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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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discutabel. Die Todten schmerzt ein rücksichtsloser Aderlaß weniger als die
Lebendigen. Das wäre also die Autorität Munzinger. Dann folgt die Auto¬
rität Bluntschli. Bluntschli hat -- nicht etwa als deutscher Professor,
sondern als Verfasser des Entwurfs zu einem Züricher Civilrecht -- vor etwa
vierzig Jahren und vermuthlich veranlaßt durch ähnliche praktische Wahr¬
nehmungen, wie wir sie auch bei Munzinger's Idee als Motiv voraussetzten,
vorgeschlagen, daß ein bestimmter Procentsatz jedes Nachlasses, der mit der
Entfernung des Verwandtschaftsgrades der Erben vom Erblasser von 5 bis 30
Procent steigen sollte, von der Hei maths gemeinte des Erblassers erhoben
und zu besserer Ausbildung anderer Gemeindeangehöriger verwendet werden
solle. Dieser Entwurf des Züricher Parteimanues Bluntschli, den Herr Worth-
mcmn wohl uicht im Ernste mit der Flagge des deutschen Gelehrte" Bluntschli
wird decken wollen, ist aber niemals Gesetz, sondern als unreife Utopie von
den Züricher Gesetzgebern verworfen worden. Das wäre also die Autorität
Bluntschli. Da Herr Worthmann selbst anerkennt, daß die dritte Autorität,
die von I. S. Mill in der Hauptsache von der Idee Umpfenbach abweicht, so
ist es wohl überflüssig zu untersuchen, was von dieser Autorität für Herrn
Worthmann übrig bleibt.

Wir berühren nur kurz den an unfreiwilliger Komik reichen dritten Ab¬
schnitt der Worthmmm'schen Schrift. Hier soll an zwölf von Bvhmert s. Z.
mitgetheilten Arbeiter-Partnerschafts-Experimenten Treitschke tief gedemüthigt
werden, weil er sich erdreistet hat, in dieser "Betheiligung der Arbeiter am
Gewinn" einen ' "kommunistischen Kern" zu wittern. Die gestimmten zwölf
Apostel, die Herr Worthmann für sein Evangelium ausschickt, predigen frei¬
lich jedem Unbefangenen, der Zeit, Ort und Stellung der Gewinnbethei-
ligten prüft, das gerade Gegentheil von dem, was Herr Worthmann wünscht. Aber
wenn sie selbst nur zu Gunsten der industriellen Partnerschaft sprächen -- läßt
sich auf zwölf Experimente, die zum größeren Theil gar nichts beweisen für
die Gewinnbeteiligung der Handarbeiter, sondern höchstens der geistigen
Mitarbeiter, der technischen oder kaufmännischen Angestellten -- läßt sich auf
zwölf Fälle des Gelingens, die fast in halb Europa (in der Schweiz, Frank¬
reich, Deutschland, Belgien ?c.) und aus einem Zeitraum vou sechs bis siehe"
Jahren zusammengesucht werden, mit irgend welcher Berechtigung die Forde¬
rung gründen, der Staat solle nun, der Einbildung des Herrn Worthmann
zu Liebe, die Einführung der industriellen Partnerschaft gesetzlich dekretiren?
Denn von selbst denken die "von dem alten Schlendrian" beherrschten Arbeit¬
geber und Arbeitnehmer, trotz aller Worthmann'schen Deklamationen, nicht im
entferntesten an diese Thorheit. Und warum nicht? Weil der Gedanke erst
dann Aussicht auf Verwirklichung hat, wenn etwa der Schutzmann und Soldat


discutabel. Die Todten schmerzt ein rücksichtsloser Aderlaß weniger als die
Lebendigen. Das wäre also die Autorität Munzinger. Dann folgt die Auto¬
rität Bluntschli. Bluntschli hat — nicht etwa als deutscher Professor,
sondern als Verfasser des Entwurfs zu einem Züricher Civilrecht — vor etwa
vierzig Jahren und vermuthlich veranlaßt durch ähnliche praktische Wahr¬
nehmungen, wie wir sie auch bei Munzinger's Idee als Motiv voraussetzten,
vorgeschlagen, daß ein bestimmter Procentsatz jedes Nachlasses, der mit der
Entfernung des Verwandtschaftsgrades der Erben vom Erblasser von 5 bis 30
Procent steigen sollte, von der Hei maths gemeinte des Erblassers erhoben
und zu besserer Ausbildung anderer Gemeindeangehöriger verwendet werden
solle. Dieser Entwurf des Züricher Parteimanues Bluntschli, den Herr Worth-
mcmn wohl uicht im Ernste mit der Flagge des deutschen Gelehrte» Bluntschli
wird decken wollen, ist aber niemals Gesetz, sondern als unreife Utopie von
den Züricher Gesetzgebern verworfen worden. Das wäre also die Autorität
Bluntschli. Da Herr Worthmann selbst anerkennt, daß die dritte Autorität,
die von I. S. Mill in der Hauptsache von der Idee Umpfenbach abweicht, so
ist es wohl überflüssig zu untersuchen, was von dieser Autorität für Herrn
Worthmann übrig bleibt.

Wir berühren nur kurz den an unfreiwilliger Komik reichen dritten Ab¬
schnitt der Worthmmm'schen Schrift. Hier soll an zwölf von Bvhmert s. Z.
mitgetheilten Arbeiter-Partnerschafts-Experimenten Treitschke tief gedemüthigt
werden, weil er sich erdreistet hat, in dieser „Betheiligung der Arbeiter am
Gewinn" einen ' „kommunistischen Kern" zu wittern. Die gestimmten zwölf
Apostel, die Herr Worthmann für sein Evangelium ausschickt, predigen frei¬
lich jedem Unbefangenen, der Zeit, Ort und Stellung der Gewinnbethei-
ligten prüft, das gerade Gegentheil von dem, was Herr Worthmann wünscht. Aber
wenn sie selbst nur zu Gunsten der industriellen Partnerschaft sprächen — läßt
sich auf zwölf Experimente, die zum größeren Theil gar nichts beweisen für
die Gewinnbeteiligung der Handarbeiter, sondern höchstens der geistigen
Mitarbeiter, der technischen oder kaufmännischen Angestellten — läßt sich auf
zwölf Fälle des Gelingens, die fast in halb Europa (in der Schweiz, Frank¬
reich, Deutschland, Belgien ?c.) und aus einem Zeitraum vou sechs bis siehe»
Jahren zusammengesucht werden, mit irgend welcher Berechtigung die Forde¬
rung gründen, der Staat solle nun, der Einbildung des Herrn Worthmann
zu Liebe, die Einführung der industriellen Partnerschaft gesetzlich dekretiren?
Denn von selbst denken die „von dem alten Schlendrian" beherrschten Arbeit¬
geber und Arbeitnehmer, trotz aller Worthmann'schen Deklamationen, nicht im
entferntesten an diese Thorheit. Und warum nicht? Weil der Gedanke erst
dann Aussicht auf Verwirklichung hat, wenn etwa der Schutzmann und Soldat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/200>, abgerufen am 01.09.2024.