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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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nur getrennt von einander durch schnelle Steinbarke. Diese Abschnitte sind
die "Särge" der Parsis.

Jeder Kreis offener Steinsärge wird vom nächsten dnrch einen Pfad ge¬
trennt, so daß also drei kreisförmige Pfade vorhanden sind, deren letzter die
Mündung des Schachtes umgiebt. Durchschnitten werden die Pfade von einem
vierten Wege, der von der einzigen Thüre des Thurmes in das Innere führt
und den Leichenträgern den Eintritt gestattet. Die drei Kreise von "Särgen"
haben jeder seine besondere Bestimmung. In deu äußeren werden die Männer,
in den mittleren die Frauen, in den innersten die Kinder gelegt.

Während nun Williams sich über diese Einrichtung der Thürme des
Schweigens unterrichtete, bemerkte er eine plötzliche Bewegung unter den bisher
ohne Rührung dasitzenden Geiern, die ihre Köpfe zu erheben begannen.
Wenigstens hundert dieser Vögel begannen mit den Flügeln zu schlagen, wäh¬
rend andere von den nahen Bäumen zu dem Thurme geflogen kamen. Die
Ursache dieser Unruhe zeigte sich bald, denn ein Leichenzug nahte. Wie fern
auch das Haus eines verstorbenen Parsi gelegen sein mag, gleichviel ob er
arm oder reich, ob er hochstehend oder niedrig, sein Körper wird stets von den
officiellen Leichenträgern, den Nasa Salair, zur Ruhe gebracht; hinter thuen
schreiten die Trauernden her. Diese Nasa salar bilden eine besondere Klasse,
sie werden durch ihr Geschäft "unrein", müssen fern von den übrigen Parsi
leben, werden aber sehr gut bezahlt.

Ehe der Körper aus dem Sterbehause zu dem Thurme des Schweigens
gebracht wird, sprechen die Verwandten die Leichengebete und führen einen
Hund zu dem Verstorbenen. Letztere Ceremonie, Sagdid genannt, ist uner¬
läßlich. Der Hund ist bei den Parsis heilig. Alsdann wird der Leichnam,
in ein weißes Laken gehüllt, in einen an beiden Enden offenen metallnen Trog gelegt
und die Leichenträger, die auch weiß gekleidet sind, tragen ihn zu den Thürmen.
Dreißig Schritte hinter ihnen schreiten die Leidtragenden, paarweise, weiß ge¬
kleidet und jeder ein weißes Tuch in der Hand haltend. Das Begräbniß, dem
Williams beiwohnte, war das eines Kindes. Als die Leichenträger beim
Thurme anlangten, blieben die Leidtragenden zurück und begaben sich in das
Gebethaus, wo sie die Gathas sprachen.

In dem zum Begräbnisse auserwählten Thurme waren bereits mehrere
Mitglieder der Familie beigesetzt worden, welcher die Leiche des Kindes ange¬
hörte. Schnell öffneten die beiden Leichenträger das Thor und brachten den
Körper des Kindes ins Innere, wo sie denselben, ohne daß es Jemand sah, in
einen der offenen Steinsürge in der Nähe des Mittelpunktes des Thurmes nieder¬
legten. Nach zwei Minuten erschienen sie wieder mit dem Leichentuche nud
der leeren Metallhülse. Die Thür war noch nicht geschlossen als die Geier


nur getrennt von einander durch schnelle Steinbarke. Diese Abschnitte sind
die „Särge" der Parsis.

Jeder Kreis offener Steinsärge wird vom nächsten dnrch einen Pfad ge¬
trennt, so daß also drei kreisförmige Pfade vorhanden sind, deren letzter die
Mündung des Schachtes umgiebt. Durchschnitten werden die Pfade von einem
vierten Wege, der von der einzigen Thüre des Thurmes in das Innere führt
und den Leichenträgern den Eintritt gestattet. Die drei Kreise von „Särgen"
haben jeder seine besondere Bestimmung. In deu äußeren werden die Männer,
in den mittleren die Frauen, in den innersten die Kinder gelegt.

Während nun Williams sich über diese Einrichtung der Thürme des
Schweigens unterrichtete, bemerkte er eine plötzliche Bewegung unter den bisher
ohne Rührung dasitzenden Geiern, die ihre Köpfe zu erheben begannen.
Wenigstens hundert dieser Vögel begannen mit den Flügeln zu schlagen, wäh¬
rend andere von den nahen Bäumen zu dem Thurme geflogen kamen. Die
Ursache dieser Unruhe zeigte sich bald, denn ein Leichenzug nahte. Wie fern
auch das Haus eines verstorbenen Parsi gelegen sein mag, gleichviel ob er
arm oder reich, ob er hochstehend oder niedrig, sein Körper wird stets von den
officiellen Leichenträgern, den Nasa Salair, zur Ruhe gebracht; hinter thuen
schreiten die Trauernden her. Diese Nasa salar bilden eine besondere Klasse,
sie werden durch ihr Geschäft „unrein", müssen fern von den übrigen Parsi
leben, werden aber sehr gut bezahlt.

Ehe der Körper aus dem Sterbehause zu dem Thurme des Schweigens
gebracht wird, sprechen die Verwandten die Leichengebete und führen einen
Hund zu dem Verstorbenen. Letztere Ceremonie, Sagdid genannt, ist uner¬
läßlich. Der Hund ist bei den Parsis heilig. Alsdann wird der Leichnam,
in ein weißes Laken gehüllt, in einen an beiden Enden offenen metallnen Trog gelegt
und die Leichenträger, die auch weiß gekleidet sind, tragen ihn zu den Thürmen.
Dreißig Schritte hinter ihnen schreiten die Leidtragenden, paarweise, weiß ge¬
kleidet und jeder ein weißes Tuch in der Hand haltend. Das Begräbniß, dem
Williams beiwohnte, war das eines Kindes. Als die Leichenträger beim
Thurme anlangten, blieben die Leidtragenden zurück und begaben sich in das
Gebethaus, wo sie die Gathas sprachen.

In dem zum Begräbnisse auserwählten Thurme waren bereits mehrere
Mitglieder der Familie beigesetzt worden, welcher die Leiche des Kindes ange¬
hörte. Schnell öffneten die beiden Leichenträger das Thor und brachten den
Körper des Kindes ins Innere, wo sie denselben, ohne daß es Jemand sah, in
einen der offenen Steinsürge in der Nähe des Mittelpunktes des Thurmes nieder¬
legten. Nach zwei Minuten erschienen sie wieder mit dem Leichentuche nud
der leeren Metallhülse. Die Thür war noch nicht geschlossen als die Geier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/153>, abgerufen am 01.09.2024.