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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Böhme, Cciloeron u. s. w. nehmen keinen Anstand, diesen Gedanken Ausdruck
zu geben; sie wußten eben mehr; sie verarbeiteten eine reich ausgebildete
Scholastik, eine sinnige, phantasievolle Mystik, eine im Volkesbewußtsein fertige
Mythologie, oder wenigstens einen mächtigen Glauben. Ihnen war der christ¬
liche Himmel ebenso wahrhaft und lebendig, als dem Homer der Olymp.

Von dem allen fand der deutsche Dichter des 18. Jahrhunderts nichts
vor, er sollte alles selbst erfinden, und dazu reicht der Beistand des heiligen
Geistes nicht aus: so brachte er es nur zur Empfindung, die nach einem
Empfindungsstoff sich sehnt und über diese Sehnsucht andächtig staunt.

Stark an Empfindungskraft, hatte Klopstock weder seine Phantasie noch
sein Denkvermögen irgendwie bedentend ausgebildet: er war von aller Mystik
ebenso fern als von aller Scholastik; er war ebensowenig ein Schauer als
ein Grübler.

Endlich war seine gestaltenbildende Kraft sehr gering. Wenn er das
göttliche Wesen in Erscheinung, die Mystik in Mythologie umsetzen, die un¬
körperliche Ideenwelt sinnlich zeigen wollte, so waren seine Erfindungen ganz
banal, seine Bilder blaß bis zur Unkenntlichkeit. Seiner Mystik fehlte die
Basis des Gedankens, seiner Mythologie Farbe und Gestalt.

Gleich in den ersten Gesängen wird der Erzengel Eloa beschrieben.
"Vor Allen, die Gott schuf, ist er groß. Sein umschauender Blick ist schöner
als Frühlingsmorgen, lieblicher als die Gestirne, da sie vor dem Antlitz des
Schöpfers jugendlich schön vorbei flohn. Gott erschuf ihn zuerst. Aus einer
Morgenröthe schuf er ihm einen ätherischen Leib. Ein Himmel voll Wolken
floß um ihn, da er ward. Gott hub ihn mit offenen Armen ans den Wolken
und fagt' ihm segnend: da bin ich, Erschaffner! Und auf einmal sahe vor sich
Eloa den Schöpfer, schaut' in Entzückungen an, und stand, und schaute be¬
geistert wieder an, und sank, verloren in Gottes Anblick ..." -- Alles nur
Empfindung, kein Bild!

Die übrigen Seraphim haben nicht mehr Physiognomie; abgesehen von
ihren verhimmelnden Blicken könnte man sie mit Grazien oder Amouretten
verwechseln. Am schattenhaftesten kommen die Schutzengel heraus, bloße
Doppelgänger, die sich damit begnügen, die Züge ihrer Schützlinge zu prüfen.
Wenn vollends die Seelen neugeborner oder gar ungeborner Kinder auftreten,
empfindet man kaum noch einen Hauch der Existenz. Der einzige individuell
hervortretende Engel, der abgefallene reuige Abbedonna, thut nichts als weinen.

In der Hölle wird es etwas lebhafter: hier kam Milton sehr zu Hülfe,
obgleich Klopstock doch nicht wagt, die Teufel als nur verdunkelte Halb¬
götter zu idealisiren! sie sind nichts als greuliche Lästerer. Aber zu lästern
versteh" sie gut. "Hilf mir! ich flehe dich an! ich bete, wenn du es forderst,


Grenzboten I. 137ö. 4?

Böhme, Cciloeron u. s. w. nehmen keinen Anstand, diesen Gedanken Ausdruck
zu geben; sie wußten eben mehr; sie verarbeiteten eine reich ausgebildete
Scholastik, eine sinnige, phantasievolle Mystik, eine im Volkesbewußtsein fertige
Mythologie, oder wenigstens einen mächtigen Glauben. Ihnen war der christ¬
liche Himmel ebenso wahrhaft und lebendig, als dem Homer der Olymp.

Von dem allen fand der deutsche Dichter des 18. Jahrhunderts nichts
vor, er sollte alles selbst erfinden, und dazu reicht der Beistand des heiligen
Geistes nicht aus: so brachte er es nur zur Empfindung, die nach einem
Empfindungsstoff sich sehnt und über diese Sehnsucht andächtig staunt.

Stark an Empfindungskraft, hatte Klopstock weder seine Phantasie noch
sein Denkvermögen irgendwie bedentend ausgebildet: er war von aller Mystik
ebenso fern als von aller Scholastik; er war ebensowenig ein Schauer als
ein Grübler.

Endlich war seine gestaltenbildende Kraft sehr gering. Wenn er das
göttliche Wesen in Erscheinung, die Mystik in Mythologie umsetzen, die un¬
körperliche Ideenwelt sinnlich zeigen wollte, so waren seine Erfindungen ganz
banal, seine Bilder blaß bis zur Unkenntlichkeit. Seiner Mystik fehlte die
Basis des Gedankens, seiner Mythologie Farbe und Gestalt.

