Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.nicht entgangen, daß, wie nun einmal die Traditionen unseres gelehrten Schul¬ nicht entgangen, daß, wie nun einmal die Traditionen unseres gelehrten Schul¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0518" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139811"/> <p xml:id="ID_1662" prev="#ID_1661" next="#ID_1663"> nicht entgangen, daß, wie nun einmal die Traditionen unseres gelehrten Schul¬<lb/> wesens waren, auch der absolut tüchtigste und zur Durchführung einer Reor¬<lb/> ganisation vollauf befähigtste badische Schulmann diese Reorganisation niemals<lb/> würde durchführen können. Insbesondere wäre dies absolut unmöglich ge¬<lb/> wesen bezüglich des in jenen Traditionen aufs Tiefste festgewurzelten Karls¬<lb/> ruher Gymnasiums. Rang- und Anciennitätsverhältnisse der Lehrer, Familien¬<lb/> beziehungen und dergl. standen als ehernes Bollwerk entgegen. Der Mann,<lb/> der hier etwas leisten sollte, mußte von Auswärts kommen, durch keinerlei<lb/> Rücksichten und Beziehungen gebunden sein. Er mußte sich stützen lediglich<lb/> auf sich selbst und auf eine seinen Intentionen zugeneigte kräftige Regierung.<lb/> So trat Dr. Wendt ein; diese beiden Stützen fehlten ihm nicht. Die dienstlich<lb/> entfaltete Energie ließ nichts zu wünschen übrig. Möglich, daß sie nach einer<lb/> und der anderen Seite hin hart traf, es mußte sein. Und die Wirkung liegt<lb/> vor. Das Karlsruher Gymnasium unter Dr. Wendt's Leitung ist eine Muster¬<lb/> anstalt geworden, eine Zierde unseres Landes. Ebenso segensreich, wie an dem<lb/> von ihm geleiteten Gymnasium erwies sich Dr. Wendt's Thätigkeit auch in<lb/> der Oberschulbehörde, deren außerordentliches Mitglied er ist. Wesentlich durch<lb/> seinen Einfluß kam ein ganz neuer Geist in unser Mittelschulwesen. Die im<lb/> Jahr 1869 in Vollzug gesetzte Neuorganisation der Gelehrtenschulen, die Fest¬<lb/> stellung des vortrefflichen Lehrplans dieser Schulen sind in erster Linie sein<lb/> Werk. Die Anerkennung, insbesondere auch aus den Reihen der jüngeren<lb/> Glieder des Lehrerstandes wurde diesem Wirken nicht versagt. Viele freilich<lb/> rechnen es dem Karlsruher Gymnasiumsdirektor zum Verbrechen an, daß er<lb/> als Schulmann die meisten seiner Kollegen um eines Hauptes Länge überragt.<lb/> Diesen kann aber nicht geholfen werden. Sie und mit ihnen Manche, die<lb/> das neue Regiment in ihrer „Gemüthlichkeit" störte, haben gegen Dr. Wendt<lb/> und das ganze durch ihn eingeführte System Opposition erhoben und unter¬<lb/> halten dieselbe heute noch. Sie fanden Zustimmung und Unterstützung aus<lb/> den bureaukratischen und partikularistischen Kreisen. Insbesondere aber waren<lb/> die protestantischen Orthodoxen Gegner des neuen Systems und seines hervor¬<lb/> ragendsten Trägers. Der frische, scharfe Zug klassischer Geistesfreiheit, wie er<lb/> jetzt das Karlsruher Gymnasium durchwehte, gefiel nicht; der, wie behauptet<lb/> wird, mit dem überlieferten Kirchenthum auf etwas gespanntem Fuße stehende<lb/> Direktor war bald gehaßt mit jener intensiven Gluth des Hasses, deren nur<lb/> der Pastorale Zionseifer fähig ist. Vielleicht hätte nach dieser Seite hin Man¬<lb/> ches vermieden werden können. Daß es nicht ganz vermieden wurde, hat<lb/> nicht wenige Tropfen heiligen Salböls in die ohnedem schon genugsam ent¬<lb/> sandte Gluth gegossen. Zu dem allem kam der in unserer Zeit weit verbreitete<lb/> banausische Zug. Er blies mit vollen Backen in das Feuer, daß es gierig</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0518]
