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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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durchaus nicht zu beweisen sei. Zu bedenken ist jedoch folgendes. Die merk¬
würdig heftige Liebe des Papstes zu seiner Tochter ist vielen Zeitgenossen auf¬
gefallen. Wenn sie fortging oder fortritt, ging er von Ort zu Ort und verfolgte
sie mit Augen, so lange er konnte. Wenn sie reiste, mußte er täglich mehrere
Boten mit Nachrichten über ihr Befinden erhalten. Am schwersten wiegt das Zeug¬
niß ihres Gemahls Giovanni Sforza, der sie genau kannte, und, wenn er auch
tief beleidigt war, doch in gewissem Grade gehört werden muß. Dieser beschuldigte
Lukrezia ganz direkt solcher Vergehen. Am 23. Juni 1497 schrieb der ferraresische
Gesandte Costabili an den Herzog von Mailand, daß Sforza dem Herzog
Ludvico gesagt habe: "an^i aperto eonoseiurs means voies, ins, edsl xaxs,
non Kölns, tolta xer altro nor> usars con 1^1." Wir besitzen ferner einen
Brief des ferraresischen Agenten Giov. Alb. della Pigna vom 15. März 1498,
also ein Jahr etwa nach Sforzas Flucht, da heißt es: "Ah, Koras, ^eoertWi,
et" 1a tiAliols. äst xarwrito.

Gregorovius führt nun an, Burkhard, der von den Papisten so ange¬
griffen sei, habe in seinem Diario nichts von einem solchen Verhältnisse er¬
wähnt, gesteht aber zu, daß nur Thatsachen, und auch diese abgeschwächt und
verschleiert, von Burkhard notirt seien. So stehe von Perottos Tod nichts
darin, ihn berichte der Venezianer Paolo Capello, ebenso werde Gandias Er¬
mordung in des päpstlichen Zeremonienmeisters Diario nicht mit Cesare in
Verbindung gebracht und offen schrieben es die Ferraresen, ebenso nichts von
anderen Freveln der Borgia. Dafür hat Burkhard aber doch jenen Bericht
von dem Gelage der 50 Hetären im Vatikans, als bekannte Thatsache, bei dein
Lukrezia zugegen gewesen sei, und Materazzo von Perugia, der das Diario
nie gesehen hat, berichtet dasselbe.

Und nun komme ich auf jenes mysteriöse Kind Juan de Borgia, welches
sich mutterlos am päpstlichen Hofe herumtrieb, und das bisher nirgends
unterzubringen war. Burkhard nennt als Mutter nur eine gewisse Römerin.
Das Kind war 1498 geboren, als Alexander VI. 67 Jahre mit und noch im
Vollbesitze seiner körperlichen Kräfte war. Burkhard nennt dieses Kind wieder-
holentlich ein Kind des Papstes, und in verschiedenen Dokumenten ist Giovanni
auch als Bruder Lukrezias bezeichnet. Dann giebt es auch Dokumente, die



Was soll man sagen, wenn der Historiker Gregorovius, nachdem er soeben bei Lukrezia^'
die Geburt eines unehelichen Kindes zugestanden hat, an die fühlende Weiblichkeit appellirend,
also fortfährt: "Jedes fühlende Weib mag urtheilen, ob unter der Voraussetzung solcher
Frevel diese Erscheinung Lukrezias möglich war, und ob jenes Antlitz, wie es die Braut
Alphousos von Este im Jahre 1602 im Bilde darstellt, das Angesicht der entmenschten Furie
im Epigramme des Smnazar sein konnte." Sehr richtig erwiderte hierauf ein Kritiker:
"warum sollen sich Anmuth und fast kindliche Züge nicht mit einer Kourtisane vertragen?"

durchaus nicht zu beweisen sei. Zu bedenken ist jedoch folgendes. Die merk¬
würdig heftige Liebe des Papstes zu seiner Tochter ist vielen Zeitgenossen auf¬
gefallen. Wenn sie fortging oder fortritt, ging er von Ort zu Ort und verfolgte
sie mit Augen, so lange er konnte. Wenn sie reiste, mußte er täglich mehrere
Boten mit Nachrichten über ihr Befinden erhalten. Am schwersten wiegt das Zeug¬
niß ihres Gemahls Giovanni Sforza, der sie genau kannte, und, wenn er auch
tief beleidigt war, doch in gewissem Grade gehört werden muß. Dieser beschuldigte
Lukrezia ganz direkt solcher Vergehen. Am 23. Juni 1497 schrieb der ferraresische
Gesandte Costabili an den Herzog von Mailand, daß Sforza dem Herzog
Ludvico gesagt habe: „an^i aperto eonoseiurs means voies, ins, edsl xaxs,
non Kölns, tolta xer altro nor> usars con 1^1." Wir besitzen ferner einen
Brief des ferraresischen Agenten Giov. Alb. della Pigna vom 15. März 1498,
also ein Jahr etwa nach Sforzas Flucht, da heißt es: „Ah, Koras, ^eoertWi,
et« 1a tiAliols. äst xarwrito.

Gregorovius führt nun an, Burkhard, der von den Papisten so ange¬
griffen sei, habe in seinem Diario nichts von einem solchen Verhältnisse er¬
wähnt, gesteht aber zu, daß nur Thatsachen, und auch diese abgeschwächt und
verschleiert, von Burkhard notirt seien. So stehe von Perottos Tod nichts
darin, ihn berichte der Venezianer Paolo Capello, ebenso werde Gandias Er¬
mordung in des päpstlichen Zeremonienmeisters Diario nicht mit Cesare in
Verbindung gebracht und offen schrieben es die Ferraresen, ebenso nichts von
anderen Freveln der Borgia. Dafür hat Burkhard aber doch jenen Bericht
von dem Gelage der 50 Hetären im Vatikans, als bekannte Thatsache, bei dein
Lukrezia zugegen gewesen sei, und Materazzo von Perugia, der das Diario
nie gesehen hat, berichtet dasselbe.

Und nun komme ich auf jenes mysteriöse Kind Juan de Borgia, welches
sich mutterlos am päpstlichen Hofe herumtrieb, und das bisher nirgends
unterzubringen war. Burkhard nennt als Mutter nur eine gewisse Römerin.
Das Kind war 1498 geboren, als Alexander VI. 67 Jahre mit und noch im
Vollbesitze seiner körperlichen Kräfte war. Burkhard nennt dieses Kind wieder-
holentlich ein Kind des Papstes, und in verschiedenen Dokumenten ist Giovanni
auch als Bruder Lukrezias bezeichnet. Dann giebt es auch Dokumente, die



Was soll man sagen, wenn der Historiker Gregorovius, nachdem er soeben bei Lukrezia^'
die Geburt eines unehelichen Kindes zugestanden hat, an die fühlende Weiblichkeit appellirend,
also fortfährt: „Jedes fühlende Weib mag urtheilen, ob unter der Voraussetzung solcher
Frevel diese Erscheinung Lukrezias möglich war, und ob jenes Antlitz, wie es die Braut
Alphousos von Este im Jahre 1602 im Bilde darstellt, das Angesicht der entmenschten Furie
im Epigramme des Smnazar sein konnte." Sehr richtig erwiderte hierauf ein Kritiker:
„warum sollen sich Anmuth und fast kindliche Züge nicht mit einer Kourtisane vertragen?"
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/498>, abgerufen am 20.10.2024.