Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Euer löbliche Stadt bracht, und mit Eile nachgedruckt, verkauft, ehe denn
unsers vollendet, und also mit dem gestückten Buch die unsern in merklichen
Schaden gefügt", und in seiner gutmüthigen Art setzt er hinzu: "Und, ist mir
recht, das Hergöttlein soll mit dran sein". Daneben hatte aber Hergott seine
Pressen und seine geschäftliche Thätigkeit anch der Förderung der extremsten
Richtungen der Reformaiionszeit gewidmet. Schon 1524 hatte er in Nürnberg
für einen auswärtigen Buchführer heimlich eine Schrift Thomas Mttnzer's
gedruckt. Ende 1526 oder Anfang 1527 muß er sich von Nürnberg aufge¬
macht haben und wie viele seinesgleichen mit Flugschriften hausirend im Lande
herumgezogen sein. Bei dieser Gelegenheit wurde er im Gebiete des Herzog-
thums Sachsen -- wie Kirchhofs ziemlich wahrscheinlich macht, in Zwickau --
verhaftet, und zwar speziell wegen Vertriebes der oben genannten Broschüre,
dann nach Dresden zum Verhör vor Herzog Georg den Bärtigen gebracht
und endlich am 20. Mai 1527 in Leipzig hingerichtet.

Die Broschüre, um deretwillen er mit dem Tode bestraft wurde, ist nicht
bloß ein Kuriosum eben um dieser Folgen willen, die sich an sie knüpften,
nicht bloß eine der größten literarischen Raritäten ans der Flngschriften-
literatur der Reformationszeit -- nur auf der Zwickaner Stadtbibliothek ist bis
jetzt noch ein Exemplar nachgewiesen --, sie ist vor allem im höchsten Grade
um ihres Inhalts willen merkwürdig, denn sie macht uns mit sozialistischen
Theorien der Reformationszeit bekannt, die sich zwar in manchen Stücken mit
den geläufigen sozialistischen und agrarpolitischeu Phantastereien jener Periode be¬
rühren, deren Verkündiger jedoch auch in einzelnen Punkten entschieden "ein Narr
auf eigne Hand" war. Kirchhofs hat sich ein Verdienst erworben, daß er
im Anhang zu seiner Studie die ganze Broschüre buchstäblich hat mit ab¬
drucken lassen,' und so können wir hier aus ihr einige Mittheilungen machen.

Den Titel seiner Schrift erklärt der Verfasser gleich in den ersten Sätzen,
wo er sagt -- wir geben seine Worte in der heutigen Orthographie wieder --:
"Es sein gesehen worden drei Wandlung. Die erst hat Gott der Vater ge¬
halten mit demi alten Testament; die andere Wandlung hat Gott der Sohn
gehabt mit der Welt im neuen Testament; die dritt Wandlung wird haben
der heilig Geist mit dieser zukünftigen Wandlung von ihrem Argen, da sie jetzt
innen siud (sie)."

Dann beginnt er sofort seine sozialistischen Ideen zu entwickeln, auf die
er später auf Schritt und Tritt in seiner Schrift zurückkommt, immer unter
dem Motto: "zur Ehre Gottes und gemeinem Nutz." "Gott will demüthigen
alle Ständen, die Dörfer, Schlösser. Stift und Klöster, und will einsetzen ein
neu Wandlung, in welcher wird niemand sprechen: das ist mein." Nun schildert er,
wie alle religiösen Sekten wegfallen, der Adel und die Klöster aufgehoben, vollstäu-


Euer löbliche Stadt bracht, und mit Eile nachgedruckt, verkauft, ehe denn
unsers vollendet, und also mit dem gestückten Buch die unsern in merklichen
Schaden gefügt", und in seiner gutmüthigen Art setzt er hinzu: „Und, ist mir
recht, das Hergöttlein soll mit dran sein". Daneben hatte aber Hergott seine
Pressen und seine geschäftliche Thätigkeit anch der Förderung der extremsten
Richtungen der Reformaiionszeit gewidmet. Schon 1524 hatte er in Nürnberg
für einen auswärtigen Buchführer heimlich eine Schrift Thomas Mttnzer's
gedruckt. Ende 1526 oder Anfang 1527 muß er sich von Nürnberg aufge¬
macht haben und wie viele seinesgleichen mit Flugschriften hausirend im Lande
herumgezogen sein. Bei dieser Gelegenheit wurde er im Gebiete des Herzog-
thums Sachsen — wie Kirchhofs ziemlich wahrscheinlich macht, in Zwickau —
verhaftet, und zwar speziell wegen Vertriebes der oben genannten Broschüre,
dann nach Dresden zum Verhör vor Herzog Georg den Bärtigen gebracht
und endlich am 20. Mai 1527 in Leipzig hingerichtet.