nicht entgangen, daß, wie nun einmal die Traditionen unseres gelehrten Schul¬
wesens waren, auch der absolut tüchtigste und zur Durchführung einer Reor¬
ganisation vollauf befähigtste badische Schulmann diese Reorganisation niemals
würde durchführen können. Insbesondere wäre dies absolut unmöglich ge¬
wesen bezüglich des in jenen Traditionen aufs Tiefste festgewurzelten Karls¬
ruher Gymnasiums. Rang- und Anciennitätsverhältnisse der Lehrer, Familien¬
beziehungen und dergl. standen als ehernes Bollwerk entgegen. Der Mann,
der hier etwas leisten sollte, mußte von Auswärts kommen, durch keinerlei
Rücksichten und Beziehungen gebunden sein. Er mußte sich stützen lediglich
auf sich selbst und auf eine seinen Intentionen zugeneigte kräftige Regierung.
So trat Dr. Wendt ein; diese beiden Stützen fehlten ihm nicht. Die dienstlich
entfaltete Energie ließ nichts zu wünschen übrig. Möglich, daß sie nach einer
und der anderen Seite hin hart traf, es mußte sein. Und die Wirkung liegt
vor. Das Karlsruher Gymnasium unter Dr. Wendt's Leitung ist eine Muster¬
anstalt geworden, eine Zierde unseres Landes. Ebenso segensreich, wie an dem
von ihm geleiteten Gymnasium erwies sich Dr. Wendt's Thätigkeit auch in
der Oberschulbehörde, deren außerordentliches Mitglied er ist. Wesentlich durch
seinen Einfluß kam ein ganz neuer Geist in unser Mittelschulwesen. Die im
Jahr 1869 in Vollzug gesetzte Neuorganisation der Gelehrtenschulen, die Fest¬
stellung des vortrefflichen Lehrplans dieser Schulen sind in erster Linie sein
Werk. Die Anerkennung, insbesondere auch aus den Reihen der jüngeren
Glieder des Lehrerstandes wurde diesem Wirken nicht versagt. Viele freilich
rechnen es dem Karlsruher Gymnasiumsdirektor zum Verbrechen an, daß er
als Schulmann die meisten seiner Kollegen um eines Hauptes Länge überragt.
Diesen kann aber nicht geholfen werden. Sie und mit ihnen Manche, die
das neue Regiment in ihrer „Gemüthlichkeit" störte, haben gegen Dr. Wendt
und das ganze durch ihn eingeführte System Opposition erhoben und unter¬
halten dieselbe heute noch. Sie fanden Zustimmung und Unterstützung aus
den bureaukratischen und partikularistischen Kreisen. Insbesondere aber waren
die protestantischen Orthodoxen Gegner des neuen Systems und seines hervor¬
ragendsten Trägers. Der frische, scharfe Zug klassischer Geistesfreiheit, wie er
jetzt das Karlsruher Gymnasium durchwehte, gefiel nicht; der, wie behauptet
wird, mit dem überlieferten Kirchenthum auf etwas gespanntem Fuße stehende
Direktor war bald gehaßt mit jener intensiven Gluth des Hasses, deren nur
der Pastorale Zionseifer fähig ist. Vielleicht hätte nach dieser Seite hin Man¬
ches vermieden werden können. Daß es nicht ganz vermieden wurde, hat
nicht wenige Tropfen heiligen Salböls in die ohnedem schon genugsam ent¬
sandte Gluth gegossen. Zu dem allem kam der in unserer Zeit weit verbreitete
banausische Zug. Er blies mit vollen Backen in das Feuer, daß es gierig
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |