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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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und in Soave, einem anmuthigen Ort im Veronesischen, ist der Dichter aufge¬
wachsen. In Verona besuchte er das Gymnasium. Im Jahr 1848 siedelte
die Familie nach Mantuci über. Der damals sechzehnjährige Jüngling brannte
schon vor Begierde, sich dem venezianischen Aufstand anzuschließen und das
große Wort Daniele Mamin's wahr zu machen: "Die Menschen sind die
Zeiten." Mit Mühe gelang es den besorgten Eltern, den Kampfesmuthigen
zur Fortsetzung seiner philosophischen Studien und zur Pflege seiner Lieblings¬
beschäftigung, poetischer Arbeit, in das stille Pisa zu schicken. Toskana, die
reinste Quelle der Sprache und des Stils fesselte die leidenschaftliche patriotische
Kampflust des jungen Dichters. Als aber die Oesterreicher auch in Toskana
einrückten, war kein Halt mehr für ihn. Jppolito nahm in Livorno mit un¬
gestümer glänzender Tapferkeit an den: kurzen blutigen Kampfe Theil. Als
Livorno gefallen war, wollte er uach Rom eilen, um hier mit den letzten
Kämpfern für Italiens Unabhängigkeit zu siegen oder zu sterben. Nur mühsam
gelang es einem väterlichen Freunde, ihn den Seinigen wieder zuzuführen.
Gefahrvoll im höchsten Grade war auch diese Heimkehr. Denn längst stand
Jppolito im schwarzen Buche der Tedeschi, sein österreichischer Paß schützte ihn
mit nichten vor der trockenen Guilloutine österreichischer Kerker oder dein be¬
liebten summarischen Verfahren des Standrechts. Er lebte daher in stiller
Verborgenheit in dem mantuanischen Städchen Nevere seinen Studien bis zum
Herbst; da erst wagte er uach Mantua zurückzukehren. Und als er hier der
Versuchung nicht zu widerstehen vermochte, sich in den Mnzzinistischen Geheim¬
bund aufnehmen zu lassen, bewogen ihn seine von ihm herzlich verehrten Eltern
abermals zu verschwinden.

Die unfreiwillige Muße und Abgeschiedenheit, die Nievo sich auf dem
Landgut der Familie im Friaul, dem Castello ti Colloredo auferlegen mußte,
ist wohl entscheidend gewesen, für den hauptsächlichen, sozusagen bürgerlichen
Wirkungskreis und Beruf seiner kommenden Jahre. Juristischen Studien hat
er wahrscheinlich auch hier obgelegen, denn schon 1855 erlangte er die juristische
Doktorwürde. Aber gereift und vertieft hat er hier sicherlich vor Allem seine
poetischen Arbeiten. Die Früchte, die er auf diesem Gebiet erntete, sobald er
wieder unter Menschen trat, geben davon das beste Zeugniß. Zudem war
der Frieden und die Ruhe dieser Verborgenheit so vollkommen, daß alle Welt
glaubte, Nievo habe Italien überhaupt verlassen, und er selbst in späteren
Jahren, wenn er der stillen Sammlung seiner Kraft bedürfte, um Großes zu
schaffen, freiwillig zu dem reizenden weltfernen Familiensitz zurückkehrte. Erst
als die Jubeljahre der österreichischen Reaktion vorüber waren, wagte Nievo
wieder als Student der Rechte in Padua aufzutauchen. Er führte seine juri¬
stischen Studien energisch zu Ende und veröffentlichte gleichzeitig in einem im


und in Soave, einem anmuthigen Ort im Veronesischen, ist der Dichter aufge¬
wachsen. In Verona besuchte er das Gymnasium. Im Jahr 1848 siedelte
die Familie nach Mantuci über. Der damals sechzehnjährige Jüngling brannte
schon vor Begierde, sich dem venezianischen Aufstand anzuschließen und das
große Wort Daniele Mamin's wahr zu machen: „Die Menschen sind die
Zeiten." Mit Mühe gelang es den besorgten Eltern, den Kampfesmuthigen
zur Fortsetzung seiner philosophischen Studien und zur Pflege seiner Lieblings¬
beschäftigung, poetischer Arbeit, in das stille Pisa zu schicken. Toskana, die
reinste Quelle der Sprache und des Stils fesselte die leidenschaftliche patriotische
Kampflust des jungen Dichters. Als aber die Oesterreicher auch in Toskana
einrückten, war kein Halt mehr für ihn. Jppolito nahm in Livorno mit un¬
gestümer glänzender Tapferkeit an den: kurzen blutigen Kampfe Theil. Als
Livorno gefallen war, wollte er uach Rom eilen, um hier mit den letzten
Kämpfern für Italiens Unabhängigkeit zu siegen oder zu sterben. Nur mühsam
gelang es einem väterlichen Freunde, ihn den Seinigen wieder zuzuführen.
Gefahrvoll im höchsten Grade war auch diese Heimkehr. Denn längst stand
Jppolito im schwarzen Buche der Tedeschi, sein österreichischer Paß schützte ihn
mit nichten vor der trockenen Guilloutine österreichischer Kerker oder dein be¬
liebten summarischen Verfahren des Standrechts. Er lebte daher in stiller
Verborgenheit in dem mantuanischen Städchen Nevere seinen Studien bis zum
Herbst; da erst wagte er uach Mantua zurückzukehren. Und als er hier der
Versuchung nicht zu widerstehen vermochte, sich in den Mnzzinistischen Geheim¬
bund aufnehmen zu lassen, bewogen ihn seine von ihm herzlich verehrten Eltern
abermals zu verschwinden.

