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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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um nun in der Stufenfolge des Ranges nach Verdienst und Tüchtigkeit empor¬
zusteigen und zu militärischen Kommandos oder zu diplomatischen Gesandt¬
schaften verwendet zu werden. Dies Vorhandensein eines wirklichen Offiziers¬
standes, der in sich gebildet und gegliedert war, ist einer der bemerkenswerthesten
und bedeutungsvollsten Charakterzüge des makedonischer Heerwesens. In solchen
Kreisen entwickelten sich Ehrgefühl und Wetteifer zu großer Kraft. Wie deut¬
lich spricht davon jene That des Pausanias, der sich des Vorwurfes, Wei¬
bisches zu dulden, damit entledigt, daß er in der Schlacht gegen die Jllyrier
vor den dringend gefährdeten König tritt und sich in Stücke hauen läßt. --
Wahrlich, "ein Heer dieser Art mußte den Söldnerhaufen oder gar dem her¬
kömmlichen Bürgeraufgebot der hellenischen Staaten, ein Volksthum von dieser
Derbheit und Frische dem überbildeten in Demokratie und städtischem Leben
überreizten oder abgestumpften Griechenthum überlegen sein."*)

Kaum hatte Philippos sich in seinem Reiche festgesetzt, als ihm der pho-
kische oder "heilige" Krieg die Gelegenheit gab, nach Hellas überzugreifen. --
Die dortigen Verhältnisse waren trostlos. Immer deutlicher zeigte es sich, daß
die Zeiten der autonomen Kleinstaaterei, der partiellen Bündnisse vorüber
seien, daß Griechenland neuer gesteigerter, panhellenischer Staatsformen bedürfe.
-- Thessalien befand sich in schwerer innerer Zerrüttung; Theben, das
in dem kurzen Rausche der Hegemonie sich zu Uebermuth und Insolenz ver¬
wöhnt hatte, war den andern Griechen unausstehlich und mußte seine ganze
Kraft und Aufmerksamkeit dem schweren Kampfe zuwenden, dnrch den es die
Phokier zum Gehorsam zu bringen trachtete. Ueber dem von Athen mühsam
errichteten zweiten Seehunde leuchtete kein guter Stern. Mehr als je hatte
es mit den Sonderinteressen seiner unzuverlässigen Bündner zu ringen und
dabei ließ es, statt gegen die abfälligen Städte und Inseln energisch Krieg zu
führen, seine Strategen bei Freund und Feind Geld erpressen und büßte da¬
rüber vollends die Herrschaft ein. Nur Samos und wenige andere Plätze
rettete es. -- Während dieser Wirren und während Sparta ausschließlich damit
beschäftigt war, seinen Einfluß im Peloponnes einigermaßen wiederherzustellen,
rückte Philippos die Grenzen Makedoniens nach Osten und nach Süden vor.
Dann riefen ihn die von den Phokiern schwer bedrohten Thessaler zu Hilfe.
Nach hartem Kampfe warf er die wohlgefiihrte Kriegsmacht der Tempelräuber,
und nun stand er am Eingange der Termopylen; er legte makedonische Be¬
satzung nach Pagasai und damit war er des thessalischen Hafens und des
Weges nach Euboia Meister.^) Da gingen den Athenern die Augen auf.




*) I. G. Droysen: Geschichte des Hellenismus I.
**) Edda.

um nun in der Stufenfolge des Ranges nach Verdienst und Tüchtigkeit empor¬
zusteigen und zu militärischen Kommandos oder zu diplomatischen Gesandt¬
schaften verwendet zu werden. Dies Vorhandensein eines wirklichen Offiziers¬
standes, der in sich gebildet und gegliedert war, ist einer der bemerkenswerthesten
und bedeutungsvollsten Charakterzüge des makedonischer Heerwesens. In solchen
Kreisen entwickelten sich Ehrgefühl und Wetteifer zu großer Kraft. Wie deut¬
lich spricht davon jene That des Pausanias, der sich des Vorwurfes, Wei¬
bisches zu dulden, damit entledigt, daß er in der Schlacht gegen die Jllyrier
vor den dringend gefährdeten König tritt und sich in Stücke hauen läßt. —
Wahrlich, „ein Heer dieser Art mußte den Söldnerhaufen oder gar dem her¬
kömmlichen Bürgeraufgebot der hellenischen Staaten, ein Volksthum von dieser
Derbheit und Frische dem überbildeten in Demokratie und städtischem Leben
überreizten oder abgestumpften Griechenthum überlegen sein."*)

