Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Leider ist dieser göttliche Rathschluß ebensowenig episch darzustellen, wie
der Vorgang ans Erden, denn er steht von Ewigkeit fest, hat also keine Ge¬
schichte. Noch schlimmer aber ist, daß der^ Dichter von seinem wirklichen
mystischen Gehalt nicht mehr weiß als der gewöhnliche Verstand: er blickt
andachtsvoll zu ihm empor, aber er sieht ihn nicht.

Nach Anrufung der heiligen Muse wagt sich der Dichter sofort in die
tiefste Tiefe; er läßt die Dreifaltigkeit sich über ihre eigne Unergründlichkeit
unterhalten. "Jetzo erhuben sich neue, geheimnißvolle Gespräche zwischen ihm und
dem Ewigen, Schicksal enthüllenden Inhalts, heilig und furchtbar und hehr, voll
nie gehofster Entscheidung, selbst Unsterblichen dunkel." -- Als der eben ge¬
schaffene Erzengel Elya Gott sieht, "sagte er dem Ewigen alle Gedanken, die
er hatte, die neuen erhabnen Empfindungen alle, die das große Herz ihm
dnrchwallten." -- Abbadonna, der reuige Abtrünnige in der Hölle, empfindet
als schwerste Strafe, dem tiefen Gedanken der Erlösung nicht völlig nachdenken
zu können: -- "kann ich mich himmlischer Dinge noch erinnern, so hab' ich
von diesem Geheimniß einst was Dunkles im Himmel gehört. In tiefer nächt¬
licher Ferne seh ich neue Gedanken voll wunderbarer Entdeckung, aber in
Labyrinthe verwirrt, sich gegen mich nähern . . ."

Dem Dichter geht es darin nicht besser als Abbedonna.

Ein andermal sieht Christus zu dem Vater empor. "Wer ist der Ge¬
schaffne, der zu empfinