Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.Empfindungen der Natur, deren sich der Weise selbst nicht zu schämen hat, ge¬ "Was soll ich thun, meine liebste Freundin? Da diese Liebe mein Leben "Noch etwas muß ich Ihnen erzählen. -- Ich hatte den Abend lange mit "Wenn ich Ihnen", schreibt der Dichter Okt. 1751 an Gleim, "meinen Empfindungen der Natur, deren sich der Weise selbst nicht zu schämen hat, ge¬ „Was soll ich thun, meine liebste Freundin? Da diese Liebe mein Leben „Noch etwas muß ich Ihnen erzählen. — Ich hatte den Abend lange mit „Wenn ich Ihnen", schreibt der Dichter Okt. 1751 an Gleim, „meinen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0420" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139713"/> <p xml:id="ID_1290" prev="#ID_1289"> Empfindungen der Natur, deren sich der Weise selbst nicht zu schämen hat, ge¬<lb/> macht haben?"</p><lb/> <p xml:id="ID_1291"> „Was soll ich thun, meine liebste Freundin? Da diese Liebe mein Leben<lb/> so sehr traurig macht! Ich habe wohl hundertmal die Frage an mich selbst<lb/> gethan. Umsonst hat alle Philosophie mir geantwortet, ich sollte nicht mehr<lb/> lieben. Mein Herz hat immer, mit seiner eignen Miene voll Hoheit<lb/> ganz andere Dinge gesagt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1292"> „Noch etwas muß ich Ihnen erzählen. — Ich hatte den Abend lange mit<lb/> tiefer Traurigkeit nachgedacht. Zuletzt riß ich mich in meiner Angst los und<lb/> sah gen Himmel. Da begegnete mir dies. Ich sage deswegen, es begegnete<lb/> mir, weil wirklich die Gedanken, die ich hatte, mir beinahe wie nicht meine<lb/> Gedanken zu sein schienen. Damit Ihnen dies nichtzn sonderlich vorkomme, so<lb/> will ich lieber sagen: ich dachte sie mit einer neuen Art von Lebhaftigkeit und<lb/> Empfindung, die mir vorher unbekannt waren. Nach einer geheimen Frage<lb/> an die Vorsehung: warum ich so lange, so sehr unglücklich? erschrak ich über<lb/> meine Frage, und sah vom Himmel nieder. Und da hatt' ich diese Gedanken<lb/> — Und dn fragst so frühzeitig? Thu' einen Blick, fo weit ihr ihn thun konnt,<lb/> ein paar Schritte leder's Grab. Deine Bestimmung war: vielen die Mensch¬<lb/> lichkeit desjenigen, der eurer ganzen Nachahmung und Anbetung werth ist,<lb/> zu zeigen. Dein Herz mußte hiezu völlig entwickelt werden. Wehmuth und<lb/> Thränen mußten dies thun und dich völlig ausbilden. Und wenn du<lb/> zugleich hiebei zeigtest, daß dir tiefe Unterwerfung und Anbetung theurer<lb/> sei als eine Glückseligkeit, deren Dauer dir so unbekannt war, so ist Lohn<lb/> für dich da. Sieh hier, und frage nicht weiter. Es ist jenseit dem Grabe viel<lb/> Seligkeit, und in den ewigen Hütten wohnt die Liebe viel himmlischer, als<lb/> du sie empfunden hast. Geh und bete an, des Lohnes werth zu sein."</p><lb/> <p xml:id="ID_1293" next="#ID_1294"> „Wenn ich Ihnen", schreibt der Dichter Okt. 1751 an Gleim, „meinen<lb/> jetzigen Zustand nennen sollte, ich hätte keinen Namen für ihn. Ich habe<lb/> bisher oft von Ihr geträumt. Daun weine ich in und nach dem Traume.<lb/> Aber was sind das für Thränen von einer ganz besonders verstummenden<lb/> Art! Gar keinen Ruin von Hoffnung mehr und doch Thränen! Ich bin<lb/> überzeugt, Sie können sich davon keine Vorstellung machen. Fanny ganz ver¬<lb/> loren, ja ganz! denn sie hat kein Herz wie ich. Ach Gleim! es ist ein ent¬<lb/> setzlicher Gedanke. — Manchmal wünsch' ich, daß ich sie niemals gesehn, nie<lb/> ihren Namen hätte nennen hören; so könnte doch mein Herz durch das große<lb/> Glück der Liebe glücklich werden; so konnte ich vielleicht eine Andre lieben.<lb/> Aber das kann ich nun nicht. — Stellen Sie sich einmal ein Herz vor wie<lb/> meines, das nicht mehr klagen und nicht mehr weinen kann. Wenn ich an<lb/> meine Thränen zurückdenke, so merke ich wohl, daß doch immer etwas Hoff-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0420]
Empfindungen der Natur, deren sich der Weise selbst nicht zu schämen hat, ge¬
macht haben?"
