Wir finden ihn 1807 in
Gotha, wo er den Unterricht des berühmten Philologen Jakobs empfing, und
als er sich hier durch Verhöhnung eines Lehrers unmöglich gemacht hatte, bald
darauf in Weimar, um unter Passvws Leitung sich den Studien zu widmen.

Schon in dieser Zeit zeigen sich bei ihm die Spuren der pessimistischen
Weltanschauung. Auf der letzten großen Reise, die er mit den Aeltern machte,
verlor er, damals ein sechszehnjähriger junger Mann, mitten in der reizendsten
Landschaft plötzlich alle Reiselust, weil er an elenden Hütten uno verkümmerten
Menschen vorbeifuhr. In einem Brief der Mutter, in welchem sie die Schrecken
des Kriegs erwähnt, deren Zeuge sie gewesen, schließt sie ihre Beschreibung
mit den Worten: „Ich könnte Dir Dinge erzählen, vor denen Dir das Haar
emporsträuben würde; allein ich will es nicht thun: denn ich weiß ohnehin,
^wie gern Du über das Elend der Menschen brütest." Und in dem Brief, in


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0208" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140029"/>
          <p xml:id="ID_650" prev="#ID_649"> übersah, daß dazu ihm die Voraussetzungen fehlten; vor allem, daß er des<lb/>
Segens entbehrte, den nur das Hans, das Leben im Schoße der eigenen<lb/>
Familie, gewähren kann. Freilich im vollen Maße hätte er dieses Segens<lb/>
auch dann nicht theilhaft werden können, wenn die Reiselust der Aeltern ein¬<lb/>
geschränkt worden wäre, da die Unstetigkeit der Mutter ein Hinderniß für die<lb/>
Entwicklung des häuslichen Behagens bildete, dessen die Glieder der Familie<lb/>
bedürfen, um häusliches Glück würdigen zu können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_651"> Auch die intellektuelle Bildung, die Schopenhauer empfing, war keine<lb/>
seiner Individualität entsprechende. Sein Vater hatte ihn zum Kaufmann be¬<lb/>
stimmt, seine Neigung ging auf die Wissenschaften. Um den Preis einer großen<lb/>
Reise hatte er auf einen diese voraussetzenden Beruf verzichtet. Dem entspre¬<lb/>
chend war der Unterricht, welchen er empfing. Vom 9. bis 11. Jahre genoß<lb/>
er in Havre mit dem Sohn eines Geschäftsfreundes des Vaters Privatunter¬<lb/>
richt, später wurde er einem Hamburger Privatinstitut anvertraut.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_652"> Endlich, um die Mängel, mit denen er aus der Kindheit in die Jugend<lb/>
trat, zu vollenden, fehlte seiner Erziehung das religiöse Element. Die Kreise,<lb/>
die auf dieselbe einwirkten, waren zu aufgeklärt, um desselben zu bedürfen.<lb/>
Und in der That hatte ja auch der Rationalismus, der damals die Kirche be¬<lb/>
herrschte, wenig, was an sie fesseln konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_653"> Der plötzliche Tod des Vaters, der wahrscheinlich in Folge geistiger<lb/>
Störungen von ihm selbst herbeigeführt war, im Jahr 1805, bildete ein ver-<lb/>
hängnißvolles Ereignis; im Leben des siebzehnjährigen Jünglings. Mutter und<lb/>
Schwester zogen nach Weimar, wohin erstere durch ihre schöngeistigen Inter¬<lb/>
essen gezogen wurde, und Arthur gewann Freiheit. War er auch noch einige<lb/>
Zeit ans Pietät gegen den Willen des Vaters in einem kaufmännischen Ge¬<lb/>
schäft thätig, so vermochte er doch nicht dauernd in diesem seinen wissenschaft¬<lb/>
lichen Neigungen nicht genügenden Beruf zu weiten. Wir finden ihn 1807 in<lb/>
Gotha, wo er den Unterricht des berühmten Philologen Jakobs empfing, und<lb/>
als er sich hier durch Verhöhnung eines Lehrers unmöglich gemacht hatte, bald<lb/>
darauf in Weimar, um unter Passvws Leitung sich den Studien zu widmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_654" next="#ID_655"> Schon in dieser Zeit zeigen sich bei ihm die Spuren der pessimistischen<lb/>
