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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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riologischen Kollegen. -- Ich sagte, vieler Schwierigkeiten; die Lösung einer
nicht unbeträchtlichen Anzahl steht noch ans. Aus meinen wenigen Andeutun¬
gen geht schon hervor, daß der Zusammenhang zwischen den begrifflichen und
lautlicher Bedeutungen der Keilcharaktere durchaus nicht klar hervortritt; nur
in wenigen Fällen läßt sich bei den assyrischen Keilen der Uebergang von der
Aussprache des Begriffs, den ein Zeichen repräsentirt, zu dem lautlicher Werthe,
den dasselbe Zeichen daneben hat, ohne Schwierigkeit verfolgen; es ist dies
z. B. der Fall bei dem Zeichen, welches nach sonstigen Lautgesetzen gelesen
werden muß, und das zugleich Ideogramm für den Begriff Holz ist. Sonst
herrscht zwischen Begriff und Laut eine auffällige Diskrepanz, z. B. das Zei¬
chen für it d. h. Gott hat den phonetischen Werth an, heißt also als Ideogramm
it, zu deutsch Gott, als Phonogramm M; ebenso das Ideogramm für Vater
ad, als Phonogramm u. s. f. -- Aus alledem entstehen für die Textlesnng
die allergrößten Schwierigkeiten, und die Gefahr, sich hier zu vergreifen lag
auch dem geschultesten Entzifferer nahe; es ist deshalb auch begreiflich, daß von
hier aus das Mißtraue" gegen die solide Fundmuentirung der ganzen Ent-
zifferungswifsenschaft seine hauptsächliche Nahrung zog, um so mehr als in
England und in der Folge auch in Deutschland ein ungeheurer Enthusiasmus
sich der Funde bemächtigte und Bestätigungen, namentlich biblischer Berichte
und Thatsachen fand, wo gar keine möglich oder nöthig waren, und man mit
einem Male die griechischen an den noch unsichern assyrischen Quellen korrigiren
wollte. Es wurden eine Reihe von Daten aus der jüdischen und assyrischen
Königsgeschichte zur Berichtigung in Vorschlag gebracht, und besonders die
Namen wurden in Anspruch genommen, obgleich es immer noch in der Willkür
der Assyriologeu stand, daß ein Wort, welches nnter Anwendung der gewöhnlichen
Charakterwerthe ^nxWänsis gelesen werden mußte, als Ah.dn-Xuärusur sich
entpuppte, Rums.Ki als Ma,in, DintirKi als Lahn.*) Und als M. Duncker in
den assyrisch-babylonischen Partieen seiner "Geschichte des Alterthums" der
Moderichtung größere Konzessionen machte als wissenschaftlich erlaubt schien,
trat im vorigen Jahre Prof. A. v. Gutschmid als Sprecher der Opposition
auf und griff, wenn in der Form auch scharf, zuweilen zu scharf, E. Schrader
darauf hin an, daß zwischen dem, was sicher und nicht sicher sei, nur in sehr
ungenügender Weise geschieden werde und auf diese Weise diejenigen, welche
die assyrischen Ergebnisse benutzen wollen, irre geführt würden. Nichts sei
segensreicher für eine neue, noch unfertige Wissenschaft, sagt er in seinen "Neuen



*) Welthaufen, a. ni, O., x^A, 171; und wenn selbst Fachleute sich noch darüber streiten,
ob derselbe Keil vio-andar oder 8-üiua"s,8"r, ein anderer LulUIMs oder Viimir"ri zu
lesen sei, so scheint die Opposition Gntschmids von wissenschaftlichem Standpunkte durchaus
gerechtfertigt.

riologischen Kollegen. — Ich sagte, vieler Schwierigkeiten; die Lösung einer
nicht unbeträchtlichen Anzahl steht noch ans. Aus meinen wenigen Andeutun¬
gen geht schon hervor, daß der Zusammenhang zwischen den begrifflichen und
lautlicher Bedeutungen der Keilcharaktere durchaus nicht klar hervortritt; nur
in wenigen Fällen läßt sich bei den assyrischen Keilen der Uebergang von der
Aussprache des Begriffs, den ein Zeichen repräsentirt, zu dem lautlicher Werthe,
den dasselbe Zeichen daneben hat, ohne Schwierigkeit verfolgen; es ist dies
z. B. der Fall bei dem Zeichen, welches nach sonstigen Lautgesetzen gelesen
werden muß, und das zugleich Ideogramm für den Begriff Holz ist. Sonst
herrscht zwischen Begriff und Laut eine auffällige Diskrepanz, z. B. das Zei¬
chen für it d. h. Gott hat den phonetischen Werth an, heißt also als Ideogramm
it, zu deutsch Gott, als Phonogramm M; ebenso das Ideogramm für Vater
ad, als Phonogramm u. s. f. — Aus alledem entstehen für die Textlesnng
die allergrößten Schwierigkeiten, und die Gefahr, sich hier zu vergreifen lag
auch dem geschultesten Entzifferer nahe; es ist deshalb auch begreiflich, daß von
hier aus das Mißtraue» gegen die solide Fundmuentirung der ganzen Ent-
zifferungswifsenschaft seine hauptsächliche Nahrung zog, um so mehr als in
England und in der Folge auch in Deutschland ein ungeheurer Enthusiasmus
sich der Funde bemächtigte und Bestätigungen, namentlich biblischer Berichte
und Thatsachen fand, wo gar keine möglich oder nöthig waren, und man mit
einem Male die griechischen an den noch unsichern assyrischen Quellen korrigiren
wollte. Es wurden eine Reihe von Daten aus der jüdischen und assyrischen
Königsgeschichte zur Berichtigung in Vorschlag gebracht, und besonders die
Namen wurden in Anspruch genommen, obgleich es immer noch in der Willkür
der Assyriologeu stand, daß ein Wort, welches nnter Anwendung der gewöhnlichen
Charakterwerthe ^nxWänsis gelesen werden mußte, als Ah.dn-Xuärusur sich
entpuppte, Rums.Ki als Ma,in, DintirKi als Lahn.*) Und als M. Duncker in
den assyrisch-babylonischen Partieen seiner „Geschichte des Alterthums" der
Moderichtung größere Konzessionen machte als wissenschaftlich erlaubt schien,
trat im vorigen Jahre Prof. A. v. Gutschmid als Sprecher der Opposition
auf und griff, wenn in der Form auch scharf, zuweilen zu scharf, E. Schrader
darauf hin an, daß zwischen dem, was sicher und nicht sicher sei, nur in sehr
ungenügender Weise geschieden werde und auf diese Weise diejenigen, welche
die assyrischen Ergebnisse benutzen wollen, irre geführt würden. Nichts sei
segensreicher für eine neue, noch unfertige Wissenschaft, sagt er in seinen „Neuen



