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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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er hoffte, mit solchen Mitteln oder gar mit der schwatzhaften, unkriegerischen
Bürgerschaft Athens große Politik machen zu können. Er mußte wissen, was
es bedeute, daß er nicht selbst der Kriegsmann sei, um die von ihm empfoh¬
lenen Projekte durchzuführen, daß er vielmehr diese, und mit ihnen die Ge¬
schicke Athens, Feldherrn wie dem eigenwilligen Chares, dem wüsten Charidemvs
anvertrauen mußte, die es nun einmal verstanden, mit Sölduerbandeu fertig
zu werden und ihnen die nöthige "Zehrung" zu verschaffen.

Inzwischen ging des Philippos Politik sicheren Schrittes voran. Die
letzte Krisis des "heiligen Krieges" führte ihn aufs Neue nach Hellas. Theben
bat ihn um Beistand, als die Phokier, da der Tempelschatz Delphis zur Neige
ging, uoch einmal die volle Wuth des Raubkrieges entfachten. Der König er¬
schien und berief den Rath der Amphiktyonen, Die Phokier wurden aus dem
heiligen Bunde gestoßen, ihre 22 Städte der Mauern beraubt, die mit den
Söldnern Abgezogenen als Tempelräuber verflucht und für vogelfrei erklärt;
Philippos aber trat an die Spitze des heiligen Bundes, der durch das, was
soeben geschehen war, eine höhere politische Bedeutung gewonnen hatte, als er
je bisher besessen/)

Athen war nicht im Rathe der Amphiktyonen vertreten gewesen; es stand
nun offenbar dem Könige gegenüber. Dieser machte sich zunächst den Rücken
frei, indem er sich gegen die thrakischen Fürsten wendete und das Land zu beiden
Seiten des Hebron unterwarf. Da überfielen attische Strategen die makedo¬
nischer Orte an der Propontis und zerstörten sie; die Perser zahlten ihnen
Hilfsgelder; Athen verband sich mit den von Philippos bedrohten Städten
Perinth und Byzanz. Auch von Rhodos, Kos und Chios kam diesen Städten
Unterstützung; die nächstgesessenen Satrapen sandten Truppen nach Thrakien --
Philippos mußte die begonnene Belagerung beider Plätze wieder aufheben.
Aber nun erschien er (die Athener selbst hatten in unbegreiflicher Verblendung
dies herbeigeführt) als Schirmherr der Amphiktyonen in Delphi, um die tempel¬
räuberischen Lokrer von Amphissa zu züchtigen. Damit trat er auf die Schwelle
von Attika.

In Athen hatte Demosthenes immer aufs Neue seinen prophetischen Warn¬
ruf erhoben. Er hatte in allen Einzelheiten den Plan ausgearbeitet zur
Einrichtung eines stehenden Heeres, welches nicht nur aus Söldnern, sondern
wesentlich ans Bürgern zusammengesetzt sein sollte. -- Wenn man seine Phi¬
lippiken liest, so erinnert man sich unwillkürlich der Schriften des Machiavelli.
Es ist dieselbe Entrüstung über die Versunkenheit der unkriegerisch gewordenen
Bürger; es ist dasselbe Feuer, dasselbe Ziel. Die Haltung der Hellenen er-



*) I. G. Droysen, a. c>. O.

er hoffte, mit solchen Mitteln oder gar mit der schwatzhaften, unkriegerischen
Bürgerschaft Athens große Politik machen zu können. Er mußte wissen, was
es bedeute, daß er nicht selbst der Kriegsmann sei, um die von ihm empfoh¬
lenen Projekte durchzuführen, daß er vielmehr diese, und mit ihnen die Ge¬
schicke Athens, Feldherrn wie dem eigenwilligen Chares, dem wüsten Charidemvs
anvertrauen mußte, die es nun einmal verstanden, mit Sölduerbandeu fertig
zu werden und ihnen die nöthige „Zehrung" zu verschaffen.

Inzwischen ging des Philippos Politik sicheren Schrittes voran. Die
letzte Krisis des „heiligen Krieges" führte ihn aufs Neue nach Hellas. Theben
bat ihn um Beistand, als die Phokier, da der Tempelschatz Delphis zur Neige
ging, uoch einmal die volle Wuth des Raubkrieges entfachten. Der König er¬
schien und berief den Rath der Amphiktyonen, Die Phokier wurden aus dem
heiligen Bunde gestoßen, ihre 22 Städte der Mauern beraubt, die mit den
Söldnern Abgezogenen als Tempelräuber verflucht und für vogelfrei erklärt;
Philippos aber trat an die Spitze des heiligen Bundes, der durch das, was
soeben geschehen war, eine höhere politische Bedeutung gewonnen hatte, als er
je bisher besessen/)