„Was soll ich thun, meine liebste Freundin? Da diese Liebe mein Leben
so sehr traurig macht! Ich habe wohl hundertmal die Frage an mich selbst
gethan. Umsonst hat alle Philosophie mir geantwortet, ich sollte nicht mehr
lieben. Mein Herz hat immer, mit seiner eignen Miene voll Hoheit
ganz andere Dinge gesagt.
„Noch etwas muß ich Ihnen erzählen. — Ich hatte den Abend lange mit
tiefer Traurigkeit nachgedacht. Zuletzt riß ich mich in meiner Angst los und
sah gen Himmel. Da begegnete mir dies. Ich sage deswegen, es begegnete
mir, weil wirklich die Gedanken, die ich hatte, mir beinahe wie nicht meine
Gedanken zu sein schienen. Damit Ihnen dies nichtzn sonderlich vorkomme, so
will ich lieber sagen: ich dachte sie mit einer neuen Art von Lebhaftigkeit und
Empfindung, die mir vorher unbekannt waren. Nach einer geheimen Frage
an die Vorsehung: warum ich so lange, so sehr unglücklich? erschrak ich über
meine Frage, und sah vom Himmel nieder. Und da hatt' ich diese Gedanken
— Und dn fragst so frühzeitig? Thu' einen Blick, fo weit ihr ihn thun konnt,
ein paar Schritte leder's Grab. Deine Bestimmung war: vielen die Mensch¬
lichkeit desjenigen, der eurer ganzen Nachahmung und Anbetung werth ist,
zu zeigen. Dein Herz mußte hiezu völlig entwickelt werden. Wehmuth und
Thränen mußten dies thun und dich völlig ausbilden. Und wenn du
zugleich hiebei zeigtest, daß dir tiefe Unterwerfung und Anbetung theurer
sei als eine Glückseligkeit, deren Dauer dir so unbekannt war, so ist Lohn
für dich da. Sieh hier, und frage nicht weiter. Es ist jenseit dem Grabe viel
Seligkeit, und in den ewigen Hütten wohnt die Liebe viel himmlischer, als
du sie empfunden hast. Geh und bete an, des Lohnes werth zu sein."
„Wenn ich Ihnen", schreibt der Dichter Okt. 1751 an Gleim, „meinen
jetzigen Zustand nennen sollte, ich hätte keinen Namen für ihn. Ich habe
bisher oft von Ihr geträumt. Daun weine ich in und nach dem Traume.
Aber was sind das für Thränen von einer ganz besonders verstummenden
Art! Gar keinen Ruin von Hoffnung mehr und doch Thränen! Ich bin
überzeugt, Sie können sich davon keine Vorstellung machen. Fanny ganz ver¬
loren, ja ganz! denn sie hat kein Herz wie ich. Ach Gleim! es ist ein ent¬
setzlicher Gedanke. — Manchmal wünsch' ich, daß ich sie niemals gesehn, nie
ihren Namen hätte nennen hören; so könnte doch mein Herz durch das große
Glück der Liebe glücklich werden; so konnte ich vielleicht eine Andre lieben.
Aber das kann ich nun nicht. — Stellen Sie sich einmal ein Herz vor wie
meines, das nicht mehr klagen und nicht mehr weinen kann. Wenn ich an
meine Thränen zurückdenke, so merke ich wohl, daß doch immer etwas Hoff-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |