Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aber weniger ein Produkt der Nachahmung, als eine charakterische Eigen¬
thümlichkeit Berlins sein mag. Jene Nüchternheit, die einen Cornelius auf
das Tiefste verstimmte, jener kritische Zug, der einem Kaulbach bei seinen spitz¬
findigen Spekulationen auf den Verstand des "Bildungsphilisters" bald ent¬
gegenkam, bald feindlich gegenübertrat -- sie sind so spezifisch preußische und
Berliner Eigenthümlichkeiten, daß sie auch auf die Kunst von entscheidenden
Einfluß werden mußten. Sie tragen die Schuld, daß die ideale Malerei und
mit ihr der monumentale Stil zu allen Zeiten in Berlin ein kümmerliches
Dasein fristeten, sie haben aber auch dazu beigetragen, daß die Portraitmalerei
in Berlin sich zu einer ausnehmend hohen Blüthe entfaltet hat und daß sich
in Berlin so viele charaktervolle und eigengeartete Künstlerpersönlichkeiten ent¬
wickelt haben, wie es nur noch in Paris der Fall ist.

Carl Becker ist einer von diesen originellen Künstlern, deren Namen
man nur auszusprechen braucht, um sogleich eine bestimmte künstlerische Rich¬
tung damit auszudrücken. Aber er verdankt die Herausbildung seines künst¬
lerischen Charakters nicht der Berliner Akademie, nicht Heinrich Heß, nicht
Kaulbach. Er hatte zwar Gelegenheit, bei der Ausmalung des Niobidensaales
seine in München gesammelten Fertigkeiten zu verwerthen. Auch erzielte er
bereits 1850 mit einem Staffelleibilde "Belisar als Bettler", das jedoch noch
unter dem Einflüsse der herrschenden Düsseldorfer Schule stand, einen schönen
Erfolg. Aber seine heutige künstlerische Physiognomie entwickelte sich erst auf
wiederholten Studienreisen nach Oberitalien, besonders nach Venedig. In
Venedig wurzelt seine Kraft. Becker hat schon vor Jahrzehnten im Kleinen
versucht, was uns Makart später in kolossalen Maßstabe und mit größter
Prätension vor Augen geführt: eine Wiedergeburt der venetianischen Renaissance
im modernen Geiste. Wie Makart hielt sich auch Becker weniger an den
würdevollen Tizian als an den heiteren Veronese. Der Festesglanz, das
schöne Sein der farbenreichen, geheimnißvollen Lagunenstadt bot seiner ebenso
farbenreich gestimmten Palette die dankbarsten Stoffe. Er verzichtete auf einen
dramatischen Vorgang, höchstens läßt er die Anfänge einer Novelle, die Ein-
fädlung einer Intrigue aus dem Gewirr der glänzenden Figuren auftauchen,
die er mit seinem farbenglühenden Pinsel auf die Leinwand zaubert. Im
Grunde genommen folgte auch Becker der Bahn, welche die Düsseldorfer ge¬
brochen. Sie hatten zuerst wieder die Bedeutung malerischer Kostüme für die
Malerei dargethan und waren auch bereits in der Wiedergabe solcher Aeußer-
lichkeiten bis zu einer gewissen archäologischen Treue hindurchgedrungen. Man
braucht jedoch nur Bilder wie Th. Hildebrands "der Krieger und sein Kind"
und Carl Beckers "Karl V. bei Fugger" (beide in der Berliner National¬
galerie) zu vergleichen, um sich des Unterschieds bewußt zu werden. Heute


aber weniger ein Produkt der Nachahmung, als eine charakterische Eigen¬
thümlichkeit Berlins sein mag. Jene Nüchternheit, die einen Cornelius auf
das Tiefste verstimmte, jener kritische Zug, der einem Kaulbach bei seinen spitz¬
findigen Spekulationen auf den Verstand des „Bildungsphilisters" bald ent¬
gegenkam, bald feindlich gegenübertrat — sie sind so spezifisch preußische und
Berliner Eigenthümlichkeiten, daß sie auch auf die Kunst von entscheidenden
Einfluß werden mußten. Sie tragen die Schuld, daß die ideale Malerei und
mit ihr der monumentale Stil zu allen Zeiten in Berlin ein kümmerliches
Dasein fristeten, sie haben aber auch dazu beigetragen, daß die Portraitmalerei
in Berlin sich zu einer ausnehmend hohen Blüthe entfaltet hat und daß sich
in Berlin so viele charaktervolle und eigengeartete Künstlerpersönlichkeiten ent¬
wickelt haben, wie es nur noch in Paris der Fall ist.

