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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Der kategorische Imperativ der Liebe gehört mehr den Romanen an
In den spanischen Novellen hat beim Eintritt eines Liebesnnglücks der Liebende
durchaus nicht nöthig, nach dem Dolch zu greifen: er fällt hin und ist auf
der Stelle todt, der Schmerz hat ihn getödtet. Das wird ganz einfach erzählt,
es wird also vorausgesetzt, das Publikum werde sich wohl dafür interessiren,
aber nicht weiter besonders wundern. In Paris war ein Jahrzehend vor
Klopstock die Paradoxie in "Ncuron I^vsoaut" auf die Spitze getrieben.

Der alte Pietismus schloß von der echt christlichen Ehe streng alles Lei¬
denschaftliche, alles Persönliche aus, denn so etwas war Auflehnung gegen
die Bestimmung Gottes. Wenn man nicht, wie in Herrnhut, gradezu das
Loos entscheiden ließ, so wurde die Braut darauf hin geprüft, ob sie den
künftigen Gatten in seinem gottseliger Werk genügend unterstützen könne.
Eine unglückliche Liebe wurde so wenig gestattet, als eine leidenschaftliche.

Das Neue bei Klopstock ist, daß die Liebe an sich und namentlich die
unglückliche Liebe als ein eminent sittliches Motiv aufgefaßt und mit Feier¬
lichkeit behandelt wird; als etwas, was den Menschen verkläre, ihm einen
Heiligenschein gebe, ihn über die Gemeinheit des Lebens hoch hinausführe: kurz,
als ein religiöser Akt.

Klopstocks Liebesgedichte fanden einen gewaltigen Wiederhall in der Ju¬
gend, und er sorgte durch Briefe dafür, das Gefühl der schmerzhaften Ent¬
behrung als etwas Hochwichtiges seinen Anhängern einzuprägen. Wunderlich
genug klingen diese Briefe: jedenfalls waren sie etwas Neues im geistigen
Leben Deutschlands. Klopstock beobachtet, was während seines Unglücks in
seinem Innern vorgeht, grade so gründlich, wie die Pietisten den eintretenden
Bußkampf beobachteten, oder den Moment, wo die Gnade sie ergriff.

"Meinen Sie", schreibt Klopstock an Cramer, der Abschriften der
Lieder wünscht, "meine Oden seien so wenig aus dem Herzen geschrieben, daß
es in meinem Vermögen steht, sie ohne die heftigsten Empfindungen so oft
abzuschreiben? Meine Schmerzen waren bisweilen so finster, daß ich behutsam
mit mir selbst umgehen mußte, sie nicht zu vermehren,"

Längere Zeit wurde die Arbeit am Messias nur den nächsten Freunden
mitgetheilt, endlich gelangten einige Fragmente an B oben er.

"Von einem jungen Menschen in Leipzig", schreibt dieser an Glenn,
"hat man mir etwas Ungemeines gezeigt: das zweite Buch eines epischen Ge¬
dichts vom Messias. Aus diesem Stück zu urtheilen, ruht Milton's Geist auf
dem Dichter; es ist ein Charakter darin, der Satans Charakter zu übersteigen
droht. Welches Prodigium, daß im Land der Gottsched's ein Gedicht von
Teufelsgespenstern und Miltonschen Hexenmährchen geschrieben wird!"

Bodmer konnte wohl zufrieden sein: es war eine Wahrheit geworden,


Der kategorische Imperativ der Liebe gehört mehr den Romanen an
In den spanischen Novellen hat beim Eintritt eines Liebesnnglücks der Liebende
durchaus nicht nöthig, nach dem Dolch zu greifen: er fällt hin und ist auf
der Stelle todt, der Schmerz hat ihn getödtet. Das wird ganz einfach erzählt,
es wird also vorausgesetzt, das Publikum werde sich wohl dafür interessiren,
aber nicht weiter besonders wundern. In Paris war ein Jahrzehend vor
Klopstock die Paradoxie in „Ncuron I^vsoaut" auf die Spitze getrieben.

Der alte Pietismus schloß von der echt christlichen Ehe streng alles Lei¬
denschaftliche, alles Persönliche aus, denn so etwas war Auflehnung gegen
die Bestimmung Gottes. Wenn man nicht, wie in Herrnhut, gradezu das
Loos entscheiden ließ, so wurde die Braut darauf hin geprüft, ob sie den
künftigen Gatten in seinem gottseliger Werk genügend unterstützen könne.
Eine unglückliche Liebe wurde so wenig gestattet, als eine leidenschaftliche.

Das Neue bei Klopstock ist, daß die Liebe an sich und namentlich die
unglückliche Liebe als ein eminent sittliches Motiv aufgefaßt und mit Feier¬
lichkeit behandelt wird; als etwas, was den Menschen verkläre, ihm einen
Heiligenschein gebe, ihn über die Gemeinheit des Lebens hoch hinausführe: kurz,
als ein religiöser Akt.

