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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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größte Unglück als bevorstehend fürchten ließ. Eingebildete Krankheiten und
Konflikte beunruhigten ihn. Eine Zeit lang hielt er sich für auszehrend. Beim
Ausbruch der Befreiungskriege fürchtete er zum Kriegsdienst gepreßt zu wer¬
den. In Verona ergriff ihn die fixe Idee, vergifteten Schnupftabak genommen
zu haben. Jahre lang verfolgte ihn die Furcht vor einem Kriminalprozeß,
vor dem Verlust seines Vermögens, vor der Anfechtung der Erbtheilung, seiner
eigenen Mutter gegenüber. Entstand in der Nacht Lärm, so griff er nach
Degen und Pistolen, die er beständig geladen hatte. Der entsetzlichste Argwohn
Peinigte ihn. Seine Werthsachen versteckte er so, daß trotz der lateinischen An¬
weisung, die sein Testament gab, Einzelnes nur mit Mühe aufzufinden war.
Sein Rechnungsbuch führte er englisch und bediente sich bei wichtigen geschäft¬
lichen Notizen des Lateinischen und Griechischen. Um sich vor Dieben zu
schützen, wählte er täuschende Aufschriften, verwahrte seine Werthpapiere als
medizinische Geheimmittel, in alten Briefen und Notenheften, schwere Goldstücke
unter dem Tintenfasse im Schreibtisch, Nie vertraute er sich dein Scheermesser
eines Barbiers an, stets führte er ein ledernes Becherchen bei sich, um beim
Wassertrinken in öffentlichen Lokalen keiner Ansteckung preisgegeben zu sein.
Bei allen Vertragsverhältnissen fürchtete er betrogen zu werden.*)

Auch die unmittelbar moralische Erbschaft, die er von seinem Vater em¬
pfing, war keine unbedingt erfreuliche. Denn die Willenskraft, die diesen aus¬
zeichnete, war mit Starrsinn und großer Heftigkeit verbunden, Eigenschaften,
die wir auch beim Sohne in großem Maße ausgeprägt finden. Dieselben
besaß auch der Großvater mütterlicher Seits, so daß aus zwiefacher Quelle
vielleicht diese bedenkliche Eigenart Arthur Schopenhauer zufloß.

Das leichtlebige, heitere, gesellige Naturell feiner Mutter, der bekannten
Schriftstellerin, das gegen diese gefährliche Erbschaft ein Gegengewicht gebildet
hätte, übertrug sich leider nicht auf ihn, und auch die Erziehung, die ihm zu
Theil wurde, konnte hier nicht ausgleichen.

Als 1793 Danzig unter preußische Herrschaft kam, verließ Arthur's Vater
schleunigst die Stadt. Der republikanische Patrizier wollte nicht unter monar-
chischen Szepter leben. Die Familie zog nach Hamburg, unterbrach aber den
Aufenthalt daselbst durch viele ausgedehnte Reisen. Diese Wanderlust entsprach
den Neigungen beider Aeltern, sie wurde gesteigert durch den Wunsch des
Vaters, seiner Frau, die seine Liebe nur mit Achtung erwiederte und in der
Ehe mit ihm keineswegs volle Befriedigung fand, diese durch die Anregungen
anziehender Reisen zu gewähren. Arthur nahm häufig an denselben Theil.
Der Vater bezweckte dadurch, ihm früh eine weltmännische Bildung zu geben. Er



') Vergl. Gwinner S. 400--401.

größte Unglück als bevorstehend fürchten ließ. Eingebildete Krankheiten und
Konflikte beunruhigten ihn. Eine Zeit lang hielt er sich für auszehrend. Beim
Ausbruch der Befreiungskriege fürchtete er zum Kriegsdienst gepreßt zu wer¬
den. In Verona ergriff ihn die fixe Idee, vergifteten Schnupftabak genommen
zu haben. Jahre lang verfolgte ihn die Furcht vor einem Kriminalprozeß,
vor dem Verlust seines Vermögens, vor der Anfechtung der Erbtheilung, seiner
eigenen Mutter gegenüber. Entstand in der Nacht Lärm, so griff er nach
Degen und Pistolen, die er beständig geladen hatte. Der entsetzlichste Argwohn
Peinigte ihn. Seine Werthsachen versteckte er so, daß trotz der lateinischen An¬
weisung, die sein Testament gab, Einzelnes nur mit Mühe aufzufinden war.
Sein Rechnungsbuch führte er englisch und bediente sich bei wichtigen geschäft¬
lichen Notizen des Lateinischen und Griechischen. Um sich vor Dieben zu
schützen, wählte er täuschende Aufschriften, verwahrte seine Werthpapiere als
medizinische Geheimmittel, in alten Briefen und Notenheften, schwere Goldstücke
unter dem Tintenfasse im Schreibtisch, Nie vertraute er sich dein Scheermesser
eines Barbiers an, stets führte er ein ledernes Becherchen bei sich, um beim
Wassertrinken in öffentlichen Lokalen keiner Ansteckung preisgegeben zu sein.
Bei allen Vertragsverhältnissen fürchtete er betrogen zu werden.*)

Auch die unmittelbar moralische Erbschaft, die er von seinem Vater em¬
pfing, war keine unbedingt erfreuliche. Denn die Willenskraft, die diesen aus¬
zeichnete, war mit Starrsinn und großer Heftigkeit verbunden, Eigenschaften,
die wir auch beim Sohne in großem Maße ausgeprägt finden. Dieselben
besaß auch der Großvater mütterlicher Seits, so daß aus zwiefacher Quelle
vielleicht diese bedenkliche Eigenart Arthur Schopenhauer zufloß.

Das leichtlebige, heitere, gesellige Naturell feiner Mutter, der bekannten
Schriftstellerin, das gegen diese gefährliche Erbschaft ein Gegengewicht gebildet
hätte, übertrug sich leider nicht auf ihn, und auch die Erziehung, die ihm zu
Theil wurde, konnte hier nicht ausgleichen.

Als 1793 Danzig unter preußische Herrschaft kam, verließ Arthur's Vater
schleunigst die Stadt. Der republikanische Patrizier wollte nicht unter monar-
chischen Szepter leben. Die Familie zog nach Hamburg, unterbrach aber den
Aufenthalt daselbst durch viele ausgedehnte Reisen. Diese Wanderlust entsprach
den Neigungen beider Aeltern, sie wurde gesteigert durch den Wunsch des
Vaters, seiner Frau, die seine Liebe nur mit Achtung erwiederte und in der
Ehe mit ihm keineswegs volle Befriedigung fand, diese durch die Anregungen
anziehender Reisen zu gewähren. Arthur nahm häufig an denselben Theil.
Der Vater bezweckte dadurch, ihm früh eine weltmännische Bildung zu geben. Er



') Vergl. Gwinner S. 400—401.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/207>, abgerufen am 01.09.2024.