Carl Becker ist einer von diesen originellen Künstlern, deren Namen
man nur auszusprechen braucht, um sogleich eine bestimmte künstlerische Rich¬
tung damit auszudrücken. Aber er verdankt die Herausbildung seines künst¬
lerischen Charakters nicht der Berliner Akademie, nicht Heinrich Heß, nicht
Kaulbach. Er hatte zwar Gelegenheit, bei der Ausmalung des Niobidensaales
seine in München gesammelten Fertigkeiten zu verwerthen. Auch erzielte er
bereits 1850 mit einem Staffelleibilde „Belisar als Bettler", das jedoch noch
unter dem Einflüsse der herrschenden Düsseldorfer Schule stand, einen schönen
Erfolg. Aber seine heutige künstlerische Physiognomie entwickelte sich erst auf
wiederholten Studienreisen nach Oberitalien, besonders nach Venedig. In
Venedig wurzelt seine Kraft. Becker hat schon vor Jahrzehnten im Kleinen
versucht, was uns Makart später in kolossalen Maßstabe und mit größter
Prätension vor Augen geführt: eine Wiedergeburt der venetianischen Renaissance
im modernen Geiste. Wie Makart hielt sich auch Becker weniger an den
würdevollen Tizian als an den heiteren Veronese. Der Festesglanz, das
schöne Sein der farbenreichen, geheimnißvollen Lagunenstadt bot seiner ebenso
farbenreich gestimmten Palette die dankbarsten Stoffe. Er verzichtete auf einen
dramatischen Vorgang, höchstens läßt er die Anfänge einer Novelle, die Ein-
fädlung einer Intrigue aus dem Gewirr der glänzenden Figuren auftauchen,
die er mit seinem farbenglühenden Pinsel auf die Leinwand zaubert. Im
Grunde genommen folgte auch Becker der Bahn, welche die Düsseldorfer ge¬
brochen. Sie hatten zuerst wieder die Bedeutung malerischer Kostüme für die
Malerei dargethan und waren auch bereits in der Wiedergabe solcher Aeußer-
lichkeiten bis zu einer gewissen archäologischen Treue hindurchgedrungen. Man
braucht jedoch nur Bilder wie Th. Hildebrands „der Krieger und sein Kind"
und Carl Beckers „Karl V. bei Fugger" (beide in der Berliner National¬
galerie) zu vergleichen, um sich des Unterschieds bewußt zu werden. Heute