Die Broschüre, um deretwillen er mit dem Tode bestraft wurde, ist nicht
bloß ein Kuriosum eben um dieser Folgen willen, die sich an sie knüpften,
nicht bloß eine der größten literarischen Raritäten ans der Flngschriften-
literatur der Reformationszeit — nur auf der Zwickaner Stadtbibliothek ist bis
jetzt noch ein Exemplar nachgewiesen —, sie ist vor allem im höchsten Grade
um ihres Inhalts willen merkwürdig, denn sie macht uns mit sozialistischen
Theorien der Reformationszeit bekannt, die sich zwar in manchen Stücken mit
den geläufigen sozialistischen und agrarpolitischeu Phantastereien jener Periode be¬
rühren, deren Verkündiger jedoch auch in einzelnen Punkten entschieden „ein Narr
auf eigne Hand" war. Kirchhofs hat sich ein Verdienst erworben, daß er
im Anhang zu seiner Studie die ganze Broschüre buchstäblich hat mit ab¬
drucken lassen,' und so können wir hier aus ihr einige Mittheilungen machen.

Den Titel seiner Schrift erklärt der Verfasser gleich in den ersten Sätzen,
wo er sagt — wir geben seine Worte in der heutigen Orthographie wieder —:
„Es sein gesehen worden drei Wandlung. Die erst hat Gott der Vater ge¬
halten mit demi alten Testament; die andere Wandlung hat Gott der Sohn
gehabt mit der Welt im neuen Testament; die dritt Wandlung wird haben
der heilig Geist mit dieser zukünftigen Wandlung von ihrem Argen, da sie jetzt
innen siud (sie)."

