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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Holz, Gold, von einem Pferd, von Menschen u. s. w. haben, aber nicht von
"Materie im Allgemeinen", dies gehöre schon mehr ins Gebiet der Vorstellun-
gen, so stützt gerade dieser Einwand meine Behauptung, daß alles Wissen von
Materie und Natur als synthetische That des Geistes gerade so ins Gebiet
des Unsinnlichen gehört, wie das Wissen von Gott, der als Erreger der Dinge,
als Erschütterer des Gewissens gedacht wird.

Ich will im Folgenden nur noch zu skizziren versuchen, wie Lazarus den
Ursprung der Sprache und ihren Einfluß auf die Seele darstellt. Allen
Reizungen der sensiblen Nerven folgen psychische Wahrnehmungen, auch wenn
sie nicht gleich bewußt werden (S. 33). Als Resultat der Apperzeption aber
ergiebt sich, daß das, was man sinnliche Erfahrung nennt, bei weitem nicht
durch die Sinne allein gegeben ist; inneres Festhalten, Reproduktion, Verbin¬
den, Ergänzung, Berichtigungen sind nöthig, um die einfachsten, rein äußer¬
lichen Dinge auffassen zu können (S. 58). Ursprünglich, in der ersten Kind¬
heit, sind die Bewegungen des Körpers, seine produktiven Thätigkeiten nicht Erfolge
einer freien, bewußten, absichtlichen Einwirkung des Geistes, sondern sie haben
theils die dem Organismus selbst innewohnenden Erregungs- und Bewegungs¬
gesetze, theils die unbewußte und unwillkürliche Einwirkung der Seele zur
Ursache (S. 59). Und zu den verschiedenen Arten von Reflexbewegungen, von
Mit- und Assoziationsbewegungen gehören denn auch die Jnterjektionen. Die
sogen. Empfindungslaute sind (S. 72) nichts als Reflexbewegungen in den
Stimmorganen. Somit ist der Prozeß eigenthümlich menschlicher Lauterzeu¬
gung, die Artikulation der Töne, die Hervorbringung der Töne und Konso¬
nanten in der ursprünglichen Natur des menschlichen PYchisch bewegten Orga¬
nismus begründet, und wird vor aller Willkür, also ohne absichtliche Einwir¬
kung des Geistes, obwohl auf Veranlassung von Empfindungen und Vorstel¬
lungen vollzogen (S. 73). Hiermit sind die Elemente des Ursprungs der
Sprache gewonnen. Zu bemerken ist dabei, daß das Vermögen der Seele,
als Geist sich ihrer selbst und zwar in ihrer Thätigkeit als Thätiges bewußt
zu sein, erst in einer Entwicklungsstufe der Seele auftritt. Von da an freilich
erscheint dem beobachtenden Geist sein Leib als bloßes Organ, als bloßes Mittel
seiner Thätigkeit. Diesem Geist erscheint das Auge, das Ohr u. s. w. als ein
Apparat, den er absichtlich da oder dorthin richtet. Indeß so wenig die Seele
bei den Empfindungen rein passiv ist, so wenig ist es der Leib bei den Bewe¬
gungen. In ihm als Organismus findet schon ohne Seelenwirkung die größte
Mannigfaltigkeit von Bewegungen statt; und so unterscheidet Lazarus folgende
Bewegungsarten und Ursachen des Körpers: mechanische, mechanisch-organische,
organische, organisch-psychische und psychische (S. 78). Da nun im Bereich
des Psychischen Unbewußtes und Bewußtes, Absichtliches und Unwillkürliches


Grenzboten II. 1373. ^

Holz, Gold, von einem Pferd, von Menschen u. s. w. haben, aber nicht von
„Materie im Allgemeinen", dies gehöre schon mehr ins Gebiet der Vorstellun-
gen, so stützt gerade dieser Einwand meine Behauptung, daß alles Wissen von
Materie und Natur als synthetische That des Geistes gerade so ins Gebiet
des Unsinnlichen gehört, wie das Wissen von Gott, der als Erreger der Dinge,
als Erschütterer des Gewissens gedacht wird.

Ich will im Folgenden nur noch zu skizziren versuchen, wie Lazarus den
Ursprung der Sprache und ihren Einfluß auf die Seele darstellt. Allen
Reizungen der sensiblen Nerven folgen psychische Wahrnehmungen, auch wenn
sie nicht gleich bewußt werden (S. 33). Als Resultat der Apperzeption aber
ergiebt sich, daß das, was man sinnliche Erfahrung nennt, bei weitem nicht
durch die Sinne allein gegeben ist; inneres Festhalten, Reproduktion, Verbin¬
den, Ergänzung, Berichtigungen sind nöthig, um die einfachsten, rein äußer¬
lichen Dinge auffassen zu können (S. 58). Ursprünglich, in der ersten Kind¬
heit, sind die Bewegungen des Körpers, seine produktiven Thätigkeiten nicht Erfolge
einer freien, bewußten, absichtlichen Einwirkung des Geistes, sondern sie haben
theils die dem Organismus selbst innewohnenden Erregungs- und Bewegungs¬
gesetze, theils die unbewußte und unwillkürliche Einwirkung der Seele zur
Ursache (S. 59). Und zu den verschiedenen Arten von Reflexbewegungen, von
Mit- und Assoziationsbewegungen gehören denn auch die Jnterjektionen. Die
sogen. Empfindungslaute sind (S. 72) nichts als Reflexbewegungen in den
Stimmorganen. Somit ist der Prozeß eigenthümlich menschlicher Lauterzeu¬
gung, die Artikulation der Töne, die Hervorbringung der Töne und Konso¬
nanten in der ursprünglichen Natur des menschlichen PYchisch bewegten Orga¬
nismus begründet, und wird vor aller Willkür, also ohne absichtliche Einwir¬
kung des Geistes, obwohl auf Veranlassung von Empfindungen und Vorstel¬
lungen vollzogen (S. 73). Hiermit sind die Elemente des Ursprungs der
Sprache gewonnen. Zu bemerken ist dabei, daß das Vermögen der Seele,
als Geist sich ihrer selbst und zwar in ihrer Thätigkeit als Thätiges bewußt
zu sein, erst in einer Entwicklungsstufe der Seele auftritt. Von da an freilich
erscheint dem beobachtenden Geist sein Leib als bloßes Organ, als bloßes Mittel
seiner Thätigkeit. Diesem Geist erscheint das Auge, das Ohr u. s. w. als ein
Apparat, den er absichtlich da oder dorthin richtet. Indeß so wenig die Seele
bei den Empfindungen rein passiv ist, so wenig ist es der Leib bei den Bewe¬
gungen. In ihm als Organismus findet schon ohne Seelenwirkung die größte
Mannigfaltigkeit von Bewegungen statt; und so unterscheidet Lazarus folgende
Bewegungsarten und Ursachen des Körpers: mechanische, mechanisch-organische,
organische, organisch-psychische und psychische (S. 78). Da nun im Bereich
des Psychischen Unbewußtes und Bewußtes, Absichtliches und Unwillkürliches


Grenzboten II. 1373. ^
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[0189] Holz, Gold, von einem Pferd, von Menschen u. s. w. haben, aber nicht von „Materie im Allgemeinen", dies gehöre schon mehr ins Gebiet der Vorstellun- gen, so stützt gerade dieser Einwand meine Behauptung, daß alles Wissen von Materie und Natur als synthetische That des Geistes gerade so ins Gebiet des Unsinnlichen gehört, wie das Wissen von Gott, der als Erreger der Dinge, als Erschütterer des Gewissens gedacht wird. Ich will im Folgenden nur noch zu skizziren versuchen, wie Lazarus den Ursprung der Sprache und ihren Einfluß auf die Seele darstellt. Allen Reizungen der sensiblen Nerven folgen psychische Wahrnehmungen, auch wenn sie nicht gleich bewußt werden (S. 33). Als Resultat der Apperzeption aber ergiebt sich, daß das, was man sinnliche Erfahrung nennt, bei weitem nicht durch die Sinne allein gegeben ist; inneres Festhalten, Reproduktion, Verbin¬ den, Ergänzung, Berichtigungen sind nöthig, um die einfachsten, rein äußer¬ lichen Dinge auffassen zu können (S. 58). Ursprünglich, in der ersten Kind¬ heit, sind die Bewegungen des Körpers, seine produktiven Thätigkeiten nicht Erfolge einer freien, bewußten, absichtlichen Einwirkung des Geistes, sondern sie haben theils die dem Organismus selbst innewohnenden Erregungs- und Bewegungs¬ gesetze, theils die unbewußte und unwillkürliche Einwirkung der Seele zur Ursache (S. 59). Und zu den verschiedenen Arten von Reflexbewegungen, von Mit- und Assoziationsbewegungen gehören denn auch die Jnterjektionen. Die sogen. Empfindungslaute sind (S. 72) nichts als Reflexbewegungen in den Stimmorganen. Somit ist der Prozeß eigenthümlich menschlicher Lauterzeu¬ gung, die Artikulation der Töne, die Hervorbringung der Töne und Konso¬ nanten in der ursprünglichen Natur des menschlichen PYchisch bewegten Orga¬ nismus begründet, und wird vor aller Willkür, also ohne absichtliche Einwir¬ kung des Geistes, obwohl auf Veranlassung von Empfindungen und Vorstel¬ lungen vollzogen (S. 73). Hiermit sind die Elemente des Ursprungs der Sprache gewonnen. Zu bemerken ist dabei, daß das Vermögen der Seele, als Geist sich ihrer selbst und zwar in ihrer Thätigkeit als Thätiges bewußt zu sein, erst in einer Entwicklungsstufe der Seele auftritt. Von da an freilich erscheint dem beobachtenden Geist sein Leib als bloßes Organ, als bloßes Mittel seiner Thätigkeit. Diesem Geist erscheint das Auge, das Ohr u. s. w. als ein Apparat, den er absichtlich da oder dorthin richtet. Indeß so wenig die Seele bei den Empfindungen rein passiv ist, so wenig ist es der Leib bei den Bewe¬ gungen. In ihm als Organismus findet schon ohne Seelenwirkung die größte Mannigfaltigkeit von Bewegungen statt; und so unterscheidet Lazarus folgende Bewegungsarten und Ursachen des Körpers: mechanische, mechanisch-organische, organische, organisch-psychische und psychische (S. 78). Da nun im Bereich des Psychischen Unbewußtes und Bewußtes, Absichtliches und Unwillkürliches Grenzboten II. 1373. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/189>, abgerufen am 01.09.2024.