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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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über bedeckt mit jenen unverwüstlichen Lettern, die mit irgend einem scharfen
metallnen Instrumente von dem assyrischen Literaten in den noch weichen
Thon eingegraben worden sind. Die Bestimmtheit und Schärfe dieser Züge,
die Sicherheit der schreibenden Hand, der zarte Haar- und feste Grundstrich:
hier ist vollkommene Meisterschaft moderner Schönschreibung. Denn senkrecht
drängen sich diese Zeilen etwa so eng aneinander als die Korpusminuskel dieser
Zeitschrift, und wagerecht sind die Buchstaben wie in manchen hebräischen Drucken
oft auseinandergezogen, und die Zeile ist durch kühne, charaktervolle Schnörkel
zum erwünschte,: Sinn- und Linienende gebracht. -- Wie wurden diese ältesten
Bücher der Welt verfaßt? Eine Handvoll weichen Thon nahm der alte
Schreiber, knetete ihn, rollte ihn glatt, entfernte alle Unebenheiten, Steinchen
und Sandkörnchen aus ihm, schnitt die Enden je nach dem Bedürfnis der
auszumauernden Wandfläche scharf ab, erhöhte den Rand dieses thönernen
"Bogens" und mit einem harten, scharfen Griffel, z. B. einem Nagel kratzte
er diese ewigen Worte in den weichen Grund in wahrhaft künstlerischer Voll¬
endung, dann wanderte das weiche NL. zu dem Töpfer in den Ofen und
wurde da "stereotypirt;" unter dem Schutze des Tigrissandes ist es noch jetzt,
nach Jahrtausenden, "im Satze." Und nachdem der Thon nun dnrch die
Hand eines Chemikers ans dein 19. Jahrh, n. Chr. gewandert, ist dieses
Kapitel aus der assyrischen Vorzeit "für den Eingeweihten so klar und deutlich,
bis auf die Lücken anch so vollständig zu lesen*) wie Raukes Geschichte der
Päpste." -- Aber für den Uneingeweihten welche sinnverwirrenden Räthsel! --
Wie, wann und von wein wurde der Schlüssel zu ihnen gefunden?

Die Form der dieses reiche Jnschriftenmaterial bildenden Zeichen war
eine von derjenigen unserer d. i. der phönizischen Schrift durchaus abweichende
und hatte zunächst mit keinem bekannten Alphabete die geringste Verwandtschaft.
Durchweg bestand sie aus vertikalen, horizontalen und schrägen Keilen, sowie
aus Winkeln, welche die mannichfachsten Kombinationen zuließen. Ein Anhalt
zur Entzifferung ergab sich anfänglich gar uicht, bis sich, wie in dem Steine
von Rosette für die ägyptischen Hieroglyphen, in Persepolis eine Polyglotte
für die Keilschrift fand. In den Ruinen dieser Stadt wurden nämlich Königs¬
bilder mit dreisprachigen Überschriften, die sogenannte Achämenidentafel, ge¬
funden. Unser Landsmann Grotefend vermuthete nun mit Recht in den un¬
bekannten Lettern der ersten persischen Kolumne die Namen und Titel der
darunter abgebildeten Könige -- Erbauer der persepolitanischen Paläste waren
Achämeniden gewesen, deren Namen sämmtlich ans griechischen und jüdischen
Quellen bekannt waren. Nun haben aber für das Entzifferungsgeschäft von



et. 6. Lmltd, vilain. ^.vo, <ik Lion,, xidjz. 9.

über bedeckt mit jenen unverwüstlichen Lettern, die mit irgend einem scharfen
metallnen Instrumente von dem assyrischen Literaten in den noch weichen
Thon eingegraben worden sind. Die Bestimmtheit und Schärfe dieser Züge,
die Sicherheit der schreibenden Hand, der zarte Haar- und feste Grundstrich:
hier ist vollkommene Meisterschaft moderner Schönschreibung. Denn senkrecht
drängen sich diese Zeilen etwa so eng aneinander als die Korpusminuskel dieser
Zeitschrift, und wagerecht sind die Buchstaben wie in manchen hebräischen Drucken
oft auseinandergezogen, und die Zeile ist durch kühne, charaktervolle Schnörkel
zum erwünschte,: Sinn- und Linienende gebracht. — Wie wurden diese ältesten
Bücher der Welt verfaßt? Eine Handvoll weichen Thon nahm der alte
Schreiber, knetete ihn, rollte ihn glatt, entfernte alle Unebenheiten, Steinchen
und Sandkörnchen aus ihm, schnitt die Enden je nach dem Bedürfnis der
auszumauernden Wandfläche scharf ab, erhöhte den Rand dieses thönernen
„Bogens" und mit einem harten, scharfen Griffel, z. B. einem Nagel kratzte
er diese ewigen Worte in den weichen Grund in wahrhaft künstlerischer Voll¬
endung, dann wanderte das weiche NL. zu dem Töpfer in den Ofen und
wurde da „stereotypirt;" unter dem Schutze des Tigrissandes ist es noch jetzt,
nach Jahrtausenden, „im Satze." Und nachdem der Thon nun dnrch die
Hand eines Chemikers ans dein 19. Jahrh, n. Chr. gewandert, ist dieses
Kapitel aus der assyrischen Vorzeit „für den Eingeweihten so klar und deutlich,
bis auf die Lücken anch so vollständig zu lesen*) wie Raukes Geschichte der
Päpste." — Aber für den Uneingeweihten welche sinnverwirrenden Räthsel! —
Wie, wann und von wein wurde der Schlüssel zu ihnen gefunden?

Die Form der dieses reiche Jnschriftenmaterial bildenden Zeichen war
eine von derjenigen unserer d. i. der phönizischen Schrift durchaus abweichende
und hatte zunächst mit keinem bekannten Alphabete die geringste Verwandtschaft.
Durchweg bestand sie aus vertikalen, horizontalen und schrägen Keilen, sowie
aus Winkeln, welche die mannichfachsten Kombinationen zuließen. Ein Anhalt
zur Entzifferung ergab sich anfänglich gar uicht, bis sich, wie in dem Steine
von Rosette für die ägyptischen Hieroglyphen, in Persepolis eine Polyglotte
für die Keilschrift fand. In den Ruinen dieser Stadt wurden nämlich Königs¬
bilder mit dreisprachigen Überschriften, die sogenannte Achämenidentafel, ge¬
funden. Unser Landsmann Grotefend vermuthete nun mit Recht in den un¬
bekannten Lettern der ersten persischen Kolumne die Namen und Titel der
darunter abgebildeten Könige — Erbauer der persepolitanischen Paläste waren
Achämeniden gewesen, deren Namen sämmtlich ans griechischen und jüdischen
Quellen bekannt waren. Nun haben aber für das Entzifferungsgeschäft von



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/12>, abgerufen am 01.09.2024.