Die unfreiwillige Muße und Abgeschiedenheit, die Nievo sich auf dem
Landgut der Familie im Friaul, dem Castello ti Colloredo auferlegen mußte,
ist wohl entscheidend gewesen, für den hauptsächlichen, sozusagen bürgerlichen
Wirkungskreis und Beruf seiner kommenden Jahre. Juristischen Studien hat
er wahrscheinlich auch hier obgelegen, denn schon 1855 erlangte er die juristische
Doktorwürde. Aber gereift und vertieft hat er hier sicherlich vor Allem seine
poetischen Arbeiten. Die Früchte, die er auf diesem Gebiet erntete, sobald er
wieder unter Menschen trat, geben davon das beste Zeugniß. Zudem war
der Frieden und die Ruhe dieser Verborgenheit so vollkommen, daß alle Welt
glaubte, Nievo habe Italien überhaupt verlassen, und er selbst in späteren
Jahren, wenn er der stillen Sammlung seiner Kraft bedürfte, um Großes zu
schaffen, freiwillig zu dem reizenden weltfernen Familiensitz zurückkehrte. Erst
als die Jubeljahre der österreichischen Reaktion vorüber waren, wagte Nievo
wieder als Student der Rechte in Padua aufzutauchen. Er führte seine juri¬
stischen Studien energisch zu Ende und veröffentlichte gleichzeitig in einem im


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[0437] und in Soave, einem anmuthigen Ort im Veronesischen, ist der Dichter aufge¬ wachsen. In Verona besuchte er das Gymnasium. Im Jahr 1848 siedelte die Familie nach Mantuci über. Der damals sechzehnjährige Jüngling brannte schon vor Begierde, sich dem venezianischen Aufstand anzuschließen und das große Wort Daniele Mamin's wahr zu machen: „Die Menschen sind die Zeiten." Mit Mühe gelang es den besorgten Eltern, den Kampfesmuthigen zur Fortsetzung seiner philosophischen Studien und zur Pflege seiner Lieblings¬ beschäftigung, poetischer Arbeit, in das stille Pisa zu schicken. Toskana, die reinste Quelle der Sprache und des Stils fesselte die leidenschaftliche patriotische Kampflust des jungen Dichters. Als aber die Oesterreicher auch in Toskana einrückten, war kein Halt mehr für ihn. Jppolito nahm in Livorno mit un¬ gestümer glänzender Tapferkeit an den: kurzen blutigen Kampfe Theil. Als Livorno gefallen war, wollte er uach Rom eilen, um hier mit den letzten Kämpfern für Italiens Unabhängigkeit zu siegen oder zu sterben. Nur mühsam gelang es einem väterlichen Freunde, ihn den Seinigen wieder zuzuführen. Gefahrvoll im höchsten Grade war auch diese Heimkehr. Denn längst stand Jppolito im schwarzen Buche der Tedeschi, sein österreichischer Paß schützte ihn mit nichten vor der trockenen Guilloutine österreichischer Kerker oder dein be¬ liebten summarischen Verfahren des Standrechts. Er lebte daher in stiller Verborgenheit in dem mantuanischen Städchen Nevere seinen Studien bis zum Herbst; da erst wagte er uach Mantua zurückzukehren. Und als er hier der Versuchung nicht zu widerstehen vermochte, sich in den Mnzzinistischen Geheim¬ bund aufnehmen zu lassen, bewogen ihn seine von ihm herzlich verehrten Eltern abermals zu verschwinden. Die unfreiwillige Muße und Abgeschiedenheit, die Nievo sich auf dem Landgut der Familie im Friaul, dem Castello ti Colloredo auferlegen mußte, ist wohl entscheidend gewesen, für den hauptsächlichen, sozusagen bürgerlichen Wirkungskreis und Beruf seiner kommenden Jahre. Juristischen Studien hat er wahrscheinlich auch hier obgelegen, denn schon 1855 erlangte er die juristische Doktorwürde. Aber gereift und vertieft hat er hier sicherlich vor Allem seine poetischen Arbeiten. Die Früchte, die er auf diesem Gebiet erntete, sobald er wieder unter Menschen trat, geben davon das beste Zeugniß. Zudem war der Frieden und die Ruhe dieser Verborgenheit so vollkommen, daß alle Welt glaubte, Nievo habe Italien überhaupt verlassen, und er selbst in späteren Jahren, wenn er der stillen Sammlung seiner Kraft bedürfte, um Großes zu schaffen, freiwillig zu dem reizenden weltfernen Familiensitz zurückkehrte. Erst als die Jubeljahre der österreichischen Reaktion vorüber waren, wagte Nievo wieder als Student der Rechte in Padua aufzutauchen. Er führte seine juri¬ stischen Studien energisch zu Ende und veröffentlichte gleichzeitig in einem im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/437>, abgerufen am 27.09.2024.