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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Klopstock erzählte, daß schon eine ähnliche Gesellschaft in Magdeburg für die
Beseligung dieses Teufels eine" förmlichen Synodalbeschlnß gefällt habe, un¬
ter dem Präsidium des Herrn Hofprediger Sack; doch hätte er sich damals
durch keine Unterschrift seine poetische Freiheit rauben wollen und würde es
auch heute nicht thun. -- Nun folgen lustige Gesänge (darunter Haller's Doris
mehrmals wiederholt) Küsse u. s. w. -- Mich befiel eine Traurigkeit über das
Hinscheiden dieses Tages: ach, rief ich, daß wir so der Ewigkeit zufahren
konnten! Klopstock fand diesen Wunsch zu ausschweifend, wünschte sich für
einmal nur eine Ewigkeit von vier Tagen, und forderte meine Doris auf,
noch einmal Haller's Doris zu singen. -- Indessen näherten sich die Lichter
der Stadt."

"or. Hirzel's Frau", schreibt Klopstock an Schmidt, "jung, mit
vielsagenden blauen Augen war die Herrin der Gesellschaft: Sie verstehe es
doch, weil sie mir zugefallen war. Ich wurde ihr aber bei Zeiten untreu.
Das jüngste Mädchen der Gesellschaft, das schönste unter allen, und das die
schwärzesten Augen hatte, Mlle. Schinz, brachte mich sehr bald zu dieser Un¬
treue, Sobald ich sie das erstemal auf zwanzig Schritt sah, schlug mir das
Herz: denn es sah derjenigen gleich, die in ihrem zwölften Jahr zu mir
sagte, daß sie ganz mein wäre. Die Geschichte muß ich Ihnen nicht auser¬
zählen. Ich habe dem Mädchen dies alles gesagt und noch viel mehr. Das
Mädchen in seiner siebzehnjährigen Unschuld, da es so unvermuthet so viel
und ihm so neue Sachen hörte, vor denen es sein schwarzes schönes Auge mit
einer so sanften und liebenswürdigen Ehrerbietung niederschlug, öfters große
und unerwartete Gedanken sagte, und einmal in einer entzückenden Stellung
und Hitze erklärte, ich solle selbst bedenken, wie hoch derjenige von ihm geschätzt
werden müsse, der es zuerst gelehrt, sich würdige Vorstellungen von Gott zu
machen! -- -- Ich muß hier uoch die Anmerkung machen, daß ich dem guten
Kind auch sehr viel Küsse gegeben habe, die Erzählung möchte Ihnen sonst zu
ernsthaft erscheinen!"

Am nächsten von diesen Freunden trat ihm Rahn, mit dem er ein Un¬
ternehmen verabredete, sich sein Brod zu verdienen: sie wollten eine Fabrik
für Seidendruck einrichten, die sich über ganz Europa ausbreiten sollte.

"Inzwischen", schreibt B oben er 5. Sept., "lebte er hier ganz dissipirt.
Die jungen Herrn verschafften ihm täglich Gesellschaften, er kam oft des Nachts
nicht nach Haus und trank sehr stark. Am vergnügtesten war er, wenn er
bei jungen Mädchen gewesen war: seine Lust war, ihnen Mäulchen zu rauben,
Handschuhe zu erobern, mit ihnen zu tändeln. Den Herrchen hatte es überaus
gefallen, daß unser Homer tränke, lachte, küßte, spränge, Schuhe schlüpfte,
wie sie alle! Er hat sich ordentlich bei ernsthaften Männern, zu denen ich


Klopstock erzählte, daß schon eine ähnliche Gesellschaft in Magdeburg für die
Beseligung dieses Teufels eine» förmlichen Synodalbeschlnß gefällt habe, un¬
ter dem Präsidium des Herrn Hofprediger Sack; doch hätte er sich damals
durch keine Unterschrift seine poetische Freiheit rauben wollen und würde es
auch heute nicht thun. — Nun folgen lustige Gesänge (darunter Haller's Doris
mehrmals wiederholt) Küsse u. s. w. — Mich befiel eine Traurigkeit über das
Hinscheiden dieses Tages: ach, rief ich, daß wir so der Ewigkeit zufahren
konnten! Klopstock fand diesen Wunsch zu ausschweifend, wünschte sich für
einmal nur eine Ewigkeit von vier Tagen, und forderte meine Doris auf,
noch einmal Haller's Doris zu singen. — Indessen näherten sich die Lichter
der Stadt."

„or. Hirzel's Frau", schreibt Klopstock an Schmidt, „jung, mit
vielsagenden blauen Augen war die Herrin der Gesellschaft: Sie verstehe es
doch, weil sie mir zugefallen war. Ich wurde ihr aber bei Zeiten untreu.
Das jüngste Mädchen der Gesellschaft, das schönste unter allen, und das die
schwärzesten Augen hatte, Mlle. Schinz, brachte mich sehr bald zu dieser Un¬
treue, Sobald ich sie das erstemal auf zwanzig Schritt sah, schlug mir das
Herz: denn es sah derjenigen gleich, die in ihrem zwölften Jahr zu mir
sagte, daß sie ganz mein wäre. Die Geschichte muß ich Ihnen nicht auser¬
zählen. Ich habe dem Mädchen dies alles gesagt und noch viel mehr. Das
Mädchen in seiner siebzehnjährigen Unschuld, da es so unvermuthet so viel
und ihm so neue Sachen hörte, vor denen es sein schwarzes schönes Auge mit
einer so sanften und liebenswürdigen Ehrerbietung niederschlug, öfters große
und unerwartete Gedanken sagte, und einmal in einer entzückenden Stellung
und Hitze erklärte, ich solle selbst bedenken, wie hoch derjenige von ihm geschätzt
werden müsse, der es zuerst gelehrt, sich würdige Vorstellungen von Gott zu
machen! — — Ich muß hier uoch die Anmerkung machen, daß ich dem guten
Kind auch sehr viel Küsse gegeben habe, die Erzählung möchte Ihnen sonst zu
ernsthaft erscheinen!"

Am nächsten von diesen Freunden trat ihm Rahn, mit dem er ein Un¬
ternehmen verabredete, sich sein Brod zu verdienen: sie wollten eine Fabrik
für Seidendruck einrichten, die sich über ganz Europa ausbreiten sollte.

„Inzwischen", schreibt B oben er 5. Sept., „lebte er hier ganz dissipirt.
Die jungen Herrn verschafften ihm täglich Gesellschaften, er kam oft des Nachts
nicht nach Haus und trank sehr stark. Am vergnügtesten war er, wenn er
bei jungen Mädchen gewesen war: seine Lust war, ihnen Mäulchen zu rauben,
Handschuhe zu erobern, mit ihnen zu tändeln. Den Herrchen hatte es überaus
gefallen, daß unser Homer tränke, lachte, küßte, spränge, Schuhe schlüpfte,
wie sie alle! Er hat sich ordentlich bei ernsthaften Männern, zu denen ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/415>, abgerufen am 18.01.2025.