Athen war nicht im Rathe der Amphiktyonen vertreten gewesen; es stand
nun offenbar dem Könige gegenüber. Dieser machte sich zunächst den Rücken
frei, indem er sich gegen die thrakischen Fürsten wendete und das Land zu beiden
Seiten des Hebron unterwarf. Da überfielen attische Strategen die makedo¬
nischer Orte an der Propontis und zerstörten sie; die Perser zahlten ihnen
Hilfsgelder; Athen verband sich mit den von Philippos bedrohten Städten
Perinth und Byzanz. Auch von Rhodos, Kos und Chios kam diesen Städten
Unterstützung; die nächstgesessenen Satrapen sandten Truppen nach Thrakien —
Philippos mußte die begonnene Belagerung beider Plätze wieder aufheben.
Aber nun erschien er (die Athener selbst hatten in unbegreiflicher Verblendung
dies herbeigeführt) als Schirmherr der Amphiktyonen in Delphi, um die tempel¬
räuberischen Lokrer von Amphissa zu züchtigen. Damit trat er auf die Schwelle
von Attika.

In Athen hatte Demosthenes immer aufs Neue seinen prophetischen Warn¬
ruf erhoben. Er hatte in allen Einzelheiten den Plan ausgearbeitet zur
Einrichtung eines stehenden Heeres, welches nicht nur aus Söldnern, sondern
wesentlich ans Bürgern zusammengesetzt sein sollte. — Wenn man seine Phi¬
lippiken liest, so erinnert man sich unwillkürlich der Schriften des Machiavelli.
Es ist dieselbe Entrüstung über die Versunkenheit der unkriegerisch gewordenen
Bürger; es ist dasselbe Feuer, dasselbe Ziel. Die Haltung der Hellenen er-



*) I. G. Droysen, a. c>. O.
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[0431] er hoffte, mit solchen Mitteln oder gar mit der schwatzhaften, unkriegerischen Bürgerschaft Athens große Politik machen zu können. Er mußte wissen, was es bedeute, daß er nicht selbst der Kriegsmann sei, um die von ihm empfoh¬ lenen Projekte durchzuführen, daß er vielmehr diese, und mit ihnen die Ge¬ schicke Athens, Feldherrn wie dem eigenwilligen Chares, dem wüsten Charidemvs anvertrauen mußte, die es nun einmal verstanden, mit Sölduerbandeu fertig zu werden und ihnen die nöthige „Zehrung" zu verschaffen. Inzwischen ging des Philippos Politik sicheren Schrittes voran. Die letzte Krisis des „heiligen Krieges" führte ihn aufs Neue nach Hellas. Theben bat ihn um Beistand, als die Phokier, da der Tempelschatz Delphis zur Neige ging, uoch einmal die volle Wuth des Raubkrieges entfachten. Der König er¬ schien und berief den Rath der Amphiktyonen, Die Phokier wurden aus dem heiligen Bunde gestoßen, ihre 22 Städte der Mauern beraubt, die mit den Söldnern Abgezogenen als Tempelräuber verflucht und für vogelfrei erklärt; Philippos aber trat an die Spitze des heiligen Bundes, der durch das, was soeben geschehen war, eine höhere politische Bedeutung gewonnen hatte, als er je bisher besessen/) Athen war nicht im Rathe der Amphiktyonen vertreten gewesen; es stand nun offenbar dem Könige gegenüber. Dieser machte sich zunächst den Rücken frei, indem er sich gegen die thrakischen Fürsten wendete und das Land zu beiden Seiten des Hebron unterwarf. Da überfielen attische Strategen die makedo¬ nischer Orte an der Propontis und zerstörten sie; die Perser zahlten ihnen Hilfsgelder; Athen verband sich mit den von Philippos bedrohten Städten Perinth und Byzanz. Auch von Rhodos, Kos und Chios kam diesen Städten Unterstützung; die nächstgesessenen Satrapen sandten Truppen nach Thrakien — Philippos mußte die begonnene Belagerung beider Plätze wieder aufheben. Aber nun erschien er (die Athener selbst hatten in unbegreiflicher Verblendung dies herbeigeführt) als Schirmherr der Amphiktyonen in Delphi, um die tempel¬ räuberischen Lokrer von Amphissa zu züchtigen. Damit trat er auf die Schwelle von Attika. In Athen hatte Demosthenes immer aufs Neue seinen prophetischen Warn¬ ruf erhoben. Er hatte in allen Einzelheiten den Plan ausgearbeitet zur Einrichtung eines stehenden Heeres, welches nicht nur aus Söldnern, sondern wesentlich ans Bürgern zusammengesetzt sein sollte. — Wenn man seine Phi¬ lippiken liest, so erinnert man sich unwillkürlich der Schriften des Machiavelli. Es ist dieselbe Entrüstung über die Versunkenheit der unkriegerisch gewordenen Bürger; es ist dasselbe Feuer, dasselbe Ziel. Die Haltung der Hellenen er- *) I. G. Droysen, a. c>. O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/431>, abgerufen am 20.10.2024.