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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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wird eine allseitige Wissenschaft nicht umhin können, bei der Erforschung der
Endursache auch dieser Thatsache Rechnung zu tragen, was freilich bei Be¬
schränkung auf einzelne Gebiete, z. B. bei astronomischen Berechnungen nicht
nothwendig ist.

Es ist hier nicht der Ort, im Einzelnen auszuführen, wie bei der Gewi߬
heit, daß selbst in der geringfügigsten Wahrnehmung die synthetische Kraft des
Geistes thätig ist, alles was über Gott und Welt gedacht wird, als die That
unseres synthetisch appercipirenden Geistes erscheint. Lazarus führt S. 310 ff.
aus, daß Anschauungen, Vorstellungen, ethische, ästhetische, religiöse Verhältnisse
eigene, freie Thaten der Seele sind. Hervorheben will ich nur noch, wie mit
dieser Gewißheit jene unselige Scheidung eines Wissens vom Sinnlichen, oder
der Wissenschaft, und eines Wissens vom Unsinnlichen, oder der Glaubensinhalt,
hinfällig wird, eben weil alles, was der Geist denkend in sich bewegt, seine
eigenen Thaten, seine unsinnlichen Synthesen sinnlicher Elemente sind. Und
wie die Form der Synthese über Gott und Welt die eigene That des Geistes
ist, so ist es auch seine That, wenn er dieser oder jener Synthese über Gott
und Welt Beifall ertheilt, wenn er diese oder jene Vorstellung begründet genug
erachtet, um sie in den Schatz seines Wissens oder seiner Ueberzeugungen auf¬
zunehmen, und wenn er unter dieser Form der Synthese die Erkenntniß Gottes
und der Welt gewonnen zu haben meint. Und da, wo Jemand aus Mangel
an Zeit, aus Gefühl der Schwäche, oder aus falscher Scheu nicht kann, oder
nicht wagt den Gedanken Gottes und der Welt durchdenken zu wollen, da ist
es wenigstens seine That, durch die er den Vorstellungsinhalt eines Anderen,
von dem er das Zutrauen hat, daß er die Wahrheit wisse, als Wahrheit in
sich aufnimmt.

In den Abschnitten III. Die Erlernung und Fortbildung der
Sprache; IV. Einfluß der Sprache auf den Geist; V. Die Kon¬
gruenz von Geist und Sprache und das Verständniß, in welchen
Lazarus trefflich entwickelt, wie die Seele in ihrer Erkenntniß der Welt von
Anschauungen zu Vorstellungen und Begriffen fortschreite, in diesen Abschnitten
führt er deun auch ans, daß und in welcher Weise Alles, was die Seele in
ihrem Leben von Anschauungen, Vorstellungen und Begriffen erwirbt, ihre
eigene Synthese, "ihre eigene freie That ist". (S. 311 ff.). Leider muß ich
mir versagen auf diesen schönen Inhalt näher einzugehen, aber ich beschränke
mich um so lieber auf die erste zusammenfassende That der Seele in der An¬
schauung, als gerade das sogen, empirische oder sinnliche Wissen am selbst¬
gewissesten auf seine Anschauungen sich steift, weil diese unmittelbarer, wie
Vorstellungen und Begriffe, auf den Empfindungen oder den Erregungen dnrch
die realen Dinge beruhten. Und wenn man aus Anlaß meiner Darstellung
vielleicht einwendet, wir können nur eine allgemeine Anschauung von Eisen


wird eine allseitige Wissenschaft nicht umhin können, bei der Erforschung der
Endursache auch dieser Thatsache Rechnung zu tragen, was freilich bei Be¬
schränkung auf einzelne Gebiete, z. B. bei astronomischen Berechnungen nicht
nothwendig ist.

Es ist hier nicht der Ort, im Einzelnen auszuführen, wie bei der Gewi߬
heit, daß selbst in der geringfügigsten Wahrnehmung die synthetische Kraft des
Geistes thätig ist, alles was über Gott und Welt gedacht wird, als die That
unseres synthetisch appercipirenden Geistes erscheint. Lazarus führt S. 310 ff.
aus, daß Anschauungen, Vorstellungen, ethische, ästhetische, religiöse Verhältnisse
eigene, freie Thaten der Seele sind. Hervorheben will ich nur noch, wie mit
dieser Gewißheit jene unselige Scheidung eines Wissens vom Sinnlichen, oder
der Wissenschaft, und eines Wissens vom Unsinnlichen, oder der Glaubensinhalt,
hinfällig wird, eben weil alles, was der Geist denkend in sich bewegt, seine
eigenen Thaten, seine unsinnlichen Synthesen sinnlicher Elemente sind. Und
wie die Form der Synthese über Gott und Welt die eigene That des Geistes
ist, so ist es auch seine That, wenn er dieser oder jener Synthese über Gott
und Welt Beifall ertheilt, wenn er diese oder jene Vorstellung begründet genug
erachtet, um sie in den Schatz seines Wissens oder seiner Ueberzeugungen auf¬
zunehmen, und wenn er unter dieser Form der Synthese die Erkenntniß Gottes
und der Welt gewonnen zu haben meint. Und da, wo Jemand aus Mangel
an Zeit, aus Gefühl der Schwäche, oder aus falscher Scheu nicht kann, oder
nicht wagt den Gedanken Gottes und der Welt durchdenken zu wollen, da ist
es wenigstens seine That, durch die er den Vorstellungsinhalt eines Anderen,
von dem er das Zutrauen hat, daß er die Wahrheit wisse, als Wahrheit in
sich aufnimmt.

In den Abschnitten III. Die Erlernung und Fortbildung der
Sprache; IV. Einfluß der Sprache auf den Geist; V. Die Kon¬
gruenz von Geist und Sprache und das Verständniß, in welchen
Lazarus trefflich entwickelt, wie die Seele in ihrer Erkenntniß der Welt von
Anschauungen zu Vorstellungen und Begriffen fortschreite, in diesen Abschnitten
führt er deun auch ans, daß und in welcher Weise Alles, was die Seele in
ihrem Leben von Anschauungen, Vorstellungen und Begriffen erwirbt, ihre
eigene Synthese, „ihre eigene freie That ist". (S. 311 ff.). Leider muß ich
mir versagen auf diesen schönen Inhalt näher einzugehen, aber ich beschränke
mich um so lieber auf die erste zusammenfassende That der Seele in der An¬
schauung, als gerade das sogen, empirische oder sinnliche Wissen am selbst¬
gewissesten auf seine Anschauungen sich steift, weil diese unmittelbarer, wie
Vorstellungen und Begriffe, auf den Empfindungen oder den Erregungen dnrch
die realen Dinge beruhten. Und wenn man aus Anlaß meiner Darstellung
vielleicht einwendet, wir können nur eine allgemeine Anschauung von Eisen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/188>, abgerufen am 01.09.2024.