Gleich in den ersten Gesängen wird der Erzengel Eloa beschrieben.
„Vor Allen, die Gott schuf, ist er groß. Sein umschauender Blick ist schöner
als Frühlingsmorgen, lieblicher als die Gestirne, da sie vor dem Antlitz des
Schöpfers jugendlich schön vorbei flohn. Gott erschuf ihn zuerst. Aus einer
Morgenröthe schuf er ihm einen ätherischen Leib. Ein Himmel voll Wolken
floß um ihn, da er ward. Gott hub ihn mit offenen Armen ans den Wolken
und fagt' ihm segnend: da bin ich, Erschaffner! Und auf einmal sahe vor sich
Eloa den Schöpfer, schaut' in Entzückungen an, und stand, und schaute be¬
geistert wieder an, und sank, verloren in Gottes Anblick ..." — Alles nur
Empfindung, kein Bild!

Die übrigen Seraphim haben nicht mehr Physiognomie; abgesehen von
ihren verhimmelnden Blicken könnte man sie mit Grazien oder Amouretten
verwechseln. Am schattenhaftesten kommen die Schutzengel heraus, bloße
Doppelgänger, die sich damit begnügen, die Züge ihrer Schützlinge zu prüfen.
Wenn vollends die Seelen neugeborner oder gar ungeborner Kinder auftreten,
empfindet man kaum noch einen Hauch der Existenz. Der einzige individuell
hervortretende Engel, der abgefallene reuige Abbedonna, thut nichts als weinen.

In der Hölle wird es etwas lebhafter: hier kam Milton sehr zu Hülfe,
obgleich Klopstock doch nicht wagt, die Teufel als nur verdunkelte Halb¬
götter zu idealisiren! sie sind nichts als greuliche Lästerer. Aber zu lästern
versteh« sie gut. „Hilf mir! ich flehe dich an! ich bete, wenn du es forderst,


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[0377] Böhme, Cciloeron u. s. w. nehmen keinen Anstand, diesen Gedanken Ausdruck zu geben; sie wußten eben mehr; sie verarbeiteten eine reich ausgebildete Scholastik, eine sinnige, phantasievolle Mystik, eine im Volkesbewußtsein fertige Mythologie, oder wenigstens einen mächtigen Glauben. Ihnen war der christ¬ liche Himmel ebenso wahrhaft und lebendig, als dem Homer der Olymp. Von dem allen fand der deutsche Dichter des 18. Jahrhunderts nichts vor, er sollte alles selbst erfinden, und dazu reicht der Beistand des heiligen Geistes nicht aus: so brachte er es nur zur Empfindung, die nach einem Empfindungsstoff sich sehnt und über diese Sehnsucht andächtig staunt. Stark an Empfindungskraft, hatte Klopstock weder seine Phantasie noch sein Denkvermögen irgendwie bedentend ausgebildet: er war von aller Mystik ebenso fern als von aller Scholastik; er war ebensowenig ein Schauer als ein Grübler. Endlich war seine gestaltenbildende Kraft sehr gering. Wenn er das göttliche Wesen in Erscheinung, die Mystik in Mythologie umsetzen, die un¬ körperliche Ideenwelt sinnlich zeigen wollte, so waren seine Erfindungen ganz banal, seine Bilder blaß bis zur Unkenntlichkeit. Seiner Mystik fehlte die Basis des Gedankens, seiner Mythologie Farbe und Gestalt. Gleich in den ersten Gesängen wird der Erzengel Eloa beschrieben. „Vor Allen, die Gott schuf, ist er groß. Sein umschauender Blick ist schöner als Frühlingsmorgen, lieblicher als die Gestirne, da sie vor dem Antlitz des Schöpfers jugendlich schön vorbei flohn. Gott erschuf ihn zuerst. Aus einer Morgenröthe schuf er ihm einen ätherischen Leib. Ein Himmel voll Wolken floß um ihn, da er ward. Gott hub ihn mit offenen Armen ans den Wolken und fagt' ihm segnend: da bin ich, Erschaffner! Und auf einmal sahe vor sich Eloa den Schöpfer, schaut' in Entzückungen an, und stand, und schaute be¬ geistert wieder an, und sank, verloren in Gottes Anblick ..." — Alles nur Empfindung, kein Bild! Die übrigen Seraphim haben nicht mehr Physiognomie; abgesehen von ihren verhimmelnden Blicken könnte man sie mit Grazien oder Amouretten verwechseln. Am schattenhaftesten kommen die Schutzengel heraus, bloße Doppelgänger, die sich damit begnügen, die Züge ihrer Schützlinge zu prüfen. Wenn vollends die Seelen neugeborner oder gar ungeborner Kinder auftreten, empfindet man kaum noch einen Hauch der Existenz. Der einzige individuell hervortretende Engel, der abgefallene reuige Abbedonna, thut nichts als weinen. In der Hölle wird es etwas lebhafter: hier kam Milton sehr zu Hülfe, obgleich Klopstock doch nicht wagt, die Teufel als nur verdunkelte Halb¬ götter zu idealisiren! sie sind nichts als greuliche Lästerer. Aber zu lästern versteh« sie gut. „Hilf mir! ich flehe dich an! ich bete, wenn du es forderst, Grenzboten I. 137ö. 4?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/377>, abgerufen am 27.09.2024.