Kaum hatte Philippos sich in seinem Reiche festgesetzt, als ihm der pho-
kische oder „heilige" Krieg die Gelegenheit gab, nach Hellas überzugreifen. —
Die dortigen Verhältnisse waren trostlos. Immer deutlicher zeigte es sich, daß
die Zeiten der autonomen Kleinstaaterei, der partiellen Bündnisse vorüber
seien, daß Griechenland neuer gesteigerter, panhellenischer Staatsformen bedürfe.
— Thessalien befand sich in schwerer innerer Zerrüttung; Theben, das
in dem kurzen Rausche der Hegemonie sich zu Uebermuth und Insolenz ver¬
wöhnt hatte, war den andern Griechen unausstehlich und mußte seine ganze
Kraft und Aufmerksamkeit dem schweren Kampfe zuwenden, dnrch den es die
Phokier zum Gehorsam zu bringen trachtete. Ueber dem von Athen mühsam
errichteten zweiten Seehunde leuchtete kein guter Stern. Mehr als je hatte
es mit den Sonderinteressen seiner unzuverlässigen Bündner zu ringen und
dabei ließ es, statt gegen die abfälligen Städte und Inseln energisch Krieg zu
führen, seine Strategen bei Freund und Feind Geld erpressen und büßte da¬
rüber vollends die Herrschaft ein. Nur Samos und wenige andere Plätze
rettete es. — Während dieser Wirren und während Sparta ausschließlich damit
beschäftigt war, seinen Einfluß im Peloponnes einigermaßen wiederherzustellen,
rückte Philippos die Grenzen Makedoniens nach Osten und nach Süden vor.
Dann riefen ihn die von den Phokiern schwer bedrohten Thessaler zu Hilfe.
Nach hartem Kampfe warf er die wohlgefiihrte Kriegsmacht der Tempelräuber,
und nun stand er am Eingange der Termopylen; er legte makedonische Be¬
satzung nach Pagasai und damit war er des thessalischen Hafens und des
Weges nach Euboia Meister.^) Da gingen den Athenern die Augen auf.




*) I. G. Droysen: Geschichte des Hellenismus I.
**) Edda.
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[0429] um nun in der Stufenfolge des Ranges nach Verdienst und Tüchtigkeit empor¬ zusteigen und zu militärischen Kommandos oder zu diplomatischen Gesandt¬ schaften verwendet zu werden. Dies Vorhandensein eines wirklichen Offiziers¬ standes, der in sich gebildet und gegliedert war, ist einer der bemerkenswerthesten und bedeutungsvollsten Charakterzüge des makedonischer Heerwesens. In solchen Kreisen entwickelten sich Ehrgefühl und Wetteifer zu großer Kraft. Wie deut¬ lich spricht davon jene That des Pausanias, der sich des Vorwurfes, Wei¬ bisches zu dulden, damit entledigt, daß er in der Schlacht gegen die Jllyrier vor den dringend gefährdeten König tritt und sich in Stücke hauen läßt. — Wahrlich, „ein Heer dieser Art mußte den Söldnerhaufen oder gar dem her¬ kömmlichen Bürgeraufgebot der hellenischen Staaten, ein Volksthum von dieser Derbheit und Frische dem überbildeten in Demokratie und städtischem Leben überreizten oder abgestumpften Griechenthum überlegen sein."*) Kaum hatte Philippos sich in seinem Reiche festgesetzt, als ihm der pho- kische oder „heilige" Krieg die Gelegenheit gab, nach Hellas überzugreifen. — Die dortigen Verhältnisse waren trostlos. Immer deutlicher zeigte es sich, daß die Zeiten der autonomen Kleinstaaterei, der partiellen Bündnisse vorüber seien, daß Griechenland neuer gesteigerter, panhellenischer Staatsformen bedürfe. — Thessalien befand sich in schwerer innerer Zerrüttung; Theben, das in dem kurzen Rausche der Hegemonie sich zu Uebermuth und Insolenz ver¬ wöhnt hatte, war den andern Griechen unausstehlich und mußte seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit dem schweren Kampfe zuwenden, dnrch den es die Phokier zum Gehorsam zu bringen trachtete. Ueber dem von Athen mühsam errichteten zweiten Seehunde leuchtete kein guter Stern. Mehr als je hatte es mit den Sonderinteressen seiner unzuverlässigen Bündner zu ringen und dabei ließ es, statt gegen die abfälligen Städte und Inseln energisch Krieg zu führen, seine Strategen bei Freund und Feind Geld erpressen und büßte da¬ rüber vollends die Herrschaft ein. Nur Samos und wenige andere Plätze rettete es. — Während dieser Wirren und während Sparta ausschließlich damit beschäftigt war, seinen Einfluß im Peloponnes einigermaßen wiederherzustellen, rückte Philippos die Grenzen Makedoniens nach Osten und nach Süden vor. Dann riefen ihn die von den Phokiern schwer bedrohten Thessaler zu Hilfe. Nach hartem Kampfe warf er die wohlgefiihrte Kriegsmacht der Tempelräuber, und nun stand er am Eingange der Termopylen; er legte makedonische Be¬ satzung nach Pagasai und damit war er des thessalischen Hafens und des Weges nach Euboia Meister.^) Da gingen den Athenern die Augen auf. *) I. G. Droysen: Geschichte des Hellenismus I. **) Edda.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/429>, abgerufen am 20.10.2024.