Weltanschauung. Auf der letzten großen Reise, die er mit den Aeltern machte,<lb/>
verlor er, damals ein sechszehnjähriger junger Mann, mitten in der reizendsten<lb/>
Landschaft plötzlich alle Reiselust, weil er an elenden Hütten uno verkümmerten<lb/>
Menschen vorbeifuhr. In einem Brief der Mutter, in welchem sie die Schrecken<lb/>
des Kriegs erwähnt, deren Zeuge sie gewesen, schließt sie ihre Beschreibung<lb/>
mit den Worten: &#x201E;Ich könnte Dir Dinge erzählen, vor denen Dir das Haar<lb/>
emporsträuben würde; allein ich will es nicht thun: denn ich weiß ohnehin,<lb/>
^wie gern Du über das Elend der Menschen brütest." Und in dem Brief, in</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0208] übersah, daß dazu ihm die Voraussetzungen fehlten; vor allem, daß er des Segens entbehrte, den nur das Hans, das Leben im Schoße der eigenen Familie, gewähren kann. Freilich im vollen Maße hätte er dieses Segens auch dann nicht theilhaft werden können, wenn die Reiselust der Aeltern ein¬ geschränkt worden wäre, da die Unstetigkeit der Mutter ein Hinderniß für die Entwicklung des häuslichen Behagens bildete, dessen die Glieder der Familie bedürfen, um häusliches Glück würdigen zu können. Auch die intellektuelle Bildung, die Schopenhauer empfing, war keine seiner Individualität entsprechende. Sein Vater hatte ihn zum Kaufmann be¬ stimmt, seine Neigung ging auf die Wissenschaften. Um den Preis einer großen Reise hatte er auf einen diese voraussetzenden Beruf verzichtet. Dem entspre¬ chend war der Unterricht, welchen er empfing. Vom 9. bis 11. Jahre genoß er in Havre mit dem Sohn eines Geschäftsfreundes des Vaters Privatunter¬ richt, später wurde er einem Hamburger Privatinstitut anvertraut. Endlich, um die Mängel, mit denen er aus der Kindheit in die Jugend trat, zu vollenden, fehlte seiner Erziehung das religiöse Element. Die Kreise, die auf dieselbe einwirkten, waren zu aufgeklärt, um desselben zu bedürfen. Und in der That hatte ja auch der Rationalismus, der damals die Kirche be¬ herrschte, wenig, was an sie fesseln konnte. Der plötzliche Tod des Vaters, der wahrscheinlich in Folge geistiger Störungen von ihm selbst herbeigeführt war, im Jahr 1805, bildete ein ver- hängnißvolles Ereignis; im Leben des siebzehnjährigen Jünglings. Mutter und Schwester zogen nach Weimar, wohin erstere durch ihre schöngeistigen Inter¬ essen gezogen wurde, und Arthur gewann Freiheit. War er auch noch einige Zeit ans Pietät gegen den Willen des Vaters in einem kaufmännischen Ge¬ schäft thätig, so vermochte er doch nicht dauernd in diesem seinen wissenschaft¬ lichen Neigungen nicht genügenden Beruf zu weiten. Wir finden ihn 1807 in Gotha, wo er den Unterricht des berühmten Philologen Jakobs empfing, und als er sich hier durch Verhöhnung eines Lehrers unmöglich gemacht hatte, bald darauf in Weimar, um unter Passvws Leitung sich den Studien zu widmen. Schon in dieser Zeit zeigen sich bei ihm die Spuren der pessimistischen Weltanschauung. Auf der letzten großen Reise, die er mit den Aeltern machte, verlor er, damals ein sechszehnjähriger junger Mann, mitten in der reizendsten Landschaft plötzlich alle Reiselust, weil er an elenden Hütten uno verkümmerten Menschen vorbeifuhr. In einem Brief der Mutter, in welchem sie die Schrecken des Kriegs erwähnt, deren Zeuge sie gewesen, schließt sie ihre Beschreibung mit den Worten: „Ich könnte Dir Dinge erzählen, vor denen Dir das Haar emporsträuben würde; allein ich will es nicht thun: denn ich weiß ohnehin, ^wie gern Du über das Elend der Menschen brütest." Und in dem Brief, in

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/208
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/208>, abgerufen am 01.09.2024.