Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

rechtmacherei, sondern absichtlichen Lug und Trug nachzuweisen. Christus und
seine Apostel waren ihm die reinen Betrüger.

Dies Manuscript verschloß Reimarus sorgfältig in sein Pult. Keiner
seiner Freunde hatte Ahnung von seinen Gesinnungen. Er wollte sich seine
Lehrerstelle, in der er segensreich wirkte, nicht verkümmern lassen. Er machte
die nothwendigen Gebräuche mit, die er doch innerlich verachtete.

"Wer würde wohl in einer so ernsten Sache wider seine Ueberzeugung
öffentliche Handlungen begehn, die ihm ein Ekel und ein Aergerniß sind, wer
würde seine wahre Meinung, deren er sich sonst gar nicht zu schämen hätte,
vor seinen Freuden beständig verhehlen; wer würde seine eignen Kinder in Schulen
schicken, da sie nach seiner Einsicht von der wahren Religion zu einem blinden
Aberglauben geführt werden: -- wenn er es nicht aus großer Furcht für den
Verlust seiner ganzen zeitlichen Wohlfahrt zu thun genöthigt wäre? -- Die
Herren Prediger mögen gewiß glauben, daß ein ehrlicher, Mann seinem Ge¬
müth keine geringe Qual anthut, wenn er sich sein ganzes Leben verstellen
muß. Was soll er aber anfangen? Man würde ihm Freundschaft, Umgang,
Handel und Wandel versagen, und ihn als einen Ruchlosen meiden. Welcher
gute Bürger würde seine Tochter wissentlich einem Unchristen zur Ehe geben?
und wie würde die, so in seinen Armen schläft, wenn sie dereinst ihres Mannes
wahre Meinung vom Christenthum erführe, nach ihrer Schwachheit ängstlich
thun und den Herrn Beichtvater auftehn, daß er doch ihren auf solche verdamm-
licher Wege gerathenen Mann bekehren möchte? Was ist also an der Heuchelei
so vieler vernünftiger Menschen anders schuld, als der Glaubenszwang, welchen
die Herren Prediger vermöge ihrer Verfolgungen den Bekennern einer natür¬
lichen Religion bis an ihren Tod anlegen?"

Als lebendiges Beispiel dieses Glaubenszwangs ging in Berlin Edel¬
mann (57 I.) umher, den Moses Oel. 1755 aufsuchte: er fand ihn gedrückt,
ängstlich, und dabei fade und unbedeutend. Freilich muß man etwas auf den
Gegensatz des Deisten und Pantheisteu rechnen. In seiner Einsamkeit zeichnete
Edelmann die Erinnerungen seines Lebens auf. Noch immer donnerten
die Prediger gegen ihn von den Kanzeln; einer derselben, Pratje, zählte alle
seine Schandthaten auf und versah das Buch sogar mit einem Portrait des
berüchtigten Spötters. Zum Schluß empfahl er als Gegengift das Buch von
Reimarus; er nannte seine Absicht "rühmlich und verehrungswürdig;" er
billigte auch seine Methode. "Da die metaphysischen Demonstrationen den
meisten Menschen zu trocken, oder zu weitläufig, aber zu unfaßlich sind, so hat
er sich derselben wohlbedächtig enthalten. Er hat von seiner großen Kenntniß
der Natur einen vortrefflichen Gebrauch gemacht: er weiß sie so anzuwenden,
daß der Leser auf die Erkenntniß Gottes und seiner Herrlichkeit und in der


rechtmacherei, sondern absichtlichen Lug und Trug nachzuweisen. Christus und
seine Apostel waren ihm die reinen Betrüger.

Dies Manuscript verschloß Reimarus sorgfältig in sein Pult. Keiner
seiner Freunde hatte Ahnung von seinen Gesinnungen. Er wollte sich seine
Lehrerstelle, in der er segensreich wirkte, nicht verkümmern lassen. Er machte
die nothwendigen Gebräuche mit, die er doch innerlich verachtete.

„Wer würde wohl in einer so ernsten Sache wider seine Ueberzeugung
öffentliche Handlungen begehn, die ihm ein Ekel und ein Aergerniß sind, wer
würde seine wahre Meinung, deren er sich sonst gar nicht zu schämen hätte,
vor seinen Freuden beständig verhehlen; wer würde seine eignen Kinder in Schulen
schicken, da sie nach seiner Einsicht von der wahren Religion zu einem blinden
Aberglauben geführt werden: — wenn er es nicht aus großer Furcht für den
Verlust seiner ganzen zeitlichen Wohlfahrt zu thun genöthigt wäre? — Die
Herren Prediger mögen gewiß glauben, daß ein ehrlicher, Mann seinem Ge¬
müth keine geringe Qual anthut, wenn er sich sein ganzes Leben verstellen
muß. Was soll er aber anfangen? Man würde ihm Freundschaft, Umgang,
Handel und Wandel versagen, und ihn als einen Ruchlosen meiden. Welcher
gute Bürger würde seine Tochter wissentlich einem Unchristen zur Ehe geben?
und wie würde die, so in seinen Armen schläft, wenn sie dereinst ihres Mannes
wahre Meinung vom Christenthum erführe, nach ihrer Schwachheit ängstlich
thun und den Herrn Beichtvater auftehn, daß er doch ihren auf solche verdamm-
licher Wege gerathenen Mann bekehren möchte? Was ist also an der Heuchelei
so vieler vernünftiger Menschen anders schuld, als der Glaubenszwang, welchen
die Herren Prediger vermöge ihrer Verfolgungen den Bekennern einer natür¬
lichen Religion bis an ihren Tod anlegen?"

