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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Monaten ohne Zusammenhang in den Operationen, fehdenartige Raubzüge, bei
denen die Städte nicht belagert, sondern blokirt werden, indem man in ihrer Nähe
einen geeigneten Platz besetzt und durch Plünderungszüge in das Gebiet der
Stadt die Bürger zum Nachgeben bestimmt,*)

Daß bei ihrem festen Znsammenhalte die adlige Kriegsgemeinde anch
politisch eine große Macht entwickelte, läßt sich denken. Allmählig ging alle
wirkliche Gewalt auf den Sicherheitsausschuß des Adels über, auf die fünf
jährlich wechselnden Ephoren, denen die Könige gehorchen sollten wie Kinder
den Vätern. Diese Einrichtung gewann feste Formen zu einer Zeit als die
Spartaner aus zunehmender Ueppigkeit und einer gewissen weichlichen Er¬
schlaffung, die sich zu Anfang des 6. Jahrhunderts eingestellt hatte, in gewal¬
tigster Weise durch deu energischen Chenon emporgerüttelt wurden. Chenon
ist eine echte Soldatennatur von strenger, herber Größe. Für das Schwerste
und Rühmlichste erklärte er: Geheimnisse zu bewahren, seine Muße gut zu
verwenden und Unrecht erdulden zu können. Er forderte mit Entschiedenheit,
daß zum Besten des Ganzen der spartanische Edelmann auch Unrecht, Kränkung
und Zurücksetzung geduldig ertragen müsse. schroff tritt er dem Streben nach
Erlverb und Genuß entgegen, und mit einer fast beispiellosen Konsequenz führt
er die Spartiaten zur alten lykurgischeu Einfachheit zurück. Das gesetzliche
Organ dazu wurden die Ephoren. Wenn sie im Herbst ihr Amt antraten,
ließen sie durch den Herold verkünden: die Spartiaten hätten den Schnauz¬
bart zu scheeren und den Gesetzen^ zu gehorchen, sonst würden sie deren
Schwere empfinden. -- Man glaubt König Friedrich Wilhelm I. von Preußen
reden zu hören! -- Es wäre gegen deu militärischen Charakter Spartas
gewesen, wenn nicht alles, was die Behörden zu sagen hatten und was man
ihnen erwiderte, ohne Umschweife fo kurz wie möglich gesagt worden wäre.
Chenon haßte lange Reden, traf aber mit knappen Kernwort den Nagel auf
den Kopf. Er ist der Urheber der berühmten "lakonischer Kürze". Die Bildung
.des spartanischen Adels wurde uun vollends eine ausschließlich praktische, und
seine Erziehung galt nicht nur als eine, sondern als die Existenzfrage des
Staates schlichthin. Die Stadt Sparta verwandelte sich in ein großes Er-
ziehungshaus, in welchem jede höhere 'Altersstufe die jüngere drillte. Es
wurden Ritterakademien gebaut, welche die gesammte Jugend von 7. bis zum
30. Jahre, also 8--9000 Köpfe aufnehmen konnten und welche Turm-, Musik-
und Schlafsäle enthielten. Hier wurden die Knaben in kleinen Abtheilungen
(Jtem) unter besonders tüchtigen Genossen eingetheilt. Das Haar ward
ihnen kurz geschoren; ohne Decken schliefen sie ans Hei: und Stroh, vom



') Rüsww und Köchly a. a. O.

Monaten ohne Zusammenhang in den Operationen, fehdenartige Raubzüge, bei
denen die Städte nicht belagert, sondern blokirt werden, indem man in ihrer Nähe
einen geeigneten Platz besetzt und durch Plünderungszüge in das Gebiet der
Stadt die Bürger zum Nachgeben bestimmt,*)

Daß bei ihrem festen Znsammenhalte die adlige Kriegsgemeinde anch
politisch eine große Macht entwickelte, läßt sich denken. Allmählig ging alle
wirkliche Gewalt auf den Sicherheitsausschuß des Adels über, auf die fünf
jährlich wechselnden Ephoren, denen die Könige gehorchen sollten wie Kinder
den Vätern. Diese Einrichtung gewann feste Formen zu einer Zeit als die
Spartaner aus zunehmender Ueppigkeit und einer gewissen weichlichen Er¬
schlaffung, die sich zu Anfang des 6. Jahrhunderts eingestellt hatte, in gewal¬
tigster Weise durch deu energischen Chenon emporgerüttelt wurden. Chenon
ist eine echte Soldatennatur von strenger, herber Größe. Für das Schwerste
und Rühmlichste erklärte er: Geheimnisse zu bewahren, seine Muße gut zu
verwenden und Unrecht erdulden zu können. Er forderte mit Entschiedenheit,
daß zum Besten des Ganzen der spartanische Edelmann auch Unrecht, Kränkung
und Zurücksetzung geduldig ertragen müsse. schroff tritt er dem Streben nach
Erlverb und Genuß entgegen, und mit einer fast beispiellosen Konsequenz führt
er die Spartiaten zur alten lykurgischeu Einfachheit zurück. Das gesetzliche
Organ dazu wurden die Ephoren. Wenn sie im Herbst ihr Amt antraten,
ließen sie durch den Herold verkünden: die Spartiaten hätten den Schnauz¬
bart zu scheeren und den Gesetzen^ zu gehorchen, sonst würden sie deren
Schwere empfinden. — Man glaubt König Friedrich Wilhelm I. von Preußen
reden zu hören! — Es wäre gegen deu militärischen Charakter Spartas
gewesen, wenn nicht alles, was die Behörden zu sagen hatten und was man
ihnen erwiderte, ohne Umschweife fo kurz wie möglich gesagt worden wäre.
Chenon haßte lange Reden, traf aber mit knappen Kernwort den Nagel auf
den Kopf. Er ist der Urheber der berühmten „lakonischer Kürze". Die Bildung
.des spartanischen Adels wurde uun vollends eine ausschließlich praktische, und
seine Erziehung galt nicht nur als eine, sondern als die Existenzfrage des
Staates schlichthin. Die Stadt Sparta verwandelte sich in ein großes Er-
ziehungshaus, in welchem jede höhere 'Altersstufe die jüngere drillte. Es
wurden Ritterakademien gebaut, welche die gesammte Jugend von 7. bis zum
30. Jahre, also 8—9000 Köpfe aufnehmen konnten und welche Turm-, Musik-
und Schlafsäle enthielten. Hier wurden die Knaben in kleinen Abtheilungen
(Jtem) unter besonders tüchtigen Genossen eingetheilt. Das Haar ward
ihnen kurz geschoren; ohne Decken schliefen sie ans Hei: und Stroh, vom



') Rüsww und Köchly a. a. O.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/53>, abgerufen am 20.10.2024.