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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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dieser Schrift gewesen sein? Aus den Leipziger Stadtkassenrechnungen und den
Universitätsakten des Jahres 1527 ergiebt sich, daß in die Angelegenheit Her-
gott's zwei Studenten verwickelt waren, die unter starker Bedeckung nach
Dresden geschafft wurden, um dort persönlich von Herzog Georg vernommen
zu werden, dann in Leipzig noch einige Wochen in Gewahrsam gehalten und
kurz nach Hergott's Hinrichtung auf ihre Bitten -- man schien sie förmlich
vergessen zu haben -- aus der Haft entlassen wurden. Diese beiden Studenten
werden in den Leipziger Stadtkassenrechnnngen als diejenigen bezeichnet, "so
des Hergotts Büchlein geschrieben und umgetragen." Mit Recht kann sich
nun Kirchhofs nicht dazu entschließen, in dieser Angabe einen Beweis dafür
zu sehen, daß die Studenten die Verfasser der Schrift gewesen seien. Er hält
es vielmehr für wahrscheinlich, daß sie, zumal da der eine von ihnen als
"Schreiber" bezeichnet wird, von dem Büchlein Abschriften gemacht - was ja
noch lange nach der Erfindung des Buchdrucks nichts ungewöhnliches war --
und diese an den Thüren der Bursen und Kollegien an ihre Kommilitonen
verkauft hatten.

Wer war aber nun der Verfasser, wenn nicht jene beiden Studenten?
Nun, nach unserm Dafürhalten kann kaum ein Zweifel darüber sein, daß in
diesem Falle Hergott Autor, Drucker und Händler in einer Person war. Für
diese Annahme spricht erstens, daß die Schrift -- was einigermaßen schon
aus den oben in moderner Orthographie mitgetheilten Proben, mit voller Evidenz
aber aus dem Originale hervorgeht -- im schönsten fränkischen Dialekt
geschrieben ist. Kirchhofs meint, der Verfasser "befleißige sich einer sehr unbeholfenen
Schreibweise." Die angeblichen Unbeholfenheiten sind aber zum größten Theil
auf Rechnung der sinnentstellenden Druckfehler zu setzen, von denen die Broschüre
voll ist. Wenn die typographische Ausstattung der Schrift und die Holzschnitt¬
einfassung des Titelblattes wirklich, wie Kirchhofs angiebt, auf Wittenberg und
die Crciuach'sche Schicke deuten, so liegt die Annahme nahe, daß die Exemplare,
die Hergott aus Nürnberg mitgenommen hatte, bald verkauft waren, und daß
er, wie es bei herumziehenden Buchhändlern etwas ganz gewöhnliches war,
in irgend einer Winkeldruckerei auf sächsischem Boden -- etwa in Zwickau,
Grimma, Eilenburg -- in aller Eile eine neue Auflage herstellen ließ. Die
Klagen des Verfassers über die Verfolgung des Druckgewerbes sind auch nicht
bedeutungslos; sie erklären sich am einfachsten, wenn man annimmt, daß der
Autor hier zugleich der Drucker war.

Ein weiterer Beweis für Hergott's Autorschaft liegt in folgendem. Wenige
Wochen nach Hergott's Hinrichtung gab der alte erbitterte Gegner Luther's,
Petrus Sylvius, zur Abwechslung wieder einmal eine Streitschrift heraus --
sie erschien Ende Juni 1527 in Leipzig -- "Ein klare Beweisunge, wie Luther


dieser Schrift gewesen sein? Aus den Leipziger Stadtkassenrechnungen und den
Universitätsakten des Jahres 1527 ergiebt sich, daß in die Angelegenheit Her-
gott's zwei Studenten verwickelt waren, die unter starker Bedeckung nach
Dresden geschafft wurden, um dort persönlich von Herzog Georg vernommen
zu werden, dann in Leipzig noch einige Wochen in Gewahrsam gehalten und
kurz nach Hergott's Hinrichtung auf ihre Bitten — man schien sie förmlich
vergessen zu haben — aus der Haft entlassen wurden. Diese beiden Studenten
werden in den Leipziger Stadtkassenrechnnngen als diejenigen bezeichnet, „so
des Hergotts Büchlein geschrieben und umgetragen." Mit Recht kann sich
nun Kirchhofs nicht dazu entschließen, in dieser Angabe einen Beweis dafür
zu sehen, daß die Studenten die Verfasser der Schrift gewesen seien. Er hält
es vielmehr für wahrscheinlich, daß sie, zumal da der eine von ihnen als
„Schreiber" bezeichnet wird, von dem Büchlein Abschriften gemacht - was ja
noch lange nach der Erfindung des Buchdrucks nichts ungewöhnliches war —
und diese an den Thüren der Bursen und Kollegien an ihre Kommilitonen
verkauft hatten.

