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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Strafen erwiesen sich als machtlos. Wurden doch binnen 10 Jahren über
300,000 Menschen allein aus den beiden Provinzen Islv clcz?rg.ne<z und dem
Orlöaniuus zur Galeere und Massendeportation verurtheilt. Dies siud uicht
Tiraden regiernngsfeiudlicher Schriftsteller, sondern Thatsachen aus amtliche"
Akten, die heut Jedermann zugänglich siud. Niemand kann das mehr leugnen
oder beschönigen wollen. Zustände dieser Art mußten zu einer Katastrophe
führen, und zwar um so mehr, als das System eiuer auf die Spitze getrie¬
benen Konzentration aller Behörden in Paris es den Jnteressirten leicht
machte, wohlwollende Machthaber zu täuschen. Solche aber waren nicht vor¬
handen. Ludwig XV. bedarf keiner Schilderung; aber auch Ludwig XVI. wird
immer mehr des Nimbus entkleidet, als sei er ein königlicher Märtyrer gewesen.
Die Veröffentlichung seiner Tagebücher, wie anderer Memoiren, zeigt klar einen
nichtige", flachen, bei aller Beschränktheit, herzenskalteu Egoisten, ohne jede
Spur von Pflichtgefühl für seine Stellung. -- Nun aber gab es einen Fleck
Frankreichs, auf den diese Schilderung uicht paßt, und dies war die Vendee.
In Folge des alten Gegensatzes, in dem dieser Volksstamm stets zu dem übrigen
Frankreich gestanden, hatte der Adel, dem weit aus der meiste Grund und
Boden gehörte, niemals sich ködern lassen von den listigen Lockspeisen, die das
Haus Bourbon auswarf, um die Macht der freien Geschlechter zu beugen.
Der bretagnische Adel dachte nicht daran, feine Einkünfte in Paris zu vergeuden,
um das wohlwollende Lächeln eines Mannes zu erHaschen, der sich gegen
Recht und Gesetz Herzog der Bretagne nannte. Seine Bauern waren auch
nicht leibeigene Pächter, es waren freie Männer, die auf ihrem ererbten Gute
so fest und sicher saßen, wie der Edelmann auf dem seinen. Wo ein Pacht-
Verhältniß stattfand, war es für den Edelmann Ehrensache, seinen Erbpächtern
-- andere willkürlich zu fixirende Persvnalpacht gab es nicht -- ein milder
und gerechter Herr zu sein, und wie es dem Erbpächter zur bittern Schande
gereichte, wenn er durch schlechte Wirthschaft in die Lage kam, seinen Pacht
schuldig zu bleiben, so würde es dein Edelmann von seinen Standesgenossen
als ein nnritterliches und plebejisches Betragen angerechnet worden sein, hätte
er nicht milde und nachgiebig sein wollen, wo einer seiner Leute durch Feuer,
Wasser oder Viehheerden in Noth gerieth. Der reichbegüterte Klerus war im
höchsten Grade partikularistisch, erst war er Bretagner, daun Geistlicher, und
dann Franzose. Darin beruhte sein Einfluß, der heut noch in einem Maße
existirt, wie selbst in Frankreich nirgendwo sonst. Dagegen mißbraucht der
Klerus diese Macht fast nie, und unerbittlich geht er gegen den Einzelnen
aus seiner Mitte vor, der durch eines jener Vergehen, die man sonst gern
entschuldigt, die Ehre des bretagnischen Priesterstandes befleckt. -- So traf
denn fast keine einzige der Vorbedingungen für die Vendee zu, welche das


Strafen erwiesen sich als machtlos. Wurden doch binnen 10 Jahren über
300,000 Menschen allein aus den beiden Provinzen Islv clcz?rg.ne<z und dem
Orlöaniuus zur Galeere und Massendeportation verurtheilt. Dies siud uicht
Tiraden regiernngsfeiudlicher Schriftsteller, sondern Thatsachen aus amtliche«
Akten, die heut Jedermann zugänglich siud. Niemand kann das mehr leugnen
oder beschönigen wollen. Zustände dieser Art mußten zu einer Katastrophe
führen, und zwar um so mehr, als das System eiuer auf die Spitze getrie¬
benen Konzentration aller Behörden in Paris es den Jnteressirten leicht
machte, wohlwollende Machthaber zu täuschen. Solche aber waren nicht vor¬
handen. Ludwig XV. bedarf keiner Schilderung; aber auch Ludwig XVI. wird
immer mehr des Nimbus entkleidet, als sei er ein königlicher Märtyrer gewesen.
Die Veröffentlichung seiner Tagebücher, wie anderer Memoiren, zeigt klar einen
nichtige», flachen, bei aller Beschränktheit, herzenskalteu Egoisten, ohne jede
Spur von Pflichtgefühl für seine Stellung. — Nun aber gab es einen Fleck
Frankreichs, auf den diese Schilderung uicht paßt, und dies war die Vendee.
In Folge des alten Gegensatzes, in dem dieser Volksstamm stets zu dem übrigen
Frankreich gestanden, hatte der Adel, dem weit aus der meiste Grund und
Boden gehörte, niemals sich ködern lassen von den listigen Lockspeisen, die das
Haus Bourbon auswarf, um die Macht der freien Geschlechter zu beugen.
Der bretagnische Adel dachte nicht daran, feine Einkünfte in Paris zu vergeuden,
um das wohlwollende Lächeln eines Mannes zu erHaschen, der sich gegen
Recht und Gesetz Herzog der Bretagne nannte. Seine Bauern waren auch
nicht leibeigene Pächter, es waren freie Männer, die auf ihrem ererbten Gute
so fest und sicher saßen, wie der Edelmann auf dem seinen. Wo ein Pacht-
Verhältniß stattfand, war es für den Edelmann Ehrensache, seinen Erbpächtern
— andere willkürlich zu fixirende Persvnalpacht gab es nicht — ein milder
und gerechter Herr zu sein, und wie es dem Erbpächter zur bittern Schande
gereichte, wenn er durch schlechte Wirthschaft in die Lage kam, seinen Pacht
schuldig zu bleiben, so würde es dein Edelmann von seinen Standesgenossen
als ein nnritterliches und plebejisches Betragen angerechnet worden sein, hätte
er nicht milde und nachgiebig sein wollen, wo einer seiner Leute durch Feuer,
Wasser oder Viehheerden in Noth gerieth. Der reichbegüterte Klerus war im
höchsten Grade partikularistisch, erst war er Bretagner, daun Geistlicher, und
dann Franzose. Darin beruhte sein Einfluß, der heut noch in einem Maße
existirt, wie selbst in Frankreich nirgendwo sonst. Dagegen mißbraucht der
Klerus diese Macht fast nie, und unerbittlich geht er gegen den Einzelnen
aus seiner Mitte vor, der durch eines jener Vergehen, die man sonst gern
entschuldigt, die Ehre des bretagnischen Priesterstandes befleckt. — So traf
denn fast keine einzige der Vorbedingungen für die Vendee zu, welche das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/78>, abgerufen am 20.10.2024.