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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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kennen, ohne die entschiedene und wohlerwogene Uebereinstimmung für das
Ganze zu verleugnen.

Nur in einem nicht unwesentlichen Nebenpunkte muß ich mich zu einer
abweichenden Meinung bekennen. In Betreff der Unsterblichkeitsfrage sagt der
Verfasser: daß sie ein "Postulat", eine Menschheitshoffnung sei, für welche je¬
doch die "Erfahrung" fehle. Dies Letztere nun leugne ich entschieden, sofern
man nur es richtig verstehen will. Zunächst wäre es fürwahr ein dürftiger
Nothbehelf des Menschengeistes, in der allerentscheidendsten Frage über sein
Wesen und seine ganze Lebensstellung zu bloßen Postulaten und unbestimmten
Phantasiehoffnungen herabgedrückt zu sein. Schon an sich bleibt dies höchst
unwahrscheinlich, so gewiß im Ganzen des Menschendaseins unverkennbar und
ausnahmlos ein tiefzweckmäßiges Entsprechen zwischen seinem Wesensbedürfniß
und der von Außen kommenden Gewährung besteht. Und gerade in diesem
wichtigsten Punkte sollte eine Ausnahme stattfinden? Da ist nun an die un¬
bestrittene Thatsache von der Allverbreitung des Glaubens an Fortdauer
und an eine Geisterwelt zu erinnern, ganz unabhängig von dem verschiedenen
Culturgrade der Völker und der Zeiten. Es kommt darauf an, wie diese
Thatsache zu erklären sei. Dafür hat nun der Verfasser selbst uns die zu¬
treffendste Analogie dargeboten. Er folgert mit Ulrici u. A. (zu denen auch
ich gehöre) aus der Universalität des Neligionsgefühls, der "Gottesidee", im
Menschengeschlecht auf eine objective, transscendentale Ursache derselben; und er
wird darin wohl Recht behalten. Ganz dieselbe Folgerung möchte in jenem
analogen Falle wohl auch als die einzig haltbare sich bewähren. Doch wird
darüber an einem andern Orte ausführlicher zu reden sein.

Ungleich wichtiger bleibt mir und ist der eigentliche Zweck gegenwärtiger
Besprechung, auf die Bedeutung des Werkes dem wissenschaftlichen Bedürfniß
der Zeit gegenüber nachdrücklich hinzuweisen. Diese steht bekanntlich unter dem
Einfluß und der Autorität der "exacten Wissenschaften" mit ihren großen
naturwissenschaftlichen Entdeckungen. Solches ist wohlgethan und eigentlich
selbstverständlich; wenn nur jene Ergebnisse rein als solche festgehalten und
nicht von Unberufenen in fremde Wissensgebiete voreilig hinübergezogen wür¬
den. Dies ist geschehen; man hat sich daraus einen oberflächlichen Materialismus
und Nihilismus zusammengebaut, dessen Wirkungen auf die allgemeine Bildung nur
allzu sichtbar hervortreten. Diesem Gebahren tritt der Verfasser mit vernichtender
Kritik entgegen, indem er nicht nur die wissenschaftliche Hohlheit und UnHalt¬
barkeit jener Hypothesen zeigt, sondern auch das tief Culturfeindliche derselben,
welches weiter sich verbreitend unfehlbar auf den sittlichen Wohlstand unserer
Nation untergrabe. Wenn ein Häckel getrost zu einem bloß "theoretischen"


kennen, ohne die entschiedene und wohlerwogene Uebereinstimmung für das
Ganze zu verleugnen.

Nur in einem nicht unwesentlichen Nebenpunkte muß ich mich zu einer
abweichenden Meinung bekennen. In Betreff der Unsterblichkeitsfrage sagt der
Verfasser: daß sie ein „Postulat", eine Menschheitshoffnung sei, für welche je¬
doch die „Erfahrung" fehle. Dies Letztere nun leugne ich entschieden, sofern
man nur es richtig verstehen will. Zunächst wäre es fürwahr ein dürftiger
Nothbehelf des Menschengeistes, in der allerentscheidendsten Frage über sein
Wesen und seine ganze Lebensstellung zu bloßen Postulaten und unbestimmten
Phantasiehoffnungen herabgedrückt zu sein. Schon an sich bleibt dies höchst
unwahrscheinlich, so gewiß im Ganzen des Menschendaseins unverkennbar und
ausnahmlos ein tiefzweckmäßiges Entsprechen zwischen seinem Wesensbedürfniß
und der von Außen kommenden Gewährung besteht. Und gerade in diesem
wichtigsten Punkte sollte eine Ausnahme stattfinden? Da ist nun an die un¬
bestrittene Thatsache von der Allverbreitung des Glaubens an Fortdauer
und an eine Geisterwelt zu erinnern, ganz unabhängig von dem verschiedenen
Culturgrade der Völker und der Zeiten. Es kommt darauf an, wie diese
Thatsache zu erklären sei. Dafür hat nun der Verfasser selbst uns die zu¬
treffendste Analogie dargeboten. Er folgert mit Ulrici u. A. (zu denen auch
ich gehöre) aus der Universalität des Neligionsgefühls, der „Gottesidee", im
Menschengeschlecht auf eine objective, transscendentale Ursache derselben; und er
wird darin wohl Recht behalten. Ganz dieselbe Folgerung möchte in jenem
analogen Falle wohl auch als die einzig haltbare sich bewähren. Doch wird
darüber an einem andern Orte ausführlicher zu reden sein.

Ungleich wichtiger bleibt mir und ist der eigentliche Zweck gegenwärtiger
Besprechung, auf die Bedeutung des Werkes dem wissenschaftlichen Bedürfniß
der Zeit gegenüber nachdrücklich hinzuweisen. Diese steht bekanntlich unter dem
Einfluß und der Autorität der „exacten Wissenschaften" mit ihren großen
naturwissenschaftlichen Entdeckungen. Solches ist wohlgethan und eigentlich
selbstverständlich; wenn nur jene Ergebnisse rein als solche festgehalten und
nicht von Unberufenen in fremde Wissensgebiete voreilig hinübergezogen wür¬
den. Dies ist geschehen; man hat sich daraus einen oberflächlichen Materialismus
und Nihilismus zusammengebaut, dessen Wirkungen auf die allgemeine Bildung nur
allzu sichtbar hervortreten. Diesem Gebahren tritt der Verfasser mit vernichtender
Kritik entgegen, indem er nicht nur die wissenschaftliche Hohlheit und UnHalt¬
barkeit jener Hypothesen zeigt, sondern auch das tief Culturfeindliche derselben,
welches weiter sich verbreitend unfehlbar auf den sittlichen Wohlstand unserer
Nation untergrabe. Wenn ein Häckel getrost zu einem bloß „theoretischen"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/163>, abgerufen am 01.09.2024.