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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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bei reflektirten Laut gleichzeitig wahrnimmt; dann verbinden sich beide Wahr¬
nehmungen, die des Lautes und des wahrgenommenen Dings, so daß für die
Seele auch der Ausdruck, der Laut, zum Begleiter des Eindrucks oder der
Wahrnehmung wird. Der Laut wird also (S. 102) Sprachlaut, wenn er vom
Menschen nicht blos erzeugt, sondern auch innerlich aufgefaßt, gehört und
gedacht wird, so daß eine Lautanschauung gebildet wird, die sich mit der gleich¬
zeitig in der Seele vorhandenen Dinganschauung verbindet. Diese Verbindung
zweier objektiv verschiedenen Dinge kann zu einer bedeutungsvollen subjektiven
Einheit werden. Das Ding heißt wie der Laut und der Laut bedeutet
das Ding; der Laut wird Zeichen für die Sache und die Sache wird Inhalt
für den Laut. (S. 102). Aus dieser subjektiven Einheit geschieht dann im
Leben, wie in der Metaphysik so oft die oben erwähnte Verwechslung von
Wort und Sache, oder die voreilige Metaphysik-

Mit jeder Wiederholung der Anschauung (S. 104) wird diese Verbindung
fester, aber jede Erinnerung an das Ding wird auch die damit verbundene
Lautanschauung wach rufen und damit die Bewegung des Organismus zur
Erzeugung des Lautes bewirken. Wenn wir nun bedenken, daß bei jeder Er¬
innerung an eine frühere Anschauung nur das innere Bild, nicht aber die
äußere Empfindung wiederholt wird, dagegen von dem begleitenden Wort so¬
wohl das innnere Bild der Laute als auch die Laute selbst, so ist klar, wie
bald die Sprache in der Seele ein ungeheures Uebergewicht erlangen, nicht
blos als Abbild, sondern als Norm und Triebkraft des Denkens erscheinen
muß (S. 105).

Insofern nun Gefühle, Anschauungen, Begierden Ursachen von Lauten,
somit von Spracherzeugung sein können, so unterscheidet und entwickelt Lazarus
drei Stufen der Sprachthätigkeit. 1. Die pathognomifche Stufe, wobei
die Interjektion als Ausdruck des Gefühls erscheint, deren sprachliche Bedeutung
Lazarus entwickelt. 2. Die onomatopoetische Stufe. Schon in ihr macht
sich der wichtige Unterschied von äußerer und innerer Sprachform geltend.
Denn weder (S. 130) ist bei Schallnachahmung der Schall des Dings das
ganze Ding, noch auch ist der nachgeahmte Schall gleich dem gehörten; er ist
nur ähnlich. Ueberdies ist klar, daß auch die Schöpfung der äußeren Laut¬
formen, die Ausprägung der Laute, sich nach dem Eindruck richtet, den sie auf
die Seele machen, so daß schon bei der Bildung der äußeren Sprachform die
schöpferische Thätigkeit der Seele sich offenbart (S. 137). Diese wird aber
noch gewichtiger in der Erhebung des bestimmten Lautes zum festen, bedeut¬
samen Zeichen oder zum Stellvertreter der Sache (S. 138). Das Wort vous,
Kos bedeutet Rindvieh; offenbar aber liegt hier kein anderer Sinn bei, als
das vu machende. Nach dieser einen Eigenschaft des Tones wird somit das


bei reflektirten Laut gleichzeitig wahrnimmt; dann verbinden sich beide Wahr¬
nehmungen, die des Lautes und des wahrgenommenen Dings, so daß für die
Seele auch der Ausdruck, der Laut, zum Begleiter des Eindrucks oder der
Wahrnehmung wird. Der Laut wird also (S. 102) Sprachlaut, wenn er vom
Menschen nicht blos erzeugt, sondern auch innerlich aufgefaßt, gehört und
gedacht wird, so daß eine Lautanschauung gebildet wird, die sich mit der gleich¬
zeitig in der Seele vorhandenen Dinganschauung verbindet. Diese Verbindung
zweier objektiv verschiedenen Dinge kann zu einer bedeutungsvollen subjektiven
Einheit werden. Das Ding heißt wie der Laut und der Laut bedeutet
das Ding; der Laut wird Zeichen für die Sache und die Sache wird Inhalt
für den Laut. (S. 102). Aus dieser subjektiven Einheit geschieht dann im
Leben, wie in der Metaphysik so oft die oben erwähnte Verwechslung von
Wort und Sache, oder die voreilige Metaphysik-

Mit jeder Wiederholung der Anschauung (S. 104) wird diese Verbindung
fester, aber jede Erinnerung an das Ding wird auch die damit verbundene
Lautanschauung wach rufen und damit die Bewegung des Organismus zur
Erzeugung des Lautes bewirken. Wenn wir nun bedenken, daß bei jeder Er¬
innerung an eine frühere Anschauung nur das innere Bild, nicht aber die
äußere Empfindung wiederholt wird, dagegen von dem begleitenden Wort so¬
wohl das innnere Bild der Laute als auch die Laute selbst, so ist klar, wie
bald die Sprache in der Seele ein ungeheures Uebergewicht erlangen, nicht
blos als Abbild, sondern als Norm und Triebkraft des Denkens erscheinen
muß (S. 105).

