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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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ist der Bericht des Venezianischen Gesandten, daß Sforza Unrath merkte und
unter dem Vorwande eines Ganges nach der Kirche Onofrio entkam, wo Pferde
für ihn bereit standen. In keinem Berichte ist eine Andeutung von irgend
welchem Widerstande, den Lukrezia geleistet, enthalten.*)

Kurz nach dieser Flucht ereignete sich die bekannte Ermordung des Herzogs
von Gambia durch seinen Bruder Cesare, so oft in ihren schrecklichen Einzelheiten
erzählt, daß ich sie nicht wiederholen will. Lukrezia befand sich schon vorher
und während dieser Zeit im Kloster S. Sisto (seit d. 4. Juni 1496) auf der
Via Appia, und dieser Umstand ist nun in der That sehr befremdend, denn
die gewaltsame Trennung der Ehe kann dies bei dem Leben der Borgia, doch
nicht, wie Gregorovius meint, allein erklären. Auch war das Aufsehen, welches
dieser klösterliche Aufenthalt Lukrezias machte, nach den Berichten ein sehr
großes; man kann nur annehmen, daß ihr Vater sie dorthin geschickt, sei es
aus Furcht vor einem Zerwürfniß der Söhne oder weil er üble Nachrede sür
sich selbst fürchtete. Genaues ist absolut nicht festzustellen, denn es fehlen aus
diesen Jahren alle wichtigen Dokumente, namentlich Briefe. Aber bezeichnend
genug und nicht so flüchtig zu übergehen, wie Gregorovius es gethan hat, ist
der einzige Brief, der vorhanden ist, von Donato Aretino an Cardinal Hyppolit
von Este. Er schreibt "Madonna Lukrezia ist aus dem Palaste weggegangen,
wWwtÄtv Iwsxiw, und in ein Nonnenkloster gezogen, welches S. Sisto heißt,
dort befindet sie sich. Einige sagen, daß sie Nonne werden will, und andere
behaupten viele andere Dinge, die man einem Briefe nicht anvertrauen darf." --

Als Cesnre von Neapel, wo er als Kardinallegat den letzten Arragonen
Federigo zum Könige gekrönt, zurückgekehrt war, wurde Lukrezias Ehe geschieden.
Die Richter unter dem Vorsitze von 2 Kardinälen thaten, zum großen Gelächter
von ganz Italien dar, daß Sforza die Ehe niemals vollzogen habe und seine
Gemahlin sich noch im jungfräulichen Zustande befinde, und Lukretia erklärte,
dies beschwören zu wollen.^)

Klüglich, charakterlos, höchst erbärmlich, das gibt auch Gregorovius zu,
zeigte sich Lukrezia in dieser ganzen Angelegenheit; als grobe Lügnerin mußte
sie aber der ganzen Welt erscheinen und ihr Ruf empfindlich darunter leiden.
Von da an begannen jene unheimlichen Gerüchte von Blutschande, welche sie
mit ihren eigenen Brüdern, ja mit dem eigenen Vater getrieben haben sollte,
lauter hervorzutreten. Gregorovius begnügt sich nun damit, daß ihr dieses




*) Marin Sanuto, VW-, Vol. I. S. 410. Gregorovius, I. S. 97.
Gregorovius, I. S. 100 ff. "Ihr Gemahl, schreibt Gr., nach dem Bericht Costabilis,
Protestirte vergebens gegen die Aussagen der erkauften Zeugen in Rom. Lodovico und sein
Bruder Aseanio drangen endlich in ihren Verwandten nachzugeben, und der eingeschüchterte
Sforza erklärte schriftlich, daß er die Ehe mit Lukrezia niemals vollzogen habe."
Grenzboten 1878. 1. 62

ist der Bericht des Venezianischen Gesandten, daß Sforza Unrath merkte und
unter dem Vorwande eines Ganges nach der Kirche Onofrio entkam, wo Pferde
für ihn bereit standen. In keinem Berichte ist eine Andeutung von irgend
welchem Widerstande, den Lukrezia geleistet, enthalten.*)

Kurz nach dieser Flucht ereignete sich die bekannte Ermordung des Herzogs
von Gambia durch seinen Bruder Cesare, so oft in ihren schrecklichen Einzelheiten
erzählt, daß ich sie nicht wiederholen will. Lukrezia befand sich schon vorher
und während dieser Zeit im Kloster S. Sisto (seit d. 4. Juni 1496) auf der
Via Appia, und dieser Umstand ist nun in der That sehr befremdend, denn
die gewaltsame Trennung der Ehe kann dies bei dem Leben der Borgia, doch
nicht, wie Gregorovius meint, allein erklären. Auch war das Aufsehen, welches
dieser klösterliche Aufenthalt Lukrezias machte, nach den Berichten ein sehr
großes; man kann nur annehmen, daß ihr Vater sie dorthin geschickt, sei es
aus Furcht vor einem Zerwürfniß der Söhne oder weil er üble Nachrede sür
sich selbst fürchtete. Genaues ist absolut nicht festzustellen, denn es fehlen aus
diesen Jahren alle wichtigen Dokumente, namentlich Briefe. Aber bezeichnend
genug und nicht so flüchtig zu übergehen, wie Gregorovius es gethan hat, ist
der einzige Brief, der vorhanden ist, von Donato Aretino an Cardinal Hyppolit
von Este. Er schreibt „Madonna Lukrezia ist aus dem Palaste weggegangen,
wWwtÄtv Iwsxiw, und in ein Nonnenkloster gezogen, welches S. Sisto heißt,
dort befindet sie sich. Einige sagen, daß sie Nonne werden will, und andere
behaupten viele andere Dinge, die man einem Briefe nicht anvertrauen darf." —

Als Cesnre von Neapel, wo er als Kardinallegat den letzten Arragonen
Federigo zum Könige gekrönt, zurückgekehrt war, wurde Lukrezias Ehe geschieden.
Die Richter unter dem Vorsitze von 2 Kardinälen thaten, zum großen Gelächter
von ganz Italien dar, daß Sforza die Ehe niemals vollzogen habe und seine
Gemahlin sich noch im jungfräulichen Zustande befinde, und Lukretia erklärte,
dies beschwören zu wollen.^)

Klüglich, charakterlos, höchst erbärmlich, das gibt auch Gregorovius zu,
zeigte sich Lukrezia in dieser ganzen Angelegenheit; als grobe Lügnerin mußte
sie aber der ganzen Welt erscheinen und ihr Ruf empfindlich darunter leiden.
Von da an begannen jene unheimlichen Gerüchte von Blutschande, welche sie
mit ihren eigenen Brüdern, ja mit dem eigenen Vater getrieben haben sollte,
lauter hervorzutreten. Gregorovius begnügt sich nun damit, daß ihr dieses




*) Marin Sanuto, VW-, Vol. I. S. 410. Gregorovius, I. S. 97.
Gregorovius, I. S. 100 ff. „Ihr Gemahl, schreibt Gr., nach dem Bericht Costabilis,
Protestirte vergebens gegen die Aussagen der erkauften Zeugen in Rom. Lodovico und sein
Bruder Aseanio drangen endlich in ihren Verwandten nachzugeben, und der eingeschüchterte
Sforza erklärte schriftlich, daß er die Ehe mit Lukrezia niemals vollzogen habe."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/497>, abgerufen am 20.10.2024.