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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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stattfindet, so ist die ursprüngliche Verbindung von Leib und Seele eine durch¬
aus unbewußte (S, 80). Unbewußt und unwillkürlich sind die Denkakte der
Seele, die auf Eindrücke vom Körper gebildet werden, unbewußt und unwill¬
kürlich die Denkakte, die den Körper in Bewegung setzen. Die zum Geist er¬
wachende Seele (S. 81) findet daher einen tönenden, bewegten, mit psychischen
Elementen vereinigten Organismus vor, er braucht nicht erst motorische Thätig¬
keiten hervorzurufen, sondern nur anzuregen durch Wiederholung und Anwen¬
dung der unbewußten psychischen Elemente. Da nun kein Mensch, selbst nicht
der gelehrteste Sprachphysiologe überall, weiß, (S. 82) wie die Sprachorgane
gestellt werden müssen, zum Bilden dieses oder jenes Landes, so ist nur zu
sagen: der Mensch bringt die Töne dadurch hervor, daß er sie denkt (S. 84).

Lazarus stellt dies so hin, als ob das Lautwerden der Töne oder Wörter
aus das Denken derselben erfolge, weil eine unwillkürliche und nothwendige
Verbindung zwischen Laut-Vorstellung und Laut-Erzeugung stattfinde. Nur
das Schweigen, das Nichtlautmachen der gedachten Wörter steht in unserer
Willkür, sagt er S. 85. Es scheint iuns indeß diese Annahme nicht nöthig.
Ungebildete und Kinder sprechen freilich mehr als Gebildete und Erwachsene;
aber sie lassen ihr Denken doch vorzugsweise nur dann laut werden, wenn sie
sich unter Menschen wissen oder sich bemerklich machen wollen. Einsiedler,
denen die Rücksicht des Schweigens abgeht, müßten bei solcher nothwendiger
Verbindung anhaltend laut denken- Ueberdies weist Lazarus selbst darauf hin,
daß es ein sprachloses Denken giebt, insofern es bei Musik, Kunst, individuellen
Anschauungen Dinge giebt, die gar nicht sprachlich darstellbar sind. Wenn
also hierbei stilles Denken nöthig ist, warum sollte das stille Denken in Worten
nicht wenigstens ebenfalls natürlich sein? Warum sollte dieses Schweigen erst
durch den Willen angelernt sein? Uns scheint vielmehr, daß, abgesehen von
unwillkürlichen Erregungen, alles, das Lautreden, das Leisereden und das
Schweigen ein Akt des Willens ist; wenn es auch richtig ist, daß dem Denken
eines Lautes unwillkürlich eine Stellung der Lautorgane zur Seite geht, die
den Ton laut werden lassen kann, wenn gewollt wird.

Im Abschnitt II. Ursprung der Sprache verfolgt dann Lazarus die
dabei vorkommenden Verhältnisse ins Einzelne. Die Jnterjektionslaute, welche
durch Reflexbewegungen ausgestoßen werden, sind nicht Sprache, es fehlt ihnen
sogar die Absichtlichkeit, die den Locktönen der Thiere zu Grunde liegt; aber auch
die Töne, die in Folge von Gefühlen, Empfindungen, Anschauungen hervorbrechen
können, sind noch keine Sprache, sie sind nur die natürlichen Elemente dazu
und können Sprache werden, wenn sie Bedeutung gewinnen. Diese nun er¬
halten sie, wenn die Seele ihre Wahrnehmung oder Empfindung und den da-


stattfindet, so ist die ursprüngliche Verbindung von Leib und Seele eine durch¬
aus unbewußte (S, 80). Unbewußt und unwillkürlich sind die Denkakte der
Seele, die auf Eindrücke vom Körper gebildet werden, unbewußt und unwill¬
kürlich die Denkakte, die den Körper in Bewegung setzen. Die zum Geist er¬
wachende Seele (S. 81) findet daher einen tönenden, bewegten, mit psychischen
Elementen vereinigten Organismus vor, er braucht nicht erst motorische Thätig¬
keiten hervorzurufen, sondern nur anzuregen durch Wiederholung und Anwen¬
dung der unbewußten psychischen Elemente. Da nun kein Mensch, selbst nicht
der gelehrteste Sprachphysiologe überall, weiß, (S. 82) wie die Sprachorgane
gestellt werden müssen, zum Bilden dieses oder jenes Landes, so ist nur zu
sagen: der Mensch bringt die Töne dadurch hervor, daß er sie denkt (S. 84).

Lazarus stellt dies so hin, als ob das Lautwerden der Töne oder Wörter
aus das Denken derselben erfolge, weil eine unwillkürliche und nothwendige
Verbindung zwischen Laut-Vorstellung und Laut-Erzeugung stattfinde. Nur
das Schweigen, das Nichtlautmachen der gedachten Wörter steht in unserer
Willkür, sagt er S. 85. Es scheint iuns indeß diese Annahme nicht nöthig.
Ungebildete und Kinder sprechen freilich mehr als Gebildete und Erwachsene;
aber sie lassen ihr Denken doch vorzugsweise nur dann laut werden, wenn sie
sich unter Menschen wissen oder sich bemerklich machen wollen. Einsiedler,
denen die Rücksicht des Schweigens abgeht, müßten bei solcher nothwendiger
Verbindung anhaltend laut denken- Ueberdies weist Lazarus selbst darauf hin,
daß es ein sprachloses Denken giebt, insofern es bei Musik, Kunst, individuellen
Anschauungen Dinge giebt, die gar nicht sprachlich darstellbar sind. Wenn
also hierbei stilles Denken nöthig ist, warum sollte das stille Denken in Worten
nicht wenigstens ebenfalls natürlich sein? Warum sollte dieses Schweigen erst
durch den Willen angelernt sein? Uns scheint vielmehr, daß, abgesehen von
unwillkürlichen Erregungen, alles, das Lautreden, das Leisereden und das
Schweigen ein Akt des Willens ist; wenn es auch richtig ist, daß dem Denken
eines Lautes unwillkürlich eine Stellung der Lautorgane zur Seite geht, die
den Ton laut werden lassen kann, wenn gewollt wird.

Im Abschnitt II. Ursprung der Sprache verfolgt dann Lazarus die
dabei vorkommenden Verhältnisse ins Einzelne. Die Jnterjektionslaute, welche
durch Reflexbewegungen ausgestoßen werden, sind nicht Sprache, es fehlt ihnen
sogar die Absichtlichkeit, die den Locktönen der Thiere zu Grunde liegt; aber auch
die Töne, die in Folge von Gefühlen, Empfindungen, Anschauungen hervorbrechen
können, sind noch keine Sprache, sie sind nur die natürlichen Elemente dazu
und können Sprache werden, wenn sie Bedeutung gewinnen. Diese nun er¬
halten sie, wenn die Seele ihre Wahrnehmung oder Empfindung und den da-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/190>, abgerufen am 01.09.2024.