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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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selbst der hochgestellte Beamte, der berühmte Gelehrte kommt grade aus, wenn
er kein ererbtes Vermögen besitzt, für die Zukunft seines Hauses zu sorgen ist
ihm versagt. Dies Mißverhältniß erbittert um so stärker, da in vielen ge¬
lehrten Berufen der Lohn geradezu im umgekehrten Verhältnisse steht zu dein
geistigen Werthe der Arbeit." Folgen Beispiele, die Herrn Worthmann nicht
angesprochen zu haben scheinen, vielleicht weil er der Ansicht ist, daß der ihm
gewährte Lohn im richtigen Verhältnisse steht zu dem geistigen Werthe seiner
Arbeit. Dann fährt Treitschke fort, "Gegen solche Mißstände giebt es nur
ein moralisches Heilmittel und es kann wirken weil in den Kreisen hoher Bil¬
dung die Sprache des sittlichen Ernstes noch verstanden wird. Unter jeder
denkbaren Form der Gesellschaft müssen einzelne Klassen vorübergehend leiden
-- das heißt im Völkerleben: für die Dauer eines oder mehrerer Geschlechter.
Heute sind wir Arbeiter des Geistes die Leidenden, der nothwendige Um¬
schwung der Volkswirthschaft vollzieht sich zunächst zu unserm Schaden, und
was auch Staat und Gemeinde zur Aenderung des Uebels gethan haben und
noch thun werden, die Männer der geistigen Berufe sind für die nächste
Zukunft auf ein sehr bescheidenes Leben angewiesen, sie werden durch die auf¬
strebende Geldmacht auf eine niedrigere Stufe der Wirthschaft herabgedrückt.
Mau befreie sich durch ruhiges Nachdenken von der sinnlichen Vorstellung, als
ob das Einkommen nach Verdienst vertheilt werden sollte. ... Es giebt Ar¬
beiten, die über jede wirthschaftliche Schätzung hinausliegen... Das ganze
System der Selbstverwaltung ruht auf dem idealistischen Gedanken, daß nicht
jede Arbeit ihren wirthschaftlichen Lohn finden soll.... so muß auch der
Gelehrte unserer Tage durchdrungen sein von der Ueberzeugung, daß das
Beste, was er sein nennt, ihm nie bezahlt werden kann, daß sein Beruf des
Feuers auf dem Heerde der Gedanken zu warten, niemals edler und stolzer
war, als in diesem Jahrhundert des Erwerbs. .. Und ist es denn gar zu
traurig zu leben, wie wir leben: -- ein wenig für uns, ein wenig für unser
Haus und unsre Freunde, und zu allermeist in freier Hingebung unsrem Volke
und seinen besten Gütern?"

Es gehört wahrlich eine mehr als gewöhnliche Begabung zu kunstvoller
Auslegung dazu, um aus diesen Sätzen eine "psendoidealistische Abspeisuug der
Beamten und Lehrer" abzuleiten. Wo ist hier ausgesprochen, daß diesen
Ständen "der Wohlstand entbehrlich sei?" Wo die Behauptung zu finden:
"es könne Seiten des Staates nicht mehr geschehen für die Gehälter dieser
Stunde?" Beiläufig bemerkt ist, seitdem diese Aufsätze geschrieben wurden,
bekanntlich gerade für die Gehälter der Beamten und Lehrer in den meisten
und größten Staaten Deutschlands sehr viel geschehen! Und vor Allem:
welches Wort gab Herrn Worthmann den leisesten Grund zu der Mi-


selbst der hochgestellte Beamte, der berühmte Gelehrte kommt grade aus, wenn
er kein ererbtes Vermögen besitzt, für die Zukunft seines Hauses zu sorgen ist
ihm versagt. Dies Mißverhältniß erbittert um so stärker, da in vielen ge¬
lehrten Berufen der Lohn geradezu im umgekehrten Verhältnisse steht zu dein
geistigen Werthe der Arbeit." Folgen Beispiele, die Herrn Worthmann nicht
angesprochen zu haben scheinen, vielleicht weil er der Ansicht ist, daß der ihm
gewährte Lohn im richtigen Verhältnisse steht zu dem geistigen Werthe seiner
Arbeit. Dann fährt Treitschke fort, „Gegen solche Mißstände giebt es nur
ein moralisches Heilmittel und es kann wirken weil in den Kreisen hoher Bil¬
dung die Sprache des sittlichen Ernstes noch verstanden wird. Unter jeder
denkbaren Form der Gesellschaft müssen einzelne Klassen vorübergehend leiden
— das heißt im Völkerleben: für die Dauer eines oder mehrerer Geschlechter.
Heute sind wir Arbeiter des Geistes die Leidenden, der nothwendige Um¬
schwung der Volkswirthschaft vollzieht sich zunächst zu unserm Schaden, und
was auch Staat und Gemeinde zur Aenderung des Uebels gethan haben und
noch thun werden, die Männer der geistigen Berufe sind für die nächste
Zukunft auf ein sehr bescheidenes Leben angewiesen, sie werden durch die auf¬
strebende Geldmacht auf eine niedrigere Stufe der Wirthschaft herabgedrückt.
Mau befreie sich durch ruhiges Nachdenken von der sinnlichen Vorstellung, als
ob das Einkommen nach Verdienst vertheilt werden sollte. ... Es giebt Ar¬
beiten, die über jede wirthschaftliche Schätzung hinausliegen... Das ganze
System der Selbstverwaltung ruht auf dem idealistischen Gedanken, daß nicht
jede Arbeit ihren wirthschaftlichen Lohn finden soll.... so muß auch der
Gelehrte unserer Tage durchdrungen sein von der Ueberzeugung, daß das
Beste, was er sein nennt, ihm nie bezahlt werden kann, daß sein Beruf des
Feuers auf dem Heerde der Gedanken zu warten, niemals edler und stolzer
war, als in diesem Jahrhundert des Erwerbs. .. Und ist es denn gar zu
traurig zu leben, wie wir leben: — ein wenig für uns, ein wenig für unser
Haus und unsre Freunde, und zu allermeist in freier Hingebung unsrem Volke
und seinen besten Gütern?"

Es gehört wahrlich eine mehr als gewöhnliche Begabung zu kunstvoller
Auslegung dazu, um aus diesen Sätzen eine „psendoidealistische Abspeisuug der
Beamten und Lehrer" abzuleiten. Wo ist hier ausgesprochen, daß diesen
Ständen „der Wohlstand entbehrlich sei?" Wo die Behauptung zu finden:
„es könne Seiten des Staates nicht mehr geschehen für die Gehälter dieser
Stunde?" Beiläufig bemerkt ist, seitdem diese Aufsätze geschrieben wurden,
bekanntlich gerade für die Gehälter der Beamten und Lehrer in den meisten
und größten Staaten Deutschlands sehr viel geschehen! Und vor Allem:
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/198>, abgerufen am 01.09.2024.