Klopstocks Liebesgedichte fanden einen gewaltigen Wiederhall in der Ju¬
gend, und er sorgte durch Briefe dafür, das Gefühl der schmerzhaften Ent¬
behrung als etwas Hochwichtiges seinen Anhängern einzuprägen. Wunderlich
genug klingen diese Briefe: jedenfalls waren sie etwas Neues im geistigen
Leben Deutschlands. Klopstock beobachtet, was während seines Unglücks in
seinem Innern vorgeht, grade so gründlich, wie die Pietisten den eintretenden
Bußkampf beobachteten, oder den Moment, wo die Gnade sie ergriff.

„Meinen Sie", schreibt Klopstock an Cramer, der Abschriften der
Lieder wünscht, „meine Oden seien so wenig aus dem Herzen geschrieben, daß
es in meinem Vermögen steht, sie ohne die heftigsten Empfindungen so oft
abzuschreiben? Meine Schmerzen waren bisweilen so finster, daß ich behutsam
mit mir selbst umgehen mußte, sie nicht zu vermehren,"

Längere Zeit wurde die Arbeit am Messias nur den nächsten Freunden
mitgetheilt, endlich gelangten einige Fragmente an B oben er.

„Von einem jungen Menschen in Leipzig", schreibt dieser an Glenn,
„hat man mir etwas Ungemeines gezeigt: das zweite Buch eines epischen Ge¬
dichts vom Messias. Aus diesem Stück zu urtheilen, ruht Milton's Geist auf
dem Dichter; es ist ein Charakter darin, der Satans Charakter zu übersteigen
droht. Welches Prodigium, daß im Land der Gottsched's ein Gedicht von
Teufelsgespenstern und Miltonschen Hexenmährchen geschrieben wird!"

Bodmer konnte wohl zufrieden sein: es war eine Wahrheit geworden,


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[0383] Der kategorische Imperativ der Liebe gehört mehr den Romanen an In den spanischen Novellen hat beim Eintritt eines Liebesnnglücks der Liebende durchaus nicht nöthig, nach dem Dolch zu greifen: er fällt hin und ist auf der Stelle todt, der Schmerz hat ihn getödtet. Das wird ganz einfach erzählt, es wird also vorausgesetzt, das Publikum werde sich wohl dafür interessiren, aber nicht weiter besonders wundern. In Paris war ein Jahrzehend vor Klopstock die Paradoxie in „Ncuron I^vsoaut" auf die Spitze getrieben. Der alte Pietismus schloß von der echt christlichen Ehe streng alles Lei¬ denschaftliche, alles Persönliche aus, denn so etwas war Auflehnung gegen die Bestimmung Gottes. Wenn man nicht, wie in Herrnhut, gradezu das Loos entscheiden ließ, so wurde die Braut darauf hin geprüft, ob sie den künftigen Gatten in seinem gottseliger Werk genügend unterstützen könne. Eine unglückliche Liebe wurde so wenig gestattet, als eine leidenschaftliche. Das Neue bei Klopstock ist, daß die Liebe an sich und namentlich die unglückliche Liebe als ein eminent sittliches Motiv aufgefaßt und mit Feier¬ lichkeit behandelt wird; als etwas, was den Menschen verkläre, ihm einen Heiligenschein gebe, ihn über die Gemeinheit des Lebens hoch hinausführe: kurz, als ein religiöser Akt. Klopstocks Liebesgedichte fanden einen gewaltigen Wiederhall in der Ju¬ gend, und er sorgte durch Briefe dafür, das Gefühl der schmerzhaften Ent¬ behrung als etwas Hochwichtiges seinen Anhängern einzuprägen. Wunderlich genug klingen diese Briefe: jedenfalls waren sie etwas Neues im geistigen Leben Deutschlands. Klopstock beobachtet, was während seines Unglücks in seinem Innern vorgeht, grade so gründlich, wie die Pietisten den eintretenden Bußkampf beobachteten, oder den Moment, wo die Gnade sie ergriff. „Meinen Sie", schreibt Klopstock an Cramer, der Abschriften der Lieder wünscht, „meine Oden seien so wenig aus dem Herzen geschrieben, daß es in meinem Vermögen steht, sie ohne die heftigsten Empfindungen so oft abzuschreiben? Meine Schmerzen waren bisweilen so finster, daß ich behutsam mit mir selbst umgehen mußte, sie nicht zu vermehren," Längere Zeit wurde die Arbeit am Messias nur den nächsten Freunden mitgetheilt, endlich gelangten einige Fragmente an B oben er. „Von einem jungen Menschen in Leipzig", schreibt dieser an Glenn, „hat man mir etwas Ungemeines gezeigt: das zweite Buch eines epischen Ge¬ dichts vom Messias. Aus diesem Stück zu urtheilen, ruht Milton's Geist auf dem Dichter; es ist ein Charakter darin, der Satans Charakter zu übersteigen droht. Welches Prodigium, daß im Land der Gottsched's ein Gedicht von Teufelsgespenstern und Miltonschen Hexenmährchen geschrieben wird!" Bodmer konnte wohl zufrieden sein: es war eine Wahrheit geworden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/383>, abgerufen am 27.09.2024.