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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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süßen Ueberzeugung von einem künftigen seligen Leben befestigt wird." Wenig
ahnte der rechtgläubige Pastor, der doch in Hamburg mit Reimarus zu¬
sammenlebte, daß er einen noch viel schlimmeren Ketzer pries als Edelmann!

Das ketzerische Blut konnte auch Lessing nicht verleugnen, so oft er sich
des überlieferten Christenthums anzunehmen schien. Man hatte den Philosophen
Cardanus beschuldigt, in einem Gespräch zwischen Vertretern der verschiedenen
Religionen des Christenthum verleumdet zu haben; in einer seiner "Rettungen"
erweist Lessing, daß er vielmehr gegen die andern Bekenntnisse ungerecht ge¬
wesen sei. "Man sieht es wohl, mein guter Cardan!" läßt er einen Mohame-
daner sagen, "daß du ein Christ bist, und daß dein Versuch nicht sowohl gewesen
ist, die Religionen zu vergleichen, als die christliche so leicht als möglich trium-
phiren zu lassen. Gleich Anfangs bin ich schlecht mit Kir zufrieden, daß du die
Lehren unsers Mohamed in eine Classe setzest, in welche sie gar nicht gehören.
Was der Jude und der Christ seine Religion nennt, ist ein Wirrwaar von
Sätzen, die eine gesunde Vernunft nie für die ihrigen erkennen wird. Sie be¬
rufen sich alle auf höhere Offenbarungen: durch diese wollen sie Wahrheiten
überkommen haben, die vielleicht in einer andern möglichen Welt, nur nicht in
der unsrigen, Wahrheiten sein können. Sie nennen sie daher Geheimnisse; sie
sind es, welche die grobsinnlichsten Begriffe vom Göttlichen erzeugen, den Geist
zu unfruchtbaren Betrachtungen verführen und ihm ein Ungeheuer bilden, welches
ihr den Glauben nennt. Diesem gebt ihr die Schlüssel des Himmels und der
Höllen; und Glücks genug für die Tugend, daß ihr sie mit genauer Noth zu
einer etwaigen Begleiterin desselben macht! Die Verehrung heiliger Hiruge-
spinster macht bei euch ohne alle Gerechtigkeit selig. -- Wirf einen Blick auf
unser Gesetz! was findest du darin, das nicht mit der strengsten Vernunft über¬
einkomme? Wir glauben einen einigen Gott; wir glauben eine zukünftige Strafe
und Belohnung nach Maßgabe unsrer Thaten. Dies glauben wir, oder viel¬
mehr, damit ich eure entheiligten Worte nicht brauche, davon sind wir überzeugt,
und sonst von nichts! Weißt du also, was dir obliegt, wenn du gegen uns
streiten willst? Du !,mußt die Unzulänglichkeit unsrer Lehrsätze beweisen! du
mußt beweisen, daß der Mensch zu mehr verbunden ist, als Gott zu kennen
und tugendhaft zu sein; oder wenigstens, daß ihn beides die Vernunft nicht
lehren kann, die ihm doch eben dazu gegeben ward! schwatze nicht von Wundern,
wenn du das Christenthum über uns erheben willst. Mohamed hat niemals
dergleichen thun wollen. Nur der braucht Wunder zu thun, welcher unbegreif¬
liche Dinge zu überreden hat, um das eine Unbegreifliche mit dein andern
wahrscheinlich zu machen; der aber nicht, welcher nichts als Lehren vorträgt,
deren Probirstein ein Jeder bei sich führt. Wenn Einer aufsteht und sagt: ich
bin der Sohn Gottes! so ist es billig, daß man ihm zuruft: thue etwas, was


süßen Ueberzeugung von einem künftigen seligen Leben befestigt wird." Wenig
ahnte der rechtgläubige Pastor, der doch in Hamburg mit Reimarus zu¬
sammenlebte, daß er einen noch viel schlimmeren Ketzer pries als Edelmann!

Das ketzerische Blut konnte auch Lessing nicht verleugnen, so oft er sich
des überlieferten Christenthums anzunehmen schien. Man hatte den Philosophen
Cardanus beschuldigt, in einem Gespräch zwischen Vertretern der verschiedenen
Religionen des Christenthum verleumdet zu haben; in einer seiner „Rettungen"
erweist Lessing, daß er vielmehr gegen die andern Bekenntnisse ungerecht ge¬
wesen sei. „Man sieht es wohl, mein guter Cardan!" läßt er einen Mohame-
daner sagen, „daß du ein Christ bist, und daß dein Versuch nicht sowohl gewesen
ist, die Religionen zu vergleichen, als die christliche so leicht als möglich trium-
phiren zu lassen. Gleich Anfangs bin ich schlecht mit Kir zufrieden, daß du die
Lehren unsers Mohamed in eine Classe setzest, in welche sie gar nicht gehören.
Was der Jude und der Christ seine Religion nennt, ist ein Wirrwaar von
Sätzen, die eine gesunde Vernunft nie für die ihrigen erkennen wird. Sie be¬
rufen sich alle auf höhere Offenbarungen: durch diese wollen sie Wahrheiten
überkommen haben, die vielleicht in einer andern möglichen Welt, nur nicht in
der unsrigen, Wahrheiten sein können. Sie nennen sie daher Geheimnisse; sie
sind es, welche die grobsinnlichsten Begriffe vom Göttlichen erzeugen, den Geist
zu unfruchtbaren Betrachtungen verführen und ihm ein Ungeheuer bilden, welches
ihr den Glauben nennt. Diesem gebt ihr die Schlüssel des Himmels und der
Höllen; und Glücks genug für die Tugend, daß ihr sie mit genauer Noth zu
einer etwaigen Begleiterin desselben macht! Die Verehrung heiliger Hiruge-
spinster macht bei euch ohne alle Gerechtigkeit selig. — Wirf einen Blick auf
unser Gesetz! was findest du darin, das nicht mit der strengsten Vernunft über¬
einkomme? Wir glauben einen einigen Gott; wir glauben eine zukünftige Strafe
und Belohnung nach Maßgabe unsrer Thaten. Dies glauben wir, oder viel¬
mehr, damit ich eure entheiligten Worte nicht brauche, davon sind wir überzeugt,
und sonst von nichts! Weißt du also, was dir obliegt, wenn du gegen uns
streiten willst? Du !,mußt die Unzulänglichkeit unsrer Lehrsätze beweisen! du
mußt beweisen, daß der Mensch zu mehr verbunden ist, als Gott zu kennen
und tugendhaft zu sein; oder wenigstens, daß ihn beides die Vernunft nicht
lehren kann, die ihm doch eben dazu gegeben ward! schwatze nicht von Wundern,
wenn du das Christenthum über uns erheben willst. Mohamed hat niemals
dergleichen thun wollen. Nur der braucht Wunder zu thun, welcher unbegreif¬
liche Dinge zu überreden hat, um das eine Unbegreifliche mit dein andern
wahrscheinlich zu machen; der aber nicht, welcher nichts als Lehren vorträgt,
deren Probirstein ein Jeder bei sich führt. Wenn Einer aufsteht und sagt: ich
bin der Sohn Gottes! so ist es billig, daß man ihm zuruft: thue etwas, was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/104>, abgerufen am 27.07.2024.