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0168" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139989"/>
          <p xml:id="ID_546" prev="#ID_545"> aber weniger ein Produkt der Nachahmung, als eine charakterische Eigen¬<lb/>
thümlichkeit Berlins sein mag. Jene Nüchternheit, die einen Cornelius auf<lb/>
das Tiefste verstimmte, jener kritische Zug, der einem Kaulbach bei seinen spitz¬<lb/>
findigen Spekulationen auf den Verstand des &#x201E;Bildungsphilisters" bald ent¬<lb/>
gegenkam, bald feindlich gegenübertrat &#x2014; sie sind so spezifisch preußische und<lb/>
Berliner Eigenthümlichkeiten, daß sie auch auf die Kunst von entscheidenden<lb/>
Einfluß werden mußten. Sie tragen die Schuld, daß die ideale Malerei und<lb/>
mit ihr der monumentale Stil zu allen Zeiten in Berlin ein kümmerliches<lb/>
Dasein fristeten, sie haben aber auch dazu beigetragen, daß die Portraitmalerei<lb/>
in Berlin sich zu einer ausnehmend hohen Blüthe entfaltet hat und daß sich<lb/>
in Berlin so viele charaktervolle und eigengeartete Künstlerpersönlichkeiten ent¬<lb/>
wickelt haben, wie es nur noch in Paris der Fall ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_547" next="#ID_548"> Carl Becker ist einer von diesen originellen Künstlern, deren Namen<lb/>
man nur auszusprechen braucht, um sogleich eine bestimmte künstlerische Rich¬<lb/>
tung damit auszudrücken. Aber er verdankt die Herausbildung seines künst¬<lb/>
lerischen Charakters nicht der Berliner Akademie, nicht Heinrich Heß, nicht<lb/>
Kaulbach. Er hatte zwar Gelegenheit, bei der Ausmalung des Niobidensaales<lb/>
seine in München gesammelten Fertigkeiten zu verwerthen. Auch erzielte er<lb/>
bereits 1850 mit einem Staffelleibilde &#x201E;Belisar als Bettler", das jedoch noch<lb/>
unter dem Einflüsse der herrschenden Düsseldorfer Schule stand, einen schönen<lb/>
Erfolg. Aber seine heutige künstlerische Physiognomie entwickelte sich erst auf<lb/>
wiederholten Studienreisen nach Oberitalien, besonders nach Venedig. In<lb/>
Venedig wurzelt seine Kraft. Becker hat schon vor Jahrzehnten im Kleinen<lb/>
versucht, was uns Makart später in kolossalen Maßstabe und mit größter<lb/>
Prätension vor Augen geführt: eine Wiedergeburt der venetianischen Renaissance<lb/>
im modernen Geiste. Wie Makart hielt sich auch Becker weniger an den<lb/>
würdevollen Tizian als an den heiteren Veronese. Der Festesglanz, das<lb/>
schöne Sein der farbenreichen, geheimnißvollen Lagunenstadt bot seiner ebenso<lb/>
farbenreich gestimmten Palette die dankbarsten Stoffe. Er verzichtete auf einen<lb/>
dramatischen Vorgang, höchstens läßt er die Anfänge einer Novelle, die Ein-<lb/>
fädlung einer Intrigue aus dem Gewirr der glänzenden Figuren auftauchen,<lb/>
die er mit seinem farbenglühenden Pinsel auf die Leinwand zaubert. Im<lb/>
Grunde genommen folgte auch Becker der Bahn, welche die Düsseldorfer ge¬<lb/>
brochen. Sie hatten zuerst wieder die Bedeutung malerischer Kostüme für die<lb/>
Malerei dargethan und waren auch bereits in der Wiedergabe solcher Aeußer-<lb/>
lichkeiten bis zu einer gewissen archäologischen Treue hindurchgedrungen. Man<lb/>
braucht jedoch nur Bilder wie Th. Hildebrands &#x201E;der Krieger und sein Kind"<lb/>
und Carl Beckers &#x201E;Karl V. bei Fugger" (beide in der Berliner National¬<lb/>
galerie) zu vergleichen, um sich des Unterschieds bewußt zu werden. Heute</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0168] aber weniger ein Produkt der Nachahmung, als eine charakterische Eigen¬ thümlichkeit Berlins sein mag. Jene Nüchternheit, die einen Cornelius auf das Tiefste verstimmte, jener kritische Zug, der einem Kaulbach bei seinen spitz¬ findigen Spekulationen auf den Verstand des „Bildungsphilisters" bald ent¬ gegenkam, bald feindlich gegenübertrat — sie sind so spezifisch preußische und Berliner Eigenthümlichkeiten, daß sie auch auf die Kunst von entscheidenden Einfluß werden mußten. Sie tragen die Schuld, daß die ideale Malerei und mit ihr der monumentale Stil zu allen Zeiten in Berlin ein kümmerliches Dasein fristeten, sie haben aber auch dazu beigetragen, daß die Portraitmalerei in Berlin sich zu einer ausnehmend hohen Blüthe entfaltet hat und daß sich in Berlin so viele charaktervolle und eigengeartete Künstlerpersönlichkeiten ent¬ wickelt haben, wie es nur noch in Paris der Fall ist. Carl Becker ist einer von diesen originellen Künstlern, deren Namen man nur auszusprechen braucht, um sogleich eine bestimmte künstlerische Rich¬ tung damit auszudrücken. Aber er verdankt die Herausbildung seines künst¬ lerischen Charakters nicht der Berliner Akademie, nicht Heinrich Heß, nicht Kaulbach. Er hatte zwar Gelegenheit, bei der Ausmalung des Niobidensaales seine in München gesammelten Fertigkeiten zu verwerthen. Auch erzielte er bereits 1850 mit einem Staffelleibilde „Belisar als Bettler", das jedoch noch unter dem Einflüsse der herrschenden Düsseldorfer Schule stand, einen schönen Erfolg. Aber seine heutige künstlerische Physiognomie entwickelte sich erst auf wiederholten Studienreisen nach Oberitalien, besonders nach Venedig. In Venedig wurzelt seine Kraft. Becker hat schon vor Jahrzehnten im Kleinen versucht, was uns Makart später in kolossalen Maßstabe und mit größter Prätension vor Augen geführt: eine Wiedergeburt der venetianischen Renaissance im modernen Geiste. Wie Makart hielt sich auch Becker weniger an den würdevollen Tizian als an den heiteren Veronese. Der Festesglanz, das schöne Sein der farbenreichen, geheimnißvollen Lagunenstadt bot seiner ebenso farbenreich gestimmten Palette die dankbarsten Stoffe. Er verzichtete auf einen dramatischen Vorgang, höchstens läßt er die Anfänge einer Novelle, die Ein- fädlung einer Intrigue aus dem Gewirr der glänzenden Figuren auftauchen, die er mit seinem farbenglühenden Pinsel auf die Leinwand zaubert. Im Grunde genommen folgte auch Becker der Bahn, welche die Düsseldorfer ge¬ brochen. Sie hatten zuerst wieder die Bedeutung malerischer Kostüme für die Malerei dargethan und waren auch bereits in der Wiedergabe solcher Aeußer- lichkeiten bis zu einer gewissen archäologischen Treue hindurchgedrungen. Man braucht jedoch nur Bilder wie Th. Hildebrands „der Krieger und sein Kind" und Carl Beckers „Karl V. bei Fugger" (beide in der Berliner National¬ galerie) zu vergleichen, um sich des Unterschieds bewußt zu werden. Heute

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/168
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/168>, abgerufen am 01.09.2024.