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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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sogern ungefordert ihren Vorzügen opferten. Sie hat alle die hohen Empfin¬
dungen, die Sie, mein Theuerster, in Ihrem göttlichen Gedicht schilderten, mit
Ihnen gefühlt, und achtete mich hoch, nur weil Sie mich würdig fanden, in
Ihrem Gedicht mich anzureden." U. f. w. -- "Klopstock rühmte die Schön¬
heiten unsrer Gegenden; doch schien er weniger davon gerührt, als von der
Mannigfaltigkeit der menschlichen Charaktere, die sein Scharfblick auszuspähen
vorfand. Da lernte ich einsehen, warum Klopstock die meisten Gleichnisse in
seinem göttlichen Gedicht aus der Geisterwelt hernimmt. Nie sah ich Jemand
die Menschen aufmerksamer betrachten, er ging von einem zum andern, mehr
die Mienen zu beobachten als sich zu unterreden." Jemand spielt Klavier:
"Klopstock belauschte auf den Gesichtern unsrer Mädchen den Eindruck, deu
die Musik machte; er schien danach bestimmen zu wollen, welche die Zärtlichste
wäre . . Klopstock hatte durch seiue einnehmenden Sitten und geistvolle Reden
die allgemeine Hochachtung der Mädchen gewonnen, und sie wünschten alle
aus den Fragmenten zum 4. u. 5. Gesaug etwas von ihm zu hören. Er will¬
fahrte und las eine Stelle vor (vom Engel Eloa, der jeden großen Gedanken
Gottes mit Donner begleitet), die in unsre Seelen noch nie gewohnte Weh¬
muth senkte. Die erste Vorlesung machte uns nach einer zweiten begierig; er
las uns jetzt die hohe Liebesgeschichte, Lcizarus und Cidli, wo er seine
eigne Liebe für die göttliche Fanny im Auge gehabt zu haben scheint. Unsre
Schönen fanden sich in einer ganz neuen Welt. Solche Gedanken hatte ihnen
noch keiner ihrer Verehrer eingeflößt; sie belohnten unsern göttlichen Dichter
dafür mit Blicken voll Liebe. Man wagte nicht über jene himmlische Liebe zu
sprechen, bis einer von der Gesellschaft das Stillschweigen mit der gelehrten
Anmerkung unterbrach, nirgend hätte er noch die platonische Liebe so prächtig
geschildert gesehn! Klopstock verwarf diesen Beifall und versicherte, daß er hier
ganz eigentlich die zärtlichste Liebe im Auge gehabt, die ungleich höher wäre
als die Platonische Freundschaft; Lazarus liebte seine Cidli ganz und gar! --
Wir stimmten: ihm aus vollem Herzen bei und Plato war nicht unser Mann.
-- Jetzt übte der Wein seine schönste Kraft; die Vertraulichkeit wuchs mit der
Fröhlichkeit; schelmische Scherze umgaukelten nus, ein fröhliches Gelächter be¬
gleitete sie. Da klangen die Gläser auf Ihre Gesundheit, mein Kleist! und
auf Gleim's und Ebert's; bei der Gesundheit der göttlichen Schmidt herrschte
tiefe Ehrfurcht; er erwiederte mit einem sanften Ernst, der die Empfindungen
seiner großen Seele verrieth: doch ließ er den Ernst diesmal nicht siegen; er
sah die frohe Gesellschaft an und trank und scherzte. -- Darauf gab er uns
ein Fragment, Abbadonna, den redlichsten Teufel, den je die Hölle sah. Voll
zärtlichen Mitleidens baten unsere Freundinnen einmüthig den Dichter, jenen
Reuevollen doch in seineu Schutz zu nehmen und ihm die Seligkeit zu schenken.


sogern ungefordert ihren Vorzügen opferten. Sie hat alle die hohen Empfin¬
dungen, die Sie, mein Theuerster, in Ihrem göttlichen Gedicht schilderten, mit
Ihnen gefühlt, und achtete mich hoch, nur weil Sie mich würdig fanden, in
Ihrem Gedicht mich anzureden." U. f. w. — „Klopstock rühmte die Schön¬
heiten unsrer Gegenden; doch schien er weniger davon gerührt, als von der
Mannigfaltigkeit der menschlichen Charaktere, die sein Scharfblick auszuspähen
vorfand. Da lernte ich einsehen, warum Klopstock die meisten Gleichnisse in
seinem göttlichen Gedicht aus der Geisterwelt hernimmt. Nie sah ich Jemand
die Menschen aufmerksamer betrachten, er ging von einem zum andern, mehr
die Mienen zu beobachten als sich zu unterreden." Jemand spielt Klavier:
„Klopstock belauschte auf den Gesichtern unsrer Mädchen den Eindruck, deu
die Musik machte; er schien danach bestimmen zu wollen, welche die Zärtlichste
wäre . . Klopstock hatte durch seiue einnehmenden Sitten und geistvolle Reden
die allgemeine Hochachtung der Mädchen gewonnen, und sie wünschten alle
aus den Fragmenten zum 4. u. 5. Gesaug etwas von ihm zu hören. Er will¬
fahrte und las eine Stelle vor (vom Engel Eloa, der jeden großen Gedanken
Gottes mit Donner begleitet), die in unsre Seelen noch nie gewohnte Weh¬
muth senkte. Die erste Vorlesung machte uns nach einer zweiten begierig; er
las uns jetzt die hohe Liebesgeschichte, Lcizarus und Cidli, wo er seine
eigne Liebe für die göttliche Fanny im Auge gehabt zu haben scheint. Unsre
Schönen fanden sich in einer ganz neuen Welt. Solche Gedanken hatte ihnen
noch keiner ihrer Verehrer eingeflößt; sie belohnten unsern göttlichen Dichter
dafür mit Blicken voll Liebe. Man wagte nicht über jene himmlische Liebe zu
sprechen, bis einer von der Gesellschaft das Stillschweigen mit der gelehrten
Anmerkung unterbrach, nirgend hätte er noch die platonische Liebe so prächtig
geschildert gesehn! Klopstock verwarf diesen Beifall und versicherte, daß er hier
ganz eigentlich die zärtlichste Liebe im Auge gehabt, die ungleich höher wäre
als die Platonische Freundschaft; Lazarus liebte seine Cidli ganz und gar! —
Wir stimmten: ihm aus vollem Herzen bei und Plato war nicht unser Mann.
— Jetzt übte der Wein seine schönste Kraft; die Vertraulichkeit wuchs mit der
Fröhlichkeit; schelmische Scherze umgaukelten nus, ein fröhliches Gelächter be¬
gleitete sie. Da klangen die Gläser auf Ihre Gesundheit, mein Kleist! und
auf Gleim's und Ebert's; bei der Gesundheit der göttlichen Schmidt herrschte
tiefe Ehrfurcht; er erwiederte mit einem sanften Ernst, der die Empfindungen
seiner großen Seele verrieth: doch ließ er den Ernst diesmal nicht siegen; er
sah die frohe Gesellschaft an und trank und scherzte. — Darauf gab er uns
ein Fragment, Abbadonna, den redlichsten Teufel, den je die Hölle sah. Voll
zärtlichen Mitleidens baten unsere Freundinnen einmüthig den Dichter, jenen
Reuevollen doch in seineu Schutz zu nehmen und ihm die Seligkeit zu schenken.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/414>, abgerufen am 18.01.2025.