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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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Geschöpf zieht ab und verdunkelt nicht mehr die Schwelle ihres Tyrannen.
Das ist in der Türkei Ehe- und Scheidungsgesetz, wohlgemerkt jedoch das ein¬
seitige -- denn das Weib kann dem Manne gegenüber nicht dieselben Worte
der Scheidung aussprechen. Wohl aber verfügt in der Türkei die Frau voll¬
ständig über ihr Eigenthum, wenigstens dem Gesetze nach, doch ist sie in der
That auch hier so sehr vom Manne abhängig, daß sie ohne ihn nicht einen
Groschen ausgeben darf.

In der That wird aber die Ehescheidung nicht oft und nicht so schnell
durch die angeführten Worte vollzogen, das unglückliche Paar lebt weiter zu¬
sammen und der Eheherr kann vermöge der Polygamie noch glücklich werden.
Jzzed Bey darf bis zu vier Weibern auf einmal haben, wenn er nämlich die
Mittel dazu besitzt, zu denen er dann noch eine beliebige Zahl Sklavinnen
fügen darf. Zerah bleibt sein "erstes" Weib; er fügt dazu "die zweite"; dann
eine dritte, welche offiziell "die mittlere" heißt und endlich eine vierte, welche
sich des Titels "die Kleine" erfreut und obwohl die letzte in der Reihe doch
im Herzen Jzzeds die erste ist. Wir in Europa wissen schon, wie theuer ein
Weib ist; man erkennt daraus, daß die Polygamie in der Türkei durch die
großen Kosten, welche sie verursacht, beschränkt werden muß. Die vier Weiber
leben nun allerdings unter einem Dache; doch jedes derselben hat seine beson¬
deren Zimmer, Sklavinnen und Einrichtungen für die Kinder; jedes will seine
besonderen Vergnügungen, seine besonderen schönen Kleider, will bei Spazier¬
fahrten von Eunuchen begleitet sein. Polygamie ist also eine Geldfrage und
weil sie das ist, entstehen in der Türkei zwei Eherechte -- eins für die Reichen,
das Andere für die Armen. Der gewöhnliche Türke ist gerade so zufrieden
oder unzufrieden mit einem Weibe wie wir, wird er reicher, begünstigt ihn das
Glück, so nimmt er sich noch ein Weib dazu, wie bei uns etwa ein Wohl¬
habender seine Dienerschaft vermehrt, Wagen und Pferde anschafft und so
weiter. Die leichten Scheidungen ermöglichen dankt auch ein praktisches lleber-
schreiten der Zahl Vier und so kann ein echter Türke, ehe er ins Grab steigt,
mehr Frauen gehabt haben, als er an den Fingern zu zählen vermag.

Aber die legitimen Ehen, so wie wir sie zwischen Jzzed und Zerah schil¬
derten, nehmen Zeit in Anspruch, sind unbequem. Das kaun umgangen werden,
wenn man sich zu einem Sklavenhändler begiebt, bei dem es nicht an Aus¬
wahl fehlt, wenn auch der eigentliche öffentliche Sklavenbazar schon lange nicht
mehr existirt. Wer zu Hadschi Abdallcch geht, welcher die beste Waare hat,
braucht nicht die Katze im Sacke zu kaufen, kann seine Auswahl unter den
entblößten Mädchen treffen. Es fällt gar Niemandem ein, das Vorhandensein
dieses Menschenkaufs zu leugnen -- daß aber mit einem solchen Schandmal
an der Stirne die Türkei nicht ebenbürtig in die Reihe der europäischen Kul-


Geschöpf zieht ab und verdunkelt nicht mehr die Schwelle ihres Tyrannen.
Das ist in der Türkei Ehe- und Scheidungsgesetz, wohlgemerkt jedoch das ein¬
seitige — denn das Weib kann dem Manne gegenüber nicht dieselben Worte
der Scheidung aussprechen. Wohl aber verfügt in der Türkei die Frau voll¬
ständig über ihr Eigenthum, wenigstens dem Gesetze nach, doch ist sie in der
That auch hier so sehr vom Manne abhängig, daß sie ohne ihn nicht einen
Groschen ausgeben darf.

In der That wird aber die Ehescheidung nicht oft und nicht so schnell
durch die angeführten Worte vollzogen, das unglückliche Paar lebt weiter zu¬
sammen und der Eheherr kann vermöge der Polygamie noch glücklich werden.
Jzzed Bey darf bis zu vier Weibern auf einmal haben, wenn er nämlich die
Mittel dazu besitzt, zu denen er dann noch eine beliebige Zahl Sklavinnen
fügen darf. Zerah bleibt sein „erstes" Weib; er fügt dazu „die zweite"; dann
eine dritte, welche offiziell „die mittlere" heißt und endlich eine vierte, welche
sich des Titels „die Kleine" erfreut und obwohl die letzte in der Reihe doch
im Herzen Jzzeds die erste ist. Wir in Europa wissen schon, wie theuer ein
Weib ist; man erkennt daraus, daß die Polygamie in der Türkei durch die
großen Kosten, welche sie verursacht, beschränkt werden muß. Die vier Weiber
leben nun allerdings unter einem Dache; doch jedes derselben hat seine beson¬
deren Zimmer, Sklavinnen und Einrichtungen für die Kinder; jedes will seine
besonderen Vergnügungen, seine besonderen schönen Kleider, will bei Spazier¬
fahrten von Eunuchen begleitet sein. Polygamie ist also eine Geldfrage und
weil sie das ist, entstehen in der Türkei zwei Eherechte — eins für die Reichen,
das Andere für die Armen. Der gewöhnliche Türke ist gerade so zufrieden
oder unzufrieden mit einem Weibe wie wir, wird er reicher, begünstigt ihn das
Glück, so nimmt er sich noch ein Weib dazu, wie bei uns etwa ein Wohl¬
habender seine Dienerschaft vermehrt, Wagen und Pferde anschafft und so
weiter. Die leichten Scheidungen ermöglichen dankt auch ein praktisches lleber-
schreiten der Zahl Vier und so kann ein echter Türke, ehe er ins Grab steigt,
mehr Frauen gehabt haben, als er an den Fingern zu zählen vermag.