Dann beginnt er sofort seine sozialistischen Ideen zu entwickeln, auf die
er später auf Schritt und Tritt in seiner Schrift zurückkommt, immer unter
dem Motto: „zur Ehre Gottes und gemeinem Nutz." „Gott will demüthigen
alle Ständen, die Dörfer, Schlösser. Stift und Klöster, und will einsetzen ein
neu Wandlung, in welcher wird niemand sprechen: das ist mein." Nun schildert er,
wie alle religiösen Sekten wegfallen, der Adel und die Klöster aufgehoben, vollstäu-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0478" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139771"/>
          <p xml:id="ID_1508" prev="#ID_1507"> Euer löbliche Stadt bracht, und mit Eile nachgedruckt, verkauft, ehe denn<lb/>
unsers vollendet, und also mit dem gestückten Buch die unsern in merklichen<lb/>
Schaden gefügt", und in seiner gutmüthigen Art setzt er hinzu: &#x201E;Und, ist mir<lb/>
recht, das Hergöttlein soll mit dran sein". Daneben hatte aber Hergott seine<lb/>
Pressen und seine geschäftliche Thätigkeit anch der Förderung der extremsten<lb/>
Richtungen der Reformaiionszeit gewidmet. Schon 1524 hatte er in Nürnberg<lb/>
für einen auswärtigen Buchführer heimlich eine Schrift Thomas Mttnzer's<lb/>
gedruckt. Ende 1526 oder Anfang 1527 muß er sich von Nürnberg aufge¬<lb/>
macht haben und wie viele seinesgleichen mit Flugschriften hausirend im Lande<lb/>
herumgezogen sein. Bei dieser Gelegenheit wurde er im Gebiete des Herzog-<lb/>
thums Sachsen &#x2014; wie Kirchhofs ziemlich wahrscheinlich macht, in Zwickau &#x2014;<lb/>
verhaftet, und zwar speziell wegen Vertriebes der oben genannten Broschüre,<lb/>
dann nach Dresden zum Verhör vor Herzog Georg den Bärtigen gebracht<lb/>
und endlich am 20. Mai 1527 in Leipzig hingerichtet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1509"> Die Broschüre, um deretwillen er mit dem Tode bestraft wurde, ist nicht<lb/>
bloß ein Kuriosum eben um dieser Folgen willen, die sich an sie knüpften,<lb/>
nicht bloß eine der größten literarischen Raritäten ans der Flngschriften-<lb/>
literatur der Reformationszeit &#x2014; nur auf der Zwickaner Stadtbibliothek ist bis<lb/>
jetzt noch ein Exemplar nachgewiesen &#x2014;, sie ist vor allem im höchsten Grade<lb/>
um ihres Inhalts willen merkwürdig, denn sie macht uns mit sozialistischen<lb/>
Theorien der Reformationszeit bekannt, die sich zwar in manchen Stücken mit<lb/>
den geläufigen sozialistischen und agrarpolitischeu Phantastereien jener Periode be¬<lb/>
rühren, deren Verkündiger jedoch auch in einzelnen Punkten entschieden &#x201E;ein Narr<lb/>
auf eigne Hand" war. Kirchhofs hat sich ein Verdienst erworben, daß er<lb/>
im Anhang zu seiner Studie die ganze Broschüre buchstäblich hat mit ab¬<lb/>
drucken lassen,' und so können wir hier aus ihr einige Mittheilungen machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1510"> Den Titel seiner Schrift erklärt der Verfasser gleich in den ersten Sätzen,<lb/>
wo er sagt &#x2014; wir geben seine Worte in der heutigen Orthographie wieder &#x2014;:<lb/>
&#x201E;Es sein gesehen worden drei Wandlung. Die erst hat Gott der Vater ge¬<lb/>
halten mit demi alten Testament; die andere Wandlung hat Gott der Sohn<lb/>
gehabt mit der Welt im neuen Testament; die dritt Wandlung wird haben<lb/>
der heilig Geist mit dieser zukünftigen Wandlung von ihrem Argen, da sie jetzt<lb/>
innen siud (sie)."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1511" next="#ID_1512"> Dann beginnt er sofort seine sozialistischen Ideen zu entwickeln, auf die<lb/>
er später auf Schritt und Tritt in seiner Schrift zurückkommt, immer unter<lb/>
dem Motto: &#x201E;zur Ehre Gottes und gemeinem Nutz." &#x201E;Gott will demüthigen<lb/>
alle Ständen, die Dörfer, Schlösser. Stift und Klöster, und will einsetzen ein<lb/>
neu Wandlung, in welcher wird niemand sprechen: das ist mein." Nun schildert er,<lb/>
wie alle religiösen Sekten wegfallen, der Adel und die Klöster aufgehoben, vollstäu-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0478] Euer löbliche Stadt bracht, und mit Eile nachgedruckt, verkauft, ehe denn unsers vollendet, und also mit dem gestückten Buch die unsern in merklichen Schaden gefügt", und in seiner gutmüthigen Art setzt er hinzu: „Und, ist mir recht, das Hergöttlein soll mit dran sein". Daneben hatte aber Hergott seine Pressen und seine geschäftliche Thätigkeit anch der Förderung der extremsten Richtungen der Reformaiionszeit gewidmet. Schon 1524 hatte er in Nürnberg für einen auswärtigen Buchführer heimlich eine Schrift Thomas Mttnzer's gedruckt. Ende 1526 oder Anfang 1527 muß er sich von Nürnberg aufge¬ macht haben und wie viele seinesgleichen mit Flugschriften hausirend im Lande herumgezogen sein. Bei dieser Gelegenheit wurde er im Gebiete des Herzog- thums Sachsen — wie Kirchhofs ziemlich wahrscheinlich macht, in Zwickau — verhaftet, und zwar speziell wegen Vertriebes der oben genannten Broschüre, dann nach Dresden zum Verhör vor Herzog Georg den Bärtigen gebracht und endlich am 20. Mai 1527 in Leipzig hingerichtet. Die Broschüre, um deretwillen er mit dem Tode bestraft wurde, ist nicht bloß ein Kuriosum eben um dieser Folgen willen, die sich an sie knüpften, nicht bloß eine der größten literarischen Raritäten ans der Flngschriften- literatur der Reformationszeit — nur auf der Zwickaner Stadtbibliothek ist bis jetzt noch ein Exemplar nachgewiesen —, sie ist vor allem im höchsten Grade um ihres Inhalts willen merkwürdig, denn sie macht uns mit sozialistischen Theorien der Reformationszeit bekannt, die sich zwar in manchen Stücken mit den geläufigen sozialistischen und agrarpolitischeu Phantastereien jener Periode be¬ rühren, deren Verkündiger jedoch auch in einzelnen Punkten entschieden „ein Narr auf eigne Hand" war. Kirchhofs hat sich ein Verdienst erworben, daß er im Anhang zu seiner Studie die ganze Broschüre buchstäblich hat mit ab¬ drucken lassen,' und so können wir hier aus ihr einige Mittheilungen machen. Den Titel seiner Schrift erklärt der Verfasser gleich in den ersten Sätzen, wo er sagt — wir geben seine Worte in der heutigen Orthographie wieder —: „Es sein gesehen worden drei Wandlung. Die erst hat Gott der Vater ge¬ halten mit demi alten Testament; die andere Wandlung hat Gott der Sohn gehabt mit der Welt im neuen Testament; die dritt Wandlung wird haben der heilig Geist mit dieser zukünftigen Wandlung von ihrem Argen, da sie jetzt innen siud (sie)." Dann beginnt er sofort seine sozialistischen Ideen zu entwickeln, auf die er später auf Schritt und Tritt in seiner Schrift zurückkommt, immer unter dem Motto: „zur Ehre Gottes und gemeinem Nutz." „Gott will demüthigen alle Ständen, die Dörfer, Schlösser. Stift und Klöster, und will einsetzen ein neu Wandlung, in welcher wird niemand sprechen: das ist mein." Nun schildert er, wie alle religiösen Sekten wegfallen, der Adel und die Klöster aufgehoben, vollstäu-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/478
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/478>, abgerufen am 27.09.2024.