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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Ereigniß zu finden sei, daß die einzige alte Quelle, welche von der Sache
etwas weiß, der sogenannte "Pirnische Mönch", das Ereigniß nicht 1524, son¬
dern 1527 ansetze ("und ward ein Buchführer enthaupt und seiue ketzersche
Bücher verbrannt") und daß die ganze Geschichte wohl so lauge in den Bereich
der Fabel zu verweisen sein dürfte, als sich nicht urkundliche Beweise dafür
würden beibringen lassen.

Diese vermißten urkundlichen Beweise sind nun neuerdings unabhängig von
einander von zwei verschiedenen Seiten -- von Posern-Kiele, dem leider zu
früh verstorbenen Herausgeber des "Urkundenbuchs der Stadt Leipzig" und
von A. Kirchhofs -- aufgefunden worden.

Das Leipziger Stadtarchiv verwahrt in einem Aktenfascikel "Religion be¬
treffende Sachen. Nachrichten über die Reformation des 16. LaseM ent¬
haltend" eine bisher gänzlich unbekannte gedruckte Flugschrift aus der Refor¬
mationszeit. Sie umfaßt 18 Blätter in Kleinoktav und führt den Titel: "Von
der neuen Wandlung eines christlichen Lebens. Hüt dich, Teufel, die Höll
wird zerbrechen". Der ganze Allerhand ist erst in der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts aus einzelnen Stücken zusammengeheftet worden, und ein
glücklicher Zufall hat es gefügt, daß der Aktenhefter den Papierbogen, in welchem
die Druckschrift 150 Jahre lang eingeschlagen im Staube des Archivs gelegen
hatte, auseinandergefaltet, als Umschlag für den Druck benutzt und mit
eingeheftet hat. Dieser Bogen aber trägt in schöner, gleichzeitiger Hand die Auf¬
schrift: "Hans Hergotts von Nürnberg ufrührisch Büchlein, umb welches
willen er mit dem Schwerte allhier gericht. Montag nach Cantate, ^imo
vommi 1527".

Diese beiden Dokumente, die Druckschrift selbst und die dabei befindliche
Notiz, reichen hin, um volle Klarheit in die Angelegenheit zu bringen. Erstens
bestätigt sich das Jahr, welches der "Pirnische Mönch" angiebt; zweitens ergiebt
sich, daß es sich nicht um einen Leipziger Buchhändler handelte, sondern
um den auch sonst in der Geschichte der Reformation sehr wohl bekannten
Nürnberger Buchhändler Johann Hergott. Drittens, und dies ist das wich¬
tigste, stellt sich heraus, daß Hergott gar nicht, wie bisher gefabelt wurde, das
Opfer seiner religiösen Ueberzeugung geworden ist, sondern als sozialistischer
Agitator, als Nachzügler der Bauernkriege oder, wenn man will, als Vorläufer
der Wiedertäufer gebüßt hat.

Hans Hergott hatte bis 1526 in Nürnberg namentlich vom Nachdruck
lutherischer Schriften gelebt. Am 26. September 1525 beschwert sich Luther
beim Rathe zu Nürnberg: "Ich füge E. W. klagend zu wissen, wie daß unsern
Druckern allhier etliche Sextern der Postillen, so noch im Druck gelegen, heim¬
lich entzogen und gestohlen sind, wohl über die Halse des Buchs, und in


Ereigniß zu finden sei, daß die einzige alte Quelle, welche von der Sache
etwas weiß, der sogenannte „Pirnische Mönch", das Ereigniß nicht 1524, son¬
dern 1527 ansetze („und ward ein Buchführer enthaupt und seiue ketzersche
Bücher verbrannt") und daß die ganze Geschichte wohl so lauge in den Bereich
der Fabel zu verweisen sein dürfte, als sich nicht urkundliche Beweise dafür
würden beibringen lassen.

Diese vermißten urkundlichen Beweise sind nun neuerdings unabhängig von
einander von zwei verschiedenen Seiten — von Posern-Kiele, dem leider zu
früh verstorbenen Herausgeber des „Urkundenbuchs der Stadt Leipzig" und
von A. Kirchhofs — aufgefunden worden.

Das Leipziger Stadtarchiv verwahrt in einem Aktenfascikel „Religion be¬
treffende Sachen. Nachrichten über die Reformation des 16. LaseM ent¬
haltend" eine bisher gänzlich unbekannte gedruckte Flugschrift aus der Refor¬
mationszeit. Sie umfaßt 18 Blätter in Kleinoktav und führt den Titel: „Von
der neuen Wandlung eines christlichen Lebens. Hüt dich, Teufel, die Höll
wird zerbrechen". Der ganze Allerhand ist erst in der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts aus einzelnen Stücken zusammengeheftet worden, und ein
glücklicher Zufall hat es gefügt, daß der Aktenhefter den Papierbogen, in welchem
die Druckschrift 150 Jahre lang eingeschlagen im Staube des Archivs gelegen
hatte, auseinandergefaltet, als Umschlag für den Druck benutzt und mit
eingeheftet hat. Dieser Bogen aber trägt in schöner, gleichzeitiger Hand die Auf¬
schrift: „Hans Hergotts von Nürnberg ufrührisch Büchlein, umb welches
willen er mit dem Schwerte allhier gericht. Montag nach Cantate, ^imo
vommi 1527".