Aber die legitimen Ehen, so wie wir sie zwischen Jzzed und Zerah schil¬
derten, nehmen Zeit in Anspruch, sind unbequem. Das kaun umgangen werden,
wenn man sich zu einem Sklavenhändler begiebt, bei dem es nicht an Aus¬
wahl fehlt, wenn auch der eigentliche öffentliche Sklavenbazar schon lange nicht
mehr existirt. Wer zu Hadschi Abdallcch geht, welcher die beste Waare hat,
braucht nicht die Katze im Sacke zu kaufen, kann seine Auswahl unter den
entblößten Mädchen treffen. Es fällt gar Niemandem ein, das Vorhandensein
dieses Menschenkaufs zu leugnen — daß aber mit einem solchen Schandmal
an der Stirne die Türkei nicht ebenbürtig in die Reihe der europäischen Kul-


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[0112] Geschöpf zieht ab und verdunkelt nicht mehr die Schwelle ihres Tyrannen. Das ist in der Türkei Ehe- und Scheidungsgesetz, wohlgemerkt jedoch das ein¬ seitige — denn das Weib kann dem Manne gegenüber nicht dieselben Worte der Scheidung aussprechen. Wohl aber verfügt in der Türkei die Frau voll¬ ständig über ihr Eigenthum, wenigstens dem Gesetze nach, doch ist sie in der That auch hier so sehr vom Manne abhängig, daß sie ohne ihn nicht einen Groschen ausgeben darf. In der That wird aber die Ehescheidung nicht oft und nicht so schnell durch die angeführten Worte vollzogen, das unglückliche Paar lebt weiter zu¬ sammen und der Eheherr kann vermöge der Polygamie noch glücklich werden. Jzzed Bey darf bis zu vier Weibern auf einmal haben, wenn er nämlich die Mittel dazu besitzt, zu denen er dann noch eine beliebige Zahl Sklavinnen fügen darf. Zerah bleibt sein „erstes" Weib; er fügt dazu „die zweite"; dann eine dritte, welche offiziell „die mittlere" heißt und endlich eine vierte, welche sich des Titels „die Kleine" erfreut und obwohl die letzte in der Reihe doch im Herzen Jzzeds die erste ist. Wir in Europa wissen schon, wie theuer ein Weib ist; man erkennt daraus, daß die Polygamie in der Türkei durch die großen Kosten, welche sie verursacht, beschränkt werden muß. Die vier Weiber leben nun allerdings unter einem Dache; doch jedes derselben hat seine beson¬ deren Zimmer, Sklavinnen und Einrichtungen für die Kinder; jedes will seine besonderen Vergnügungen, seine besonderen schönen Kleider, will bei Spazier¬ fahrten von Eunuchen begleitet sein. Polygamie ist also eine Geldfrage und weil sie das ist, entstehen in der Türkei zwei Eherechte — eins für die Reichen, das Andere für die Armen. Der gewöhnliche Türke ist gerade so zufrieden oder unzufrieden mit einem Weibe wie wir, wird er reicher, begünstigt ihn das Glück, so nimmt er sich noch ein Weib dazu, wie bei uns etwa ein Wohl¬ habender seine Dienerschaft vermehrt, Wagen und Pferde anschafft und so weiter. Die leichten Scheidungen ermöglichen dankt auch ein praktisches lleber- schreiten der Zahl Vier und so kann ein echter Türke, ehe er ins Grab steigt, mehr Frauen gehabt haben, als er an den Fingern zu zählen vermag. Aber die legitimen Ehen, so wie wir sie zwischen Jzzed und Zerah schil¬ derten, nehmen Zeit in Anspruch, sind unbequem. Das kaun umgangen werden, wenn man sich zu einem Sklavenhändler begiebt, bei dem es nicht an Aus¬ wahl fehlt, wenn auch der eigentliche öffentliche Sklavenbazar schon lange nicht mehr existirt. Wer zu Hadschi Abdallcch geht, welcher die beste Waare hat, braucht nicht die Katze im Sacke zu kaufen, kann seine Auswahl unter den entblößten Mädchen treffen. Es fällt gar Niemandem ein, das Vorhandensein dieses Menschenkaufs zu leugnen — daß aber mit einem solchen Schandmal an der Stirne die Türkei nicht ebenbürtig in die Reihe der europäischen Kul-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/112>, abgerufen am 27.07.2024.