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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Beiden mitzuwirken und die Arbeitgeber auch über die gesetzlichen Anforderun¬
gen hinaus zu Einrichtungen anzuregen, welche die Verbesserung der Lage
ihrer Arbeiter bezwecken. Was endlich die Mittel zur Erfüllung dieser Auf¬
gaben anbetrifft, so haben die Fabrikinspektoren immer und überall zunächst
durch gütliche Aufforderung und geeignete Vorstellungen zu wirken und erst
wenn diese nicht verfangen, stehen ihnen, soweit die Schutzvorschriften für Kin¬
der und jugendliche Arbeiter in Frage kommen, polizeiliche Befugnisse zu; sie
dürfen jedoch unter keinen Umständen Strafmandate und nur dann zwingende
Verfügungen erlassen, wenn sie ein sofortiges Einschreiten für nothwendig
halten; in allem Uebrigen haben sie einfach an den Oberpräsidenten der Pro¬
vinz, resp, den Regierungspräsidenten des Bezirks zu berichten. Dies sind
etwa die Züge, aus denen sich das allgemeine Bild der neuen Institution zu¬
sammensetzt.

Mau erkennt ans den ersten Blick, wie behutsam und vorsichtig sie ge¬
schaffen und organisirt ist. So viel wie irgend möglich ist dies neue Glied
der Beamtenhierarchie in den regelmäßigen Gang der bureaukratischen Maschine
eingefügt; seine eigene Initiative ist auf das denkbar geringste Maß einge¬
schränkt und in dieser Beziehung ist der preußische Fabrikinspektor verglichen
mit seinem englischen Kollegen ein reiner Embryo. Allein dieser Embryo hat
sich durchaus lebens- und entwickelungsfähig gezeigt. Seit den wenigen Jah¬
ren, in welchen diese Beamten fungiren, haben sie viel Nützliches vollbracht,
in Hunderten von Fabriken den Gesetzen des Reichs Achtung verschafft, in selbst¬
süchtigen Unternehmern das Gefühl ihrer sozialen Pflichten erweckt oder ge¬
stärkt, in dumpf vegetirenden Arbeiterschichten Glauben an und Vertrauen in
die Selbsthilfe angeregt und ihnen im eigenen Wirken ein lauteres Bild der
Staatshilfe gegeben, in ihren Jahresberichten eine lange Reihe durchdachter
Anregungen und selbst reifer Vorschläge niedergelegt und endlich durch eben
diese Berichte ein Bild unserer sozialen Zustände entrollt, wie es in gleich
lebendiger Farbe und Form sonst nicht existirt. Und dabei sind sie fortwäh¬
rend mit ihren größeren Zwecken gewachsen. In früheren Jahren auf dünne
Broschüren von wenigen Bogen beschränkt, umfassen ihre Jahresberichte für
1876 einen stattlichen Band, der einerseits bis in's minutiöseste Detail des
technischen Fabrikenbetriebs eindringt und ihn durch eine Fülle statistischen
Materials, durch Pläne, Zeichnungen ;e. erläutert, andererseits aus dem
Schoße der industriellen Bevölkerung Schilderungen von kulturhistorischen
Werthe bringt und der Gesetzgebung die künftigen Wege andeutet. Leider ist
das entworfene Gemälde selbst nur für Preußen nicht vollständig; einzelne
Landestheile sind, wie erwähnt, noch gar nicht vertreten, in anderen amtirten
die Fabrikinspektoren erst so kurze Zeit, daß sie sich auf allgemeine Bemer-


Grenzboten I. 1878. S8

Beiden mitzuwirken und die Arbeitgeber auch über die gesetzlichen Anforderun¬
gen hinaus zu Einrichtungen anzuregen, welche die Verbesserung der Lage
ihrer Arbeiter bezwecken. Was endlich die Mittel zur Erfüllung dieser Auf¬
gaben anbetrifft, so haben die Fabrikinspektoren immer und überall zunächst
durch gütliche Aufforderung und geeignete Vorstellungen zu wirken und erst
wenn diese nicht verfangen, stehen ihnen, soweit die Schutzvorschriften für Kin¬
der und jugendliche Arbeiter in Frage kommen, polizeiliche Befugnisse zu; sie
dürfen jedoch unter keinen Umständen Strafmandate und nur dann zwingende
Verfügungen erlassen, wenn sie ein sofortiges Einschreiten für nothwendig
halten; in allem Uebrigen haben sie einfach an den Oberpräsidenten der Pro¬
vinz, resp, den Regierungspräsidenten des Bezirks zu berichten. Dies sind
etwa die Züge, aus denen sich das allgemeine Bild der neuen Institution zu¬
sammensetzt.