Diese beiden Dokumente, die Druckschrift selbst und die dabei befindliche
Notiz, reichen hin, um volle Klarheit in die Angelegenheit zu bringen. Erstens
bestätigt sich das Jahr, welches der „Pirnische Mönch" angiebt; zweitens ergiebt
sich, daß es sich nicht um einen Leipziger Buchhändler handelte, sondern
um den auch sonst in der Geschichte der Reformation sehr wohl bekannten
Nürnberger Buchhändler Johann Hergott. Drittens, und dies ist das wich¬
tigste, stellt sich heraus, daß Hergott gar nicht, wie bisher gefabelt wurde, das
Opfer seiner religiösen Ueberzeugung geworden ist, sondern als sozialistischer
Agitator, als Nachzügler der Bauernkriege oder, wenn man will, als Vorläufer
der Wiedertäufer gebüßt hat.

Hans Hergott hatte bis 1526 in Nürnberg namentlich vom Nachdruck
lutherischer Schriften gelebt. Am 26. September 1525 beschwert sich Luther
beim Rathe zu Nürnberg: „Ich füge E. W. klagend zu wissen, wie daß unsern
Druckern allhier etliche Sextern der Postillen, so noch im Druck gelegen, heim¬
lich entzogen und gestohlen sind, wohl über die Halse des Buchs, und in


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[0477] Ereigniß zu finden sei, daß die einzige alte Quelle, welche von der Sache etwas weiß, der sogenannte „Pirnische Mönch", das Ereigniß nicht 1524, son¬ dern 1527 ansetze („und ward ein Buchführer enthaupt und seiue ketzersche Bücher verbrannt") und daß die ganze Geschichte wohl so lauge in den Bereich der Fabel zu verweisen sein dürfte, als sich nicht urkundliche Beweise dafür würden beibringen lassen. Diese vermißten urkundlichen Beweise sind nun neuerdings unabhängig von einander von zwei verschiedenen Seiten — von Posern-Kiele, dem leider zu früh verstorbenen Herausgeber des „Urkundenbuchs der Stadt Leipzig" und von A. Kirchhofs — aufgefunden worden. Das Leipziger Stadtarchiv verwahrt in einem Aktenfascikel „Religion be¬ treffende Sachen. Nachrichten über die Reformation des 16. LaseM ent¬ haltend" eine bisher gänzlich unbekannte gedruckte Flugschrift aus der Refor¬ mationszeit. Sie umfaßt 18 Blätter in Kleinoktav und führt den Titel: „Von der neuen Wandlung eines christlichen Lebens. Hüt dich, Teufel, die Höll wird zerbrechen". Der ganze Allerhand ist erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aus einzelnen Stücken zusammengeheftet worden, und ein glücklicher Zufall hat es gefügt, daß der Aktenhefter den Papierbogen, in welchem die Druckschrift 150 Jahre lang eingeschlagen im Staube des Archivs gelegen hatte, auseinandergefaltet, als Umschlag für den Druck benutzt und mit eingeheftet hat. Dieser Bogen aber trägt in schöner, gleichzeitiger Hand die Auf¬ schrift: „Hans Hergotts von Nürnberg ufrührisch Büchlein, umb welches willen er mit dem Schwerte allhier gericht. Montag nach Cantate, ^imo vommi 1527". Diese beiden Dokumente, die Druckschrift selbst und die dabei befindliche Notiz, reichen hin, um volle Klarheit in die Angelegenheit zu bringen. Erstens bestätigt sich das Jahr, welches der „Pirnische Mönch" angiebt; zweitens ergiebt sich, daß es sich nicht um einen Leipziger Buchhändler handelte, sondern um den auch sonst in der Geschichte der Reformation sehr wohl bekannten Nürnberger Buchhändler Johann Hergott. Drittens, und dies ist das wich¬ tigste, stellt sich heraus, daß Hergott gar nicht, wie bisher gefabelt wurde, das Opfer seiner religiösen Ueberzeugung geworden ist, sondern als sozialistischer Agitator, als Nachzügler der Bauernkriege oder, wenn man will, als Vorläufer der Wiedertäufer gebüßt hat. Hans Hergott hatte bis 1526 in Nürnberg namentlich vom Nachdruck lutherischer Schriften gelebt. Am 26. September 1525 beschwert sich Luther beim Rathe zu Nürnberg: „Ich füge E. W. klagend zu wissen, wie daß unsern Druckern allhier etliche Sextern der Postillen, so noch im Druck gelegen, heim¬ lich entzogen und gestohlen sind, wohl über die Halse des Buchs, und in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/477>, abgerufen am 20.10.2024.