Als lebendiges Beispiel dieses Glaubenszwangs ging in Berlin Edel¬
mann (57 I.) umher, den Moses Oel. 1755 aufsuchte: er fand ihn gedrückt,
ängstlich, und dabei fade und unbedeutend. Freilich muß man etwas auf den
Gegensatz des Deisten und Pantheisteu rechnen. In seiner Einsamkeit zeichnete
Edelmann die Erinnerungen seines Lebens auf. Noch immer donnerten
die Prediger gegen ihn von den Kanzeln; einer derselben, Pratje, zählte alle
seine Schandthaten auf und versah das Buch sogar mit einem Portrait des
berüchtigten Spötters. Zum Schluß empfahl er als Gegengift das Buch von
Reimarus; er nannte seine Absicht „rühmlich und verehrungswürdig;" er
billigte auch seine Methode. „Da die metaphysischen Demonstrationen den
meisten Menschen zu trocken, oder zu weitläufig, aber zu unfaßlich sind, so hat
er sich derselben wohlbedächtig enthalten. Er hat von seiner großen Kenntniß
der Natur einen vortrefflichen Gebrauch gemacht: er weiß sie so anzuwenden,
daß der Leser auf die Erkenntniß Gottes und seiner Herrlichkeit und in der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139924"/>
          <p xml:id="ID_350" prev="#ID_349"> rechtmacherei, sondern absichtlichen Lug und Trug nachzuweisen. Christus und<lb/>
seine Apostel waren ihm die reinen Betrüger.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_351"> Dies Manuscript verschloß Reimarus sorgfältig in sein Pult. Keiner<lb/>
seiner Freunde hatte Ahnung von seinen Gesinnungen. Er wollte sich seine<lb/>
Lehrerstelle, in der er segensreich wirkte, nicht verkümmern lassen. Er machte<lb/>
die nothwendigen Gebräuche mit, die er doch innerlich verachtete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_352"> &#x201E;Wer würde wohl in einer so ernsten Sache wider seine Ueberzeugung<lb/>
öffentliche Handlungen begehn, die ihm ein Ekel und ein Aergerniß sind, wer<lb/>
würde seine wahre Meinung, deren er sich sonst gar nicht zu schämen hätte,<lb/>
vor seinen Freuden beständig verhehlen; wer würde seine eignen Kinder in Schulen<lb/>
schicken, da sie nach seiner Einsicht von der wahren Religion zu einem blinden<lb/>
Aberglauben geführt werden: &#x2014; wenn er es nicht aus großer Furcht für den<lb/>
Verlust seiner ganzen zeitlichen Wohlfahrt zu thun genöthigt wäre? &#x2014; Die<lb/>
Herren Prediger mögen gewiß glauben, daß ein ehrlicher, Mann seinem Ge¬<lb/>
müth keine geringe Qual anthut, wenn er sich sein ganzes Leben verstellen<lb/>
muß. Was soll er aber anfangen? Man würde ihm Freundschaft, Umgang,<lb/>
Handel und Wandel versagen, und ihn als einen Ruchlosen meiden. Welcher<lb/>
gute Bürger würde seine Tochter wissentlich einem Unchristen zur Ehe geben?<lb/>
und wie würde die, so in seinen Armen schläft, wenn sie dereinst ihres Mannes<lb/>
wahre Meinung vom Christenthum erführe, nach ihrer Schwachheit ängstlich<lb/>
thun und den Herrn Beichtvater auftehn, daß er doch ihren auf solche verdamm-<lb/>
licher Wege gerathenen Mann bekehren möchte? Was ist also an der Heuchelei<lb/>
so vieler vernünftiger Menschen anders schuld, als der Glaubenszwang, welchen<lb/>
die Herren Prediger vermöge ihrer Verfolgungen den Bekennern einer natür¬<lb/>
lichen Religion bis an ihren Tod anlegen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_353" next="#ID_354"> Als lebendiges Beispiel dieses Glaubenszwangs ging in Berlin Edel¬<lb/>
mann (57 I.) umher, den Moses Oel. 1755 aufsuchte: er fand ihn gedrückt,<lb/>
ängstlich, und dabei fade und unbedeutend. Freilich muß man etwas auf den<lb/>
Gegensatz des Deisten und Pantheisteu rechnen. In seiner Einsamkeit zeichnete<lb/>
Edelmann die Erinnerungen seines Lebens auf. Noch immer donnerten<lb/>
die Prediger gegen ihn von den Kanzeln; einer derselben, Pratje, zählte alle<lb/>
