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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Sehr bald aber zeigte der Franzose seine Unverträglichkeit: seine Intri¬
guen scheuchten selbst Arnault aus Berlin fort; und Klopstock's Berliner
Gönner wurden nicht müde, für ihn zu arbeiten. Sulzer (30 I.) war eben
in die Akademie aufgenommen: er redigirte mit Ramler 25 I.) die "kritischen
Nachrichten", das angesehenste Blatt der Hauptstadt: sie machten eben eine
neue unbarmherzig verbesserte Auflage des "Frühlings". Klopstock fragte
an, ob es nicht gut wäre, den "Messias" direkt an Voltaire zu schicken?

Auf Bodmer's wiederholte Einladung hatte Klopstock schon vor einem
halben Jahre die wunderliche Frage an ihn gerichtet: "wie weit wohnen Mädchen
von Ihnen, mit denen ich Umgang haben könnte? Das Herz der Mädchen
ist eine große weite Aussicht der Natur, in deren Labyrinth ein Dichter oft
gegangen sein muß, wenn er ein tiefsinniger Weiser sein will. Nur dürfen
die Mädchen nichts von meiner Geschichte wissen, sie möchten sonst sehr ohne
Ursache zurückhaltend werden."

Im Mai und Juni 1750 ist Klopstock im engsten Verkehr mit Gleim,
der sich sehr herzlich ihm anschließt, bald in Halberstadt, bald in Quedlin¬
burg. Der platonische Schwärmer verständigt sich ganz mit dem Sänger leich¬
ter Liebe. Vetter Schmidt und Cramer (27 I.) nehmen Theil an diesem
Verkehr. Schlegel, Sulzer, Gellert, Lange, Kleist werden eingeladen.
"Klopstock", schreibt der Letztere, "muß ein halber Cherub und nichts als
Liebe sein; ich bin auf's zärtlichste gerührt, wenn ich ihn mir vorstelle."

Noch immer schwelgte Klopstock in unglücklicher Liebe. "Denken Sie
nicht", schreibt er aus Halberstadt 13. Juni an Fanny, "daß ich die ganze
Reihe von tödtenden Kaltsinnigkeiten, die ich von Ihnen ganze zwei Jahre
erfahren habe, immer von Neuem empfinde? daß mir Ihr Herz ein Labyrinth
sein müsse?"

3. Juli Quedlinburg. Er hat einen Brief: "einen Brief von derjenigen,
die ich sonst Fanny nannte, sonst, da mein Herz noch um sie zittern, da
mein Auge noch weinen und gen Himmel sehen durfte. Wie ist es gekommen,
daß ich das alles nicht mehr kann? Mein Herz ist mir schwer, gewaltig schwer,
wie eine Last; aber das Zittern, das gewaltige Schlagen kennt es nicht mehr.
Ich habe der Sache nachgeforscht, sie scheint mir so zu sein. Auch bei der
furchtsamsten, der ehrerbietigsten Liebe ist noch einige Hoffnung, einmal geliebt
zu werden. Daher wird das Herz wie mit Strömen von Blut durchgossen,
es kann leben und das Auge weinen; die Seele fühlt auf die reinste Art ihre
Würdigkeit, und in diesem Enthusiasmus erhebt sie sich und hofft. Das sind
eigentlich die Schmerzen der Liebe. Mein jetziger Zustand ist die Verstum-
mung der Liebe. Er würde Ihnen dunkel sein, so gewiß er das Unglück mei¬
nes Lebens ist, gegen welches meine Seele vergebens ringt... Vor einem


Sehr bald aber zeigte der Franzose seine Unverträglichkeit: seine Intri¬
guen scheuchten selbst Arnault aus Berlin fort; und Klopstock's Berliner
Gönner wurden nicht müde, für ihn zu arbeiten. Sulzer (30 I.) war eben
in die Akademie aufgenommen: er redigirte mit Ramler 25 I.) die „kritischen
Nachrichten", das angesehenste Blatt der Hauptstadt: sie machten eben eine
neue unbarmherzig verbesserte Auflage des „Frühlings". Klopstock fragte
an, ob es nicht gut wäre, den „Messias" direkt an Voltaire zu schicken?

Auf Bodmer's wiederholte Einladung hatte Klopstock schon vor einem
halben Jahre die wunderliche Frage an ihn gerichtet: „wie weit wohnen Mädchen
von Ihnen, mit denen ich Umgang haben könnte? Das Herz der Mädchen
ist eine große weite Aussicht der Natur, in deren Labyrinth ein Dichter oft
gegangen sein muß, wenn er ein tiefsinniger Weiser sein will. Nur dürfen
die Mädchen nichts von meiner Geschichte wissen, sie möchten sonst sehr ohne
Ursache zurückhaltend werden."

Im Mai und Juni 1750 ist Klopstock im engsten Verkehr mit Gleim,
der sich sehr herzlich ihm anschließt, bald in Halberstadt, bald in Quedlin¬
burg. Der platonische Schwärmer verständigt sich ganz mit dem Sänger leich¬
ter Liebe. Vetter Schmidt und Cramer (27 I.) nehmen Theil an diesem
Verkehr. Schlegel, Sulzer, Gellert, Lange, Kleist werden eingeladen.
„Klopstock", schreibt der Letztere, „muß ein halber Cherub und nichts als
Liebe sein; ich bin auf's zärtlichste gerührt, wenn ich ihn mir vorstelle."

Noch immer schwelgte Klopstock in unglücklicher Liebe. „Denken Sie
nicht", schreibt er aus Halberstadt 13. Juni an Fanny, „daß ich die ganze
Reihe von tödtenden Kaltsinnigkeiten, die ich von Ihnen ganze zwei Jahre
erfahren habe, immer von Neuem empfinde? daß mir Ihr Herz ein Labyrinth
sein müsse?"

3. Juli Quedlinburg. Er hat einen Brief: „einen Brief von derjenigen,
die ich sonst Fanny nannte, sonst, da mein Herz noch um sie zittern, da
mein Auge noch weinen und gen Himmel sehen durfte. Wie ist es gekommen,
daß ich das alles nicht mehr kann? Mein Herz ist mir schwer, gewaltig schwer,
wie eine Last; aber das Zittern, das gewaltige Schlagen kennt es nicht mehr.
Ich habe der Sache nachgeforscht, sie scheint mir so zu sein. Auch bei der
furchtsamsten, der ehrerbietigsten Liebe ist noch einige Hoffnung, einmal geliebt
zu werden. Daher wird das Herz wie mit Strömen von Blut durchgossen,
es kann leben und das Auge weinen; die Seele fühlt auf die reinste Art ihre
Würdigkeit, und in diesem Enthusiasmus erhebt sie sich und hofft. Das sind
eigentlich die Schmerzen der Liebe. Mein jetziger Zustand ist die Verstum-
mung der Liebe. Er würde Ihnen dunkel sein, so gewiß er das Unglück mei¬
nes Lebens ist, gegen welches meine Seele vergebens ringt... Vor einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/411>, abgerufen am 18.01.2025.