*) Welthaufen, a. ni, O., x^A, 171; und wenn selbst Fachleute sich noch darüber streiten,
ob derselbe Keil vio-andar oder 8-üiua»s,8»r, ein anderer LulUIMs oder Viimir»ri zu
lesen sei, so scheint die Opposition Gntschmids von wissenschaftlichem Standpunkte durchaus
gerechtfertigt.
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[0017] riologischen Kollegen. — Ich sagte, vieler Schwierigkeiten; die Lösung einer nicht unbeträchtlichen Anzahl steht noch ans. Aus meinen wenigen Andeutun¬ gen geht schon hervor, daß der Zusammenhang zwischen den begrifflichen und lautlicher Bedeutungen der Keilcharaktere durchaus nicht klar hervortritt; nur in wenigen Fällen läßt sich bei den assyrischen Keilen der Uebergang von der Aussprache des Begriffs, den ein Zeichen repräsentirt, zu dem lautlicher Werthe, den dasselbe Zeichen daneben hat, ohne Schwierigkeit verfolgen; es ist dies z. B. der Fall bei dem Zeichen, welches nach sonstigen Lautgesetzen gelesen werden muß, und das zugleich Ideogramm für den Begriff Holz ist. Sonst herrscht zwischen Begriff und Laut eine auffällige Diskrepanz, z. B. das Zei¬ chen für it d. h. Gott hat den phonetischen Werth an, heißt also als Ideogramm it, zu deutsch Gott, als Phonogramm M; ebenso das Ideogramm für Vater ad, als Phonogramm u. s. f. — Aus alledem entstehen für die Textlesnng die allergrößten Schwierigkeiten, und die Gefahr, sich hier zu vergreifen lag auch dem geschultesten Entzifferer nahe; es ist deshalb auch begreiflich, daß von hier aus das Mißtraue» gegen die solide Fundmuentirung der ganzen Ent- zifferungswifsenschaft seine hauptsächliche Nahrung zog, um so mehr als in England und in der Folge auch in Deutschland ein ungeheurer Enthusiasmus sich der Funde bemächtigte und Bestätigungen, namentlich biblischer Berichte und Thatsachen fand, wo gar keine möglich oder nöthig waren, und man mit einem Male die griechischen an den noch unsichern assyrischen Quellen korrigiren wollte. Es wurden eine Reihe von Daten aus der jüdischen und assyrischen Königsgeschichte zur Berichtigung in Vorschlag gebracht, und besonders die Namen wurden in Anspruch genommen, obgleich es immer noch in der Willkür der Assyriologeu stand, daß ein Wort, welches nnter Anwendung der gewöhnlichen Charakterwerthe ^nxWänsis gelesen werden mußte, als Ah.dn-Xuärusur sich entpuppte, Rums.Ki als Ma,in, DintirKi als Lahn.*) Und als M. Duncker in den assyrisch-babylonischen Partieen seiner „Geschichte des Alterthums" der Moderichtung größere Konzessionen machte als wissenschaftlich erlaubt schien, trat im vorigen Jahre Prof. A. v. Gutschmid als Sprecher der Opposition auf und griff, wenn in der Form auch scharf, zuweilen zu scharf, E. Schrader darauf hin an, daß zwischen dem, was sicher und nicht sicher sei, nur in sehr ungenügender Weise geschieden werde und auf diese Weise diejenigen, welche die assyrischen Ergebnisse benutzen wollen, irre geführt würden. Nichts sei segensreicher für eine neue, noch unfertige Wissenschaft, sagt er in seinen „Neuen *) Welthaufen, a. ni, O., x^A, 171; und wenn selbst Fachleute sich noch darüber streiten, ob derselbe Keil vio-andar oder 8-üiua»s,8»r, ein anderer LulUIMs oder Viimir»ri zu lesen sei, so scheint die Opposition Gntschmids von wissenschaftlichem Standpunkte durchaus gerechtfertigt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/17>, abgerufen am 29.12.2024.