Mau erkennt ans den ersten Blick, wie behutsam und vorsichtig sie ge¬
schaffen und organisirt ist. So viel wie irgend möglich ist dies neue Glied
der Beamtenhierarchie in den regelmäßigen Gang der bureaukratischen Maschine
eingefügt; seine eigene Initiative ist auf das denkbar geringste Maß einge¬
schränkt und in dieser Beziehung ist der preußische Fabrikinspektor verglichen
mit seinem englischen Kollegen ein reiner Embryo. Allein dieser Embryo hat
sich durchaus lebens- und entwickelungsfähig gezeigt. Seit den wenigen Jah¬
ren, in welchen diese Beamten fungiren, haben sie viel Nützliches vollbracht,
in Hunderten von Fabriken den Gesetzen des Reichs Achtung verschafft, in selbst¬
süchtigen Unternehmern das Gefühl ihrer sozialen Pflichten erweckt oder ge¬
stärkt, in dumpf vegetirenden Arbeiterschichten Glauben an und Vertrauen in
die Selbsthilfe angeregt und ihnen im eigenen Wirken ein lauteres Bild der
Staatshilfe gegeben, in ihren Jahresberichten eine lange Reihe durchdachter
Anregungen und selbst reifer Vorschläge niedergelegt und endlich durch eben
diese Berichte ein Bild unserer sozialen Zustände entrollt, wie es in gleich
lebendiger Farbe und Form sonst nicht existirt. Und dabei sind sie fortwäh¬
rend mit ihren größeren Zwecken gewachsen. In früheren Jahren auf dünne
Broschüren von wenigen Bogen beschränkt, umfassen ihre Jahresberichte für
1876 einen stattlichen Band, der einerseits bis in's minutiöseste Detail des
technischen Fabrikenbetriebs eindringt und ihn durch eine Fülle statistischen
Materials, durch Pläne, Zeichnungen ;e. erläutert, andererseits aus dem
Schoße der industriellen Bevölkerung Schilderungen von kulturhistorischen
Werthe bringt und der Gesetzgebung die künftigen Wege andeutet. Leider ist
das entworfene Gemälde selbst nur für Preußen nicht vollständig; einzelne
Landestheile sind, wie erwähnt, noch gar nicht vertreten, in anderen amtirten
die Fabrikinspektoren erst so kurze Zeit, daß sie sich auf allgemeine Bemer-


Grenzboten I. 1878. S8
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[0465] Beiden mitzuwirken und die Arbeitgeber auch über die gesetzlichen Anforderun¬ gen hinaus zu Einrichtungen anzuregen, welche die Verbesserung der Lage ihrer Arbeiter bezwecken. Was endlich die Mittel zur Erfüllung dieser Auf¬ gaben anbetrifft, so haben die Fabrikinspektoren immer und überall zunächst durch gütliche Aufforderung und geeignete Vorstellungen zu wirken und erst wenn diese nicht verfangen, stehen ihnen, soweit die Schutzvorschriften für Kin¬ der und jugendliche Arbeiter in Frage kommen, polizeiliche Befugnisse zu; sie dürfen jedoch unter keinen Umständen Strafmandate und nur dann zwingende Verfügungen erlassen, wenn sie ein sofortiges Einschreiten für nothwendig halten; in allem Uebrigen haben sie einfach an den Oberpräsidenten der Pro¬ vinz, resp, den Regierungspräsidenten des Bezirks zu berichten. Dies sind etwa die Züge, aus denen sich das allgemeine Bild der neuen Institution zu¬ sammensetzt. Mau erkennt ans den ersten Blick, wie behutsam und vorsichtig sie ge¬ schaffen und organisirt ist. So viel wie irgend möglich ist dies neue Glied der Beamtenhierarchie in den regelmäßigen Gang der bureaukratischen Maschine eingefügt; seine eigene Initiative ist auf das denkbar geringste Maß einge¬ schränkt und in dieser Beziehung ist der preußische Fabrikinspektor verglichen mit seinem englischen Kollegen ein reiner Embryo. Allein dieser Embryo hat sich durchaus lebens- und entwickelungsfähig gezeigt. Seit den wenigen Jah¬ ren, in welchen diese Beamten fungiren, haben sie viel Nützliches vollbracht, in Hunderten von Fabriken den Gesetzen des Reichs Achtung verschafft, in selbst¬ süchtigen Unternehmern das Gefühl ihrer sozialen Pflichten erweckt oder ge¬ stärkt, in dumpf vegetirenden Arbeiterschichten Glauben an und Vertrauen in die Selbsthilfe angeregt und ihnen im eigenen Wirken ein lauteres Bild der Staatshilfe gegeben, in ihren Jahresberichten eine lange Reihe durchdachter Anregungen und selbst reifer Vorschläge niedergelegt und endlich durch eben diese Berichte ein Bild unserer sozialen Zustände entrollt, wie es in gleich lebendiger Farbe und Form sonst nicht existirt. Und dabei sind sie fortwäh¬ rend mit ihren größeren Zwecken gewachsen. In früheren Jahren auf dünne Broschüren von wenigen Bogen beschränkt, umfassen ihre Jahresberichte für 1876 einen stattlichen Band, der einerseits bis in's minutiöseste Detail des technischen Fabrikenbetriebs eindringt und ihn durch eine Fülle statistischen Materials, durch Pläne, Zeichnungen ;e. erläutert, andererseits aus dem Schoße der industriellen Bevölkerung Schilderungen von kulturhistorischen Werthe bringt und der Gesetzgebung die künftigen Wege andeutet. Leider ist das entworfene Gemälde selbst nur für Preußen nicht vollständig; einzelne Landestheile sind, wie erwähnt, noch gar nicht vertreten, in anderen amtirten die Fabrikinspektoren erst so kurze Zeit, daß sie sich auf allgemeine Bemer- Grenzboten I. 1878. S8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/465>, abgerufen am 20.10.2024.