Wer war aber nun der Verfasser, wenn nicht jene beiden Studenten?
Nun, nach unserm Dafürhalten kann kaum ein Zweifel darüber sein, daß in
diesem Falle Hergott Autor, Drucker und Händler in einer Person war. Für
diese Annahme spricht erstens, daß die Schrift — was einigermaßen schon
aus den oben in moderner Orthographie mitgetheilten Proben, mit voller Evidenz
aber aus dem Originale hervorgeht — im schönsten fränkischen Dialekt
geschrieben ist. Kirchhofs meint, der Verfasser „befleißige sich einer sehr unbeholfenen
Schreibweise." Die angeblichen Unbeholfenheiten sind aber zum größten Theil
auf Rechnung der sinnentstellenden Druckfehler zu setzen, von denen die Broschüre
voll ist. Wenn die typographische Ausstattung der Schrift und die Holzschnitt¬
einfassung des Titelblattes wirklich, wie Kirchhofs angiebt, auf Wittenberg und
die Crciuach'sche Schicke deuten, so liegt die Annahme nahe, daß die Exemplare,
die Hergott aus Nürnberg mitgenommen hatte, bald verkauft waren, und daß
er, wie es bei herumziehenden Buchhändlern etwas ganz gewöhnliches war,
in irgend einer Winkeldruckerei auf sächsischem Boden — etwa in Zwickau,
Grimma, Eilenburg — in aller Eile eine neue Auflage herstellen ließ. Die
Klagen des Verfassers über die Verfolgung des Druckgewerbes sind auch nicht
bedeutungslos; sie erklären sich am einfachsten, wenn man annimmt, daß der
Autor hier zugleich der Drucker war.

Ein weiterer Beweis für Hergott's Autorschaft liegt in folgendem. Wenige
Wochen nach Hergott's Hinrichtung gab der alte erbitterte Gegner Luther's,
Petrus Sylvius, zur Abwechslung wieder einmal eine Streitschrift heraus —
sie erschien Ende Juni 1527 in Leipzig — „Ein klare Beweisunge, wie Luther


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[0484] dieser Schrift gewesen sein? Aus den Leipziger Stadtkassenrechnungen und den Universitätsakten des Jahres 1527 ergiebt sich, daß in die Angelegenheit Her- gott's zwei Studenten verwickelt waren, die unter starker Bedeckung nach Dresden geschafft wurden, um dort persönlich von Herzog Georg vernommen zu werden, dann in Leipzig noch einige Wochen in Gewahrsam gehalten und kurz nach Hergott's Hinrichtung auf ihre Bitten — man schien sie förmlich vergessen zu haben — aus der Haft entlassen wurden. Diese beiden Studenten werden in den Leipziger Stadtkassenrechnnngen als diejenigen bezeichnet, „so des Hergotts Büchlein geschrieben und umgetragen." Mit Recht kann sich nun Kirchhofs nicht dazu entschließen, in dieser Angabe einen Beweis dafür zu sehen, daß die Studenten die Verfasser der Schrift gewesen seien. Er hält es vielmehr für wahrscheinlich, daß sie, zumal da der eine von ihnen als „Schreiber" bezeichnet wird, von dem Büchlein Abschriften gemacht - was ja noch lange nach der Erfindung des Buchdrucks nichts ungewöhnliches war — und diese an den Thüren der Bursen und Kollegien an ihre Kommilitonen verkauft hatten. Wer war aber nun der Verfasser, wenn nicht jene beiden Studenten? Nun, nach unserm Dafürhalten kann kaum ein Zweifel darüber sein, daß in diesem Falle Hergott Autor, Drucker und Händler in einer Person war. Für diese Annahme spricht erstens, daß die Schrift — was einigermaßen schon aus den oben in moderner Orthographie mitgetheilten Proben, mit voller Evidenz aber aus dem Originale hervorgeht — im schönsten fränkischen Dialekt geschrieben ist. Kirchhofs meint, der Verfasser „befleißige sich einer sehr unbeholfenen Schreibweise." Die angeblichen Unbeholfenheiten sind aber zum größten Theil auf Rechnung der sinnentstellenden Druckfehler zu setzen, von denen die Broschüre voll ist. Wenn die typographische Ausstattung der Schrift und die Holzschnitt¬ einfassung des Titelblattes wirklich, wie Kirchhofs angiebt, auf Wittenberg und die Crciuach'sche Schicke deuten, so liegt die Annahme nahe, daß die Exemplare, die Hergott aus Nürnberg mitgenommen hatte, bald verkauft waren, und daß er, wie es bei herumziehenden Buchhändlern etwas ganz gewöhnliches war, in irgend einer Winkeldruckerei auf sächsischem Boden — etwa in Zwickau, Grimma, Eilenburg — in aller Eile eine neue Auflage herstellen ließ. Die Klagen des Verfassers über die Verfolgung des Druckgewerbes sind auch nicht bedeutungslos; sie erklären sich am einfachsten, wenn man annimmt, daß der Autor hier zugleich der Drucker war. Ein weiterer Beweis für Hergott's Autorschaft liegt in folgendem. Wenige Wochen nach Hergott's Hinrichtung gab der alte erbitterte Gegner Luther's, Petrus Sylvius, zur Abwechslung wieder einmal eine Streitschrift heraus — sie erschien Ende Juni 1527 in Leipzig — „Ein klare Beweisunge, wie Luther

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/484>, abgerufen am 20.10.2024.