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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Arrangement auf den Portraits eines Tizian, eines Rubens denkt, und nach
einer Draperie, nach einem phantastischen Gewände greift, um seine Künstler¬
phantasie auch einmal frei walten zu lassen, dann weist ihn eine energische
Hand auf das neueste Modejournal und er verstummt. Der Portraitmaler ist wie
kein anderer Künstler in der Gewalt seiner Auftraggeber, unter dem Banne
ihres Geschmacks. Auf der einen Seite die Uniform -- auf der andern die
herrschenden Damenroben. So schwankt der unglückliche Portraitist verzwei¬
felnd zwischen Scylla und Charybdis einher. Wer wird ihn tadeln, wenn er
sich in diese stürzt, um jener zu entgehen? Die verächtliche Bezeichnung eines
Mode- und Robenmalers, wie sie n. A. auch Graef getroffen hat, ist deshalb
ungerecht und am Ende auch unter keinem Gesichtspunkte zutreffend. Hat der
Portraitmaler außer der momentanen Befriedigung seines Auftraggebers nicht
noch eine höhere Aufgabe zu erfüllen? Seine Portraits enthalten und sollen ent¬
halten ein zuverlässiges, culturhistorisches Material für die Beurtheilung seiner
Zeit. Je geistvoller ein Portraitmaler zu Werke geht, je tiefer er in die geistige
Individualität der darzustellenden Person eindringt und je umfassender er die¬
selbe wiedergiebt, je treuer er auch die Schaale, die den Kern umhüllt, in allen
Fältchen und Runzeln reproducirt, desto besser wird er seine Aufgabe erfüllen.
Wie Eduard Magnus, von dem noch später die Rede sein wird, in seinen
Frauenbildern ein ungemein schätzbares und zuverlässiges Material zur Be¬
urtheilung der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts
bietet, so thut Graef dasselbe für die sechsziger und siebziger Jahre. Wenn
seine Portraits bisweilen auch geiht- und seelenlos aussehen, so fällt zumeist
die Schuld an diesem Defect auf seine Wahrheitsliebe, welche sich hütet Hoff¬
nungen zu erwecken, die das Urbild nicht erfüllen könnte. Stets ist aber auch
das seelenloseste Gesicht mit einem Schimmer ungesuchter Grazie Übergossen,
welche für die Abwesenheit des geistigen Elements entschädigt. In seinem
lichten, rosigen Colorit erinnert Graef noch zumeist an Kaulbach. Er hat es'
verstanden, für das Chaos von Seide, Blumen und Spitzen, welches die Folie
seiner Figuren bildet, entsprechende Ausdrucksmittel zu finden: eine leichte,
duftige Farbe, die sich jedoch, wo es gilt, auch zu dem Ernste und der Ge¬
diegenheit classischer Meister vertiefen kann. -- Zu seinen letzten, erfolgreichsten
Arbeiten gehören vier allegorische Frauengestalten, welche die vier Elemente ver¬
sinnbildlichen und, auf Kupfer gemalt, einen Saal des v. Tiete-Winkler'schen''
Palais in Berlin auf die gefälligste Weise schmücken. Die Berliner National¬
galerie besitzt ein schönes Genrebild von seiner Hand: Ferdinande v. Schmettau
legt ihr köstliches Haar auf den Altar des Vaterlands nieder.

Ein Dritter, der im Anfang der fünfziger Jahre unter Kaulbach arbeitete,
ist A. Kaselowski (geb. 1810), ursprünglich ein Schüler des im ersten Ar-


Arrangement auf den Portraits eines Tizian, eines Rubens denkt, und nach
einer Draperie, nach einem phantastischen Gewände greift, um seine Künstler¬
phantasie auch einmal frei walten zu lassen, dann weist ihn eine energische
Hand auf das neueste Modejournal und er verstummt. Der Portraitmaler ist wie
kein anderer Künstler in der Gewalt seiner Auftraggeber, unter dem Banne
ihres Geschmacks. Auf der einen Seite die Uniform — auf der andern die
herrschenden Damenroben. So schwankt der unglückliche Portraitist verzwei¬
felnd zwischen Scylla und Charybdis einher. Wer wird ihn tadeln, wenn er
sich in diese stürzt, um jener zu entgehen? Die verächtliche Bezeichnung eines
Mode- und Robenmalers, wie sie n. A. auch Graef getroffen hat, ist deshalb
ungerecht und am Ende auch unter keinem Gesichtspunkte zutreffend. Hat der
Portraitmaler außer der momentanen Befriedigung seines Auftraggebers nicht
noch eine höhere Aufgabe zu erfüllen? Seine Portraits enthalten und sollen ent¬
halten ein zuverlässiges, culturhistorisches Material für die Beurtheilung seiner
Zeit. Je geistvoller ein Portraitmaler zu Werke geht, je tiefer er in die geistige
Individualität der darzustellenden Person eindringt und je umfassender er die¬
selbe wiedergiebt, je treuer er auch die Schaale, die den Kern umhüllt, in allen
Fältchen und Runzeln reproducirt, desto besser wird er seine Aufgabe erfüllen.
Wie Eduard Magnus, von dem noch später die Rede sein wird, in seinen
Frauenbildern ein ungemein schätzbares und zuverlässiges Material zur Be¬
urtheilung der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts
bietet, so thut Graef dasselbe für die sechsziger und siebziger Jahre. Wenn
seine Portraits bisweilen auch geiht- und seelenlos aussehen, so fällt zumeist
die Schuld an diesem Defect auf seine Wahrheitsliebe, welche sich hütet Hoff¬
nungen zu erwecken, die das Urbild nicht erfüllen könnte. Stets ist aber auch
das seelenloseste Gesicht mit einem Schimmer ungesuchter Grazie Übergossen,
welche für die Abwesenheit des geistigen Elements entschädigt. In seinem
lichten, rosigen Colorit erinnert Graef noch zumeist an Kaulbach. Er hat es'
verstanden, für das Chaos von Seide, Blumen und Spitzen, welches die Folie
seiner Figuren bildet, entsprechende Ausdrucksmittel zu finden: eine leichte,
duftige Farbe, die sich jedoch, wo es gilt, auch zu dem Ernste und der Ge¬
diegenheit classischer Meister vertiefen kann. — Zu seinen letzten, erfolgreichsten
Arbeiten gehören vier allegorische Frauengestalten, welche die vier Elemente ver¬
sinnbildlichen und, auf Kupfer gemalt, einen Saal des v. Tiete-Winkler'schen''
Palais in Berlin auf die gefälligste Weise schmücken. Die Berliner National¬
galerie besitzt ein schönes Genrebild von seiner Hand: Ferdinande v. Schmettau
legt ihr köstliches Haar auf den Altar des Vaterlands nieder.

Ein Dritter, der im Anfang der fünfziger Jahre unter Kaulbach arbeitete,
ist A. Kaselowski (geb. 1810), ursprünglich ein Schüler des im ersten Ar-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/172>, abgerufen am 01.09.2024.