seine Schandthaten auf und versah das Buch sogar mit einem Portrait des<lb/>
berüchtigten Spötters. Zum Schluß empfahl er als Gegengift das Buch von<lb/>
Reimarus; er nannte seine Absicht &#x201E;rühmlich und verehrungswürdig;" er<lb/>
billigte auch seine Methode. &#x201E;Da die metaphysischen Demonstrationen den<lb/>
meisten Menschen zu trocken, oder zu weitläufig, aber zu unfaßlich sind, so hat<lb/>
er sich derselben wohlbedächtig enthalten. Er hat von seiner großen Kenntniß<lb/>
der Natur einen vortrefflichen Gebrauch gemacht: er weiß sie so anzuwenden,<lb/>
daß der Leser auf die Erkenntniß Gottes und seiner Herrlichkeit und in der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0103] rechtmacherei, sondern absichtlichen Lug und Trug nachzuweisen. Christus und seine Apostel waren ihm die reinen Betrüger. Dies Manuscript verschloß Reimarus sorgfältig in sein Pult. Keiner seiner Freunde hatte Ahnung von seinen Gesinnungen. Er wollte sich seine Lehrerstelle, in der er segensreich wirkte, nicht verkümmern lassen. Er machte die nothwendigen Gebräuche mit, die er doch innerlich verachtete. „Wer würde wohl in einer so ernsten Sache wider seine Ueberzeugung öffentliche Handlungen begehn, die ihm ein Ekel und ein Aergerniß sind, wer würde seine wahre Meinung, deren er sich sonst gar nicht zu schämen hätte, vor seinen Freuden beständig verhehlen; wer würde seine eignen Kinder in Schulen schicken, da sie nach seiner Einsicht von der wahren Religion zu einem blinden Aberglauben geführt werden: — wenn er es nicht aus großer Furcht für den Verlust seiner ganzen zeitlichen Wohlfahrt zu thun genöthigt wäre? — Die Herren Prediger mögen gewiß glauben, daß ein ehrlicher, Mann seinem Ge¬ müth keine geringe Qual anthut, wenn er sich sein ganzes Leben verstellen muß. Was soll er aber anfangen? Man würde ihm Freundschaft, Umgang, Handel und Wandel versagen, und ihn als einen Ruchlosen meiden. Welcher gute Bürger würde seine Tochter wissentlich einem Unchristen zur Ehe geben? und wie würde die, so in seinen Armen schläft, wenn sie dereinst ihres Mannes wahre Meinung vom Christenthum erführe, nach ihrer Schwachheit ängstlich thun und den Herrn Beichtvater auftehn, daß er doch ihren auf solche verdamm- licher Wege gerathenen Mann bekehren möchte? Was ist also an der Heuchelei so vieler vernünftiger Menschen anders schuld, als der Glaubenszwang, welchen die Herren Prediger vermöge ihrer Verfolgungen den Bekennern einer natür¬ lichen Religion bis an ihren Tod anlegen?" Als lebendiges Beispiel dieses Glaubenszwangs ging in Berlin Edel¬ mann (57 I.) umher, den Moses Oel. 1755 aufsuchte: er fand ihn gedrückt, ängstlich, und dabei fade und unbedeutend. Freilich muß man etwas auf den Gegensatz des Deisten und Pantheisteu rechnen. In seiner Einsamkeit zeichnete Edelmann die Erinnerungen seines Lebens auf. Noch immer donnerten die Prediger gegen ihn von den Kanzeln; einer derselben, Pratje, zählte alle seine Schandthaten auf und versah das Buch sogar mit einem Portrait des berüchtigten Spötters. Zum Schluß empfahl er als Gegengift das Buch von Reimarus; er nannte seine Absicht „rühmlich und verehrungswürdig;" er billigte auch seine Methode. „Da die metaphysischen Demonstrationen den meisten Menschen zu trocken, oder zu weitläufig, aber zu unfaßlich sind, so hat er sich derselben wohlbedächtig enthalten. Er hat von seiner großen Kenntniß der Natur einen vortrefflichen Gebrauch gemacht: er weiß sie so anzuwenden, daß der Leser auf die Erkenntniß Gottes und seiner Herrlichkeit und in der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/103
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/103>, abgerufen am 01.09.2024.