Insofern nun Gefühle, Anschauungen, Begierden Ursachen von Lauten,
somit von Spracherzeugung sein können, so unterscheidet und entwickelt Lazarus
drei Stufen der Sprachthätigkeit. 1. Die pathognomifche Stufe, wobei
die Interjektion als Ausdruck des Gefühls erscheint, deren sprachliche Bedeutung
Lazarus entwickelt. 2. Die onomatopoetische Stufe. Schon in ihr macht
sich der wichtige Unterschied von äußerer und innerer Sprachform geltend.
Denn weder (S. 130) ist bei Schallnachahmung der Schall des Dings das
ganze Ding, noch auch ist der nachgeahmte Schall gleich dem gehörten; er ist
nur ähnlich. Ueberdies ist klar, daß auch die Schöpfung der äußeren Laut¬
formen, die Ausprägung der Laute, sich nach dem Eindruck richtet, den sie auf
die Seele machen, so daß schon bei der Bildung der äußeren Sprachform die
schöpferische Thätigkeit der Seele sich offenbart (S. 137). Diese wird aber
noch gewichtiger in der Erhebung des bestimmten Lautes zum festen, bedeut¬
samen Zeichen oder zum Stellvertreter der Sache (S. 138). Das Wort vous,
Kos bedeutet Rindvieh; offenbar aber liegt hier kein anderer Sinn bei, als
das vu machende. Nach dieser einen Eigenschaft des Tones wird somit das


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[0191] bei reflektirten Laut gleichzeitig wahrnimmt; dann verbinden sich beide Wahr¬ nehmungen, die des Lautes und des wahrgenommenen Dings, so daß für die Seele auch der Ausdruck, der Laut, zum Begleiter des Eindrucks oder der Wahrnehmung wird. Der Laut wird also (S. 102) Sprachlaut, wenn er vom Menschen nicht blos erzeugt, sondern auch innerlich aufgefaßt, gehört und gedacht wird, so daß eine Lautanschauung gebildet wird, die sich mit der gleich¬ zeitig in der Seele vorhandenen Dinganschauung verbindet. Diese Verbindung zweier objektiv verschiedenen Dinge kann zu einer bedeutungsvollen subjektiven Einheit werden. Das Ding heißt wie der Laut und der Laut bedeutet das Ding; der Laut wird Zeichen für die Sache und die Sache wird Inhalt für den Laut. (S. 102). Aus dieser subjektiven Einheit geschieht dann im Leben, wie in der Metaphysik so oft die oben erwähnte Verwechslung von Wort und Sache, oder die voreilige Metaphysik- Mit jeder Wiederholung der Anschauung (S. 104) wird diese Verbindung fester, aber jede Erinnerung an das Ding wird auch die damit verbundene Lautanschauung wach rufen und damit die Bewegung des Organismus zur Erzeugung des Lautes bewirken. Wenn wir nun bedenken, daß bei jeder Er¬ innerung an eine frühere Anschauung nur das innere Bild, nicht aber die äußere Empfindung wiederholt wird, dagegen von dem begleitenden Wort so¬ wohl das innnere Bild der Laute als auch die Laute selbst, so ist klar, wie bald die Sprache in der Seele ein ungeheures Uebergewicht erlangen, nicht blos als Abbild, sondern als Norm und Triebkraft des Denkens erscheinen muß (S. 105). Insofern nun Gefühle, Anschauungen, Begierden Ursachen von Lauten, somit von Spracherzeugung sein können, so unterscheidet und entwickelt Lazarus drei Stufen der Sprachthätigkeit. 1. Die pathognomifche Stufe, wobei die Interjektion als Ausdruck des Gefühls erscheint, deren sprachliche Bedeutung Lazarus entwickelt. 2. Die onomatopoetische Stufe. Schon in ihr macht sich der wichtige Unterschied von äußerer und innerer Sprachform geltend. Denn weder (S. 130) ist bei Schallnachahmung der Schall des Dings das ganze Ding, noch auch ist der nachgeahmte Schall gleich dem gehörten; er ist nur ähnlich. Ueberdies ist klar, daß auch die Schöpfung der äußeren Laut¬ formen, die Ausprägung der Laute, sich nach dem Eindruck richtet, den sie auf die Seele machen, so daß schon bei der Bildung der äußeren Sprachform die schöpferische Thätigkeit der Seele sich offenbart (S. 137). Diese wird aber noch gewichtiger in der Erhebung des bestimmten Lautes zum festen, bedeut¬ samen Zeichen oder zum Stellvertreter der Sache (S. 138). Das Wort vous, Kos bedeutet Rindvieh; offenbar aber liegt hier kein anderer Sinn bei, als das vu machende. Nach dieser einen Eigenschaft des Tones wird somit das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/191>, abgerufen am 01.09.2024.