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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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erscheint uns der Düsseldorfer Realismus älterer Richtung bereits in einem so
völlig idealen Lichte, daß wir ihm neben der modernen Malerei kaum noch
diesen Namen zugestehen können. Die Realität, mit welcher Becker die Sam¬
met- und Seidenstoffe seiner Venetianer und Spanier, die Waffen und den
Schmuck des glücklichen Renaissancezeitalters malt, ist denn doch eine andere
als diejenige, welche sich auf dem Hildebrand'schen Bilde offenbart. Mit liebe¬
voller Sorgfalt, mit photographischer Treue ist das Eisenhemd und der blanke
Panzer des Ritters nachgebildet, der seinen blonden Knaben herze. Die nackten
Beine des Kindes spiegeln sich in der spiegelglatten Fläche des Stahles. Aber
heute erscheint uns diese liebevolle Sorgfalt neben der blendenden Technik und
der sicheren Wiedergabe des Stofflichen von Seiten unserer modernen Kolo-
risten ängstlich und pedantisch. Mag die Düsseldorfer Technik auch solider
sein als die heutige, so ist sie auch düstrer und schwerfälliger, als der farben¬
fröhliche, stets auf den vollsten Effekt hinarbeitende Kolorismus unserer Tage,
der in Carl Becker einen seiner ausgezeichnetsten Vertreter gefunden hat.
Beckers "Carneval von Venedig", eine pikante Maskenszene unter den Hallen
des Dogenpalastes, ist sast so berühmt geworden wie das gleichnamige Ton¬
stück. Sie gab den Anstoß zu einer langen Reihe venetianischer Bilder, die
mit gleicher Virtuosität, mit gleicher Kraft der Palette, mit immer flotteren
Pinselstrichen hingeworfen und mit steigendem Beifall aufgenommen wurden.
"Albrecht Dürer in Venedig", der ernste deutsche Kiiustler, wie er im Kreise
schöner Frauen seine Studieublätter vorzeigt und manchen feurigen Blick der
Bewunderung empfängt, war einer der letzten größeren Erfolge Beckers auf
diesem Gebiete. Wenn man die stattliche Reihe seiner venetianischen Bilder
überblickt, kann man auf den Meister die schönen Worte anwenden, mit welchen
Gsell-Fels in seinem Prachtwerke über die Herrlichkeiten der Stadt des heiligen
Markus den venetianischen Carneval apostrophirt: "Wer schuf in die altvene-
tianischen Gewänder, die reichgestickten Röcke, die seidenen Beinkleider, die Halb¬
masken neuathmende Leiber? ... Wer führte sie alle wieder herbei, die prächtigen
Frauen in ihren malerischen Kostümen, mit dem reichen gold- und silberver¬
zierten Kopfputze, mit den Pelzen, Seidengewändern und Juwelen?"

Becker ward nicht müde, die Frauenschönheit auf seinen Bildern zu ver¬
herrlichen. Kaum ein zweiter Maler Berlins kann sich rühmen, so viel lieb¬
reizende, süße Frauengestalten geschaffen zu haben wie Carl Becker. Unter
ihnen fällt eine pikante Erscheinung in röthlichem Haar, die auf den hervor¬
ragendsten Bildern des Meisters, in Einzelfiguren und Studien wiederkehrt,
besonders auf. Für die Dauer wirkt freilich die stereotype Wiederkehr der¬
selbe" Modell- oder Idealfigur monoton. Aber man vergegenwärtige sich die


erscheint uns der Düsseldorfer Realismus älterer Richtung bereits in einem so
völlig idealen Lichte, daß wir ihm neben der modernen Malerei kaum noch
diesen Namen zugestehen können. Die Realität, mit welcher Becker die Sam¬
met- und Seidenstoffe seiner Venetianer und Spanier, die Waffen und den
Schmuck des glücklichen Renaissancezeitalters malt, ist denn doch eine andere
als diejenige, welche sich auf dem Hildebrand'schen Bilde offenbart. Mit liebe¬
voller Sorgfalt, mit photographischer Treue ist das Eisenhemd und der blanke
Panzer des Ritters nachgebildet, der seinen blonden Knaben herze. Die nackten
Beine des Kindes spiegeln sich in der spiegelglatten Fläche des Stahles. Aber
heute erscheint uns diese liebevolle Sorgfalt neben der blendenden Technik und
der sicheren Wiedergabe des Stofflichen von Seiten unserer modernen Kolo-
risten ängstlich und pedantisch. Mag die Düsseldorfer Technik auch solider
sein als die heutige, so ist sie auch düstrer und schwerfälliger, als der farben¬
fröhliche, stets auf den vollsten Effekt hinarbeitende Kolorismus unserer Tage,
der in Carl Becker einen seiner ausgezeichnetsten Vertreter gefunden hat.
Beckers „Carneval von Venedig", eine pikante Maskenszene unter den Hallen
des Dogenpalastes, ist sast so berühmt geworden wie das gleichnamige Ton¬
stück. Sie gab den Anstoß zu einer langen Reihe venetianischer Bilder, die
mit gleicher Virtuosität, mit gleicher Kraft der Palette, mit immer flotteren
Pinselstrichen hingeworfen und mit steigendem Beifall aufgenommen wurden.
»Albrecht Dürer in Venedig", der ernste deutsche Kiiustler, wie er im Kreise
schöner Frauen seine Studieublätter vorzeigt und manchen feurigen Blick der
Bewunderung empfängt, war einer der letzten größeren Erfolge Beckers auf
diesem Gebiete. Wenn man die stattliche Reihe seiner venetianischen Bilder
überblickt, kann man auf den Meister die schönen Worte anwenden, mit welchen
Gsell-Fels in seinem Prachtwerke über die Herrlichkeiten der Stadt des heiligen
Markus den venetianischen Carneval apostrophirt: „Wer schuf in die altvene-
tianischen Gewänder, die reichgestickten Röcke, die seidenen Beinkleider, die Halb¬
masken neuathmende Leiber? ... Wer führte sie alle wieder herbei, die prächtigen
Frauen in ihren malerischen Kostümen, mit dem reichen gold- und silberver¬
zierten Kopfputze, mit den Pelzen, Seidengewändern und Juwelen?"

Becker ward nicht müde, die Frauenschönheit auf seinen Bildern zu ver¬
herrlichen. Kaum ein zweiter Maler Berlins kann sich rühmen, so viel lieb¬
reizende, süße Frauengestalten geschaffen zu haben wie Carl Becker. Unter
ihnen fällt eine pikante Erscheinung in röthlichem Haar, die auf den hervor¬
ragendsten Bildern des Meisters, in Einzelfiguren und Studien wiederkehrt,
besonders auf. Für die Dauer wirkt freilich die stereotype Wiederkehr der¬
selbe» Modell- oder Idealfigur monoton. Aber man vergegenwärtige sich die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/169>, abgerufen am 01.09.2024.