Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.nimmt. In Berlin sank sie von 101 im Jahre 1874 auf 18 im Jahre 1876. Einsichtiger und williger zeigen sich die Unternehmer in der Sorge um nimmt. In Berlin sank sie von 101 im Jahre 1874 auf 18 im Jahre 1876. Einsichtiger und williger zeigen sich die Unternehmer in der Sorge um <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139762"/> <p xml:id="ID_1480" prev="#ID_1479"> nimmt. In Berlin sank sie von 101 im Jahre 1874 auf 18 im Jahre 1876.<lb/> Von diesen 18 waren beiläufig allein 10 in Zeituugsdruckereien beschäftigt,<lb/> was für die Berliner Presse kein besonders schmeichelhaftes Zeugniß ist. Herr<lb/> v. Stülpnagel, der Berliner Fabrikinspektor, wendet dieser Frage einen beson¬<lb/> ders rühmlichen Eifer zu und er plaidirt dafür, daß Arbeit von Kindern unter<lb/> 14 Jahren in Fabriken ganz untersagt werden soll: seines Erachtens schließen<lb/> sich nennenswerthe Arbeitsleistung und wirksamer Schulunterricht gegenseitig<lb/> aus. Mag man darüber streiten, in welchen Etappen es zu erreichen ist, in<lb/> jedem Falle muß das gänzliche Verbot der Fabrikarbeit von Kindern in schul¬<lb/> pflichtigen Alter ein unverrückbares Ziel der deutschen Gewerbegesetzgebnng<lb/> bleiben; wir haben kein Recht, bei kommenden Geschlechtern Anleihen zu er¬<lb/> heben, die wie treffend gesagt worden ist, dermaleinst mit Wucherzinsen zurück¬<lb/> gezahlt werden müssen. Nichts war erfreulicher, als daß sich in den jüngsten<lb/> Gewerbeorduungsdebatten ein gleichmäßiger Widerstand aller Parteien gegen<lb/> die Absicht der Negierung geltend machte, die gesetzlichen Beschränkungen der<lb/> Kinderarbeit zu lockern. Auch unter den Fabrikanten fängt eine bessere Er¬<lb/> kenntniß an um sich zu greifen; ein Fabrikinspektor schreibt: „Vielerorts ver¬<lb/> halten sich die Industriellen gegen die Bemühungen der Eltern, Beschäftigung<lb/> für 12 bis 14 jährige Kinder zu erlangen, um deswillen ablehnend, weil sie<lb/> der Ansicht sind, daß die vollkommene Schulreife wesentlich zur Erziehung und<lb/> Beschaffung eines intelligenteren und kräftigeren Arbeiterpersonals beiträgt."<lb/> Ehre diesen braven Männern! Es sind „Schlvtjunker" aus dein Regierungsbe¬<lb/> zirke Düsseldorf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1481" next="#ID_1482"> Einsichtiger und williger zeigen sich die Unternehmer in der Sorge um<lb/> Schutz für Leben und Gesundheit ihrer Arbeiter. Hier wissen die Faorikin-<lb/> fpektoren viel Entgegenkommen zu rühmen. Dagegen sind sie einstimmig in<lb/> Klagen über den sträflichen Leichtsinn, den thörichten Muthwillen, die unaus¬<lb/> rottbare Indolenz der Arbeiter in diesem Betracht, Ist es doch vorgekommen,<lb/> daß Schutzvorrichtungen, die auf ihre Anordnung bewerkstelligt waren, von den<lb/> Arbeitern selbst beseitigt und zerstört wurden! Dr. Wolfs in Düsseldorf regt<lb/> an, ob es sich nicht empfiehlt, die Fabrikarbeiter wegen der Uebertretung ge¬<lb/> setzlich oder polizeilich erlassener oder genehmigter Fabrikvorschristen ebensowohl<lb/> mit Strafe zu bedrohen, wie dies hinsichtlich der Arbeitgeber allgemein ge¬<lb/> schieht, und diese Anregung hat um so mehr für sich, wenn man bedenkt, daß<lb/> die Arbeitgeber keineswegs immer in der Lage sind, die Arbeiter zur Jnne-<lb/> haltung der Vorschriften zu zwingen. Es ist der Regierungsbezirk Düsseldorf,<lb/> dessen Arbeiterbevölkerung in einem kompetenten Urtheiler den Gedanken an¬<lb/> regt, sie gewaltsam zu ihrem eigenen Besten zwingen zu müssen, derselbe Bezirk,<lb/> in welchem hartherzige „Schlotjunker" ein menschliches Rühren fühlen, wenn</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0469]
nimmt. In Berlin sank sie von 101 im Jahre 1874 auf 18 im Jahre 1876.
Von diesen 18 waren beiläufig allein 10 in Zeituugsdruckereien beschäftigt,
was für die Berliner Presse kein besonders schmeichelhaftes Zeugniß ist. Herr
v. Stülpnagel, der Berliner Fabrikinspektor, wendet dieser Frage einen beson¬
ders rühmlichen Eifer zu und er plaidirt dafür, daß Arbeit von Kindern unter
14 Jahren in Fabriken ganz untersagt werden soll: seines Erachtens schließen
sich nennenswerthe Arbeitsleistung und wirksamer Schulunterricht gegenseitig
aus. Mag man darüber streiten, in welchen Etappen es zu erreichen ist, in
jedem Falle muß das gänzliche Verbot der Fabrikarbeit von Kindern in schul¬
pflichtigen Alter ein unverrückbares Ziel der deutschen Gewerbegesetzgebnng
bleiben; wir haben kein Recht, bei kommenden Geschlechtern Anleihen zu er¬
heben, die wie treffend gesagt worden ist, dermaleinst mit Wucherzinsen zurück¬
gezahlt werden müssen. Nichts war erfreulicher, als daß sich in den jüngsten
Gewerbeorduungsdebatten ein gleichmäßiger Widerstand aller Parteien gegen
die Absicht der Negierung geltend machte, die gesetzlichen Beschränkungen der
Kinderarbeit zu lockern. Auch unter den Fabrikanten fängt eine bessere Er¬
kenntniß an um sich zu greifen; ein Fabrikinspektor schreibt: „Vielerorts ver¬
halten sich die Industriellen gegen die Bemühungen der Eltern, Beschäftigung
für 12 bis 14 jährige Kinder zu erlangen, um deswillen ablehnend, weil sie
der Ansicht sind, daß die vollkommene Schulreife wesentlich zur Erziehung und
Beschaffung eines intelligenteren und kräftigeren Arbeiterpersonals beiträgt."
Ehre diesen braven Männern! Es sind „Schlvtjunker" aus dein Regierungsbe¬
zirke Düsseldorf.
Einsichtiger und williger zeigen sich die Unternehmer in der Sorge um
Schutz für Leben und Gesundheit ihrer Arbeiter. Hier wissen die Faorikin-
fpektoren viel Entgegenkommen zu rühmen. Dagegen sind sie einstimmig in
Klagen über den sträflichen Leichtsinn, den thörichten Muthwillen, die unaus¬
rottbare Indolenz der Arbeiter in diesem Betracht, Ist es doch vorgekommen,
daß Schutzvorrichtungen, die auf ihre Anordnung bewerkstelligt waren, von den
Arbeitern selbst beseitigt und zerstört wurden! Dr. Wolfs in Düsseldorf regt
an, ob es sich nicht empfiehlt, die Fabrikarbeiter wegen der Uebertretung ge¬
setzlich oder polizeilich erlassener oder genehmigter Fabrikvorschristen ebensowohl
mit Strafe zu bedrohen, wie dies hinsichtlich der Arbeitgeber allgemein ge¬
schieht, und diese Anregung hat um so mehr für sich, wenn man bedenkt, daß
die Arbeitgeber keineswegs immer in der Lage sind, die Arbeiter zur Jnne-
haltung der Vorschriften zu zwingen. Es ist der Regierungsbezirk Düsseldorf,
dessen Arbeiterbevölkerung in einem kompetenten Urtheiler den Gedanken an¬
regt, sie gewaltsam zu ihrem eigenen Besten zwingen zu müssen, derselbe Bezirk,
in welchem hartherzige „Schlotjunker" ein menschliches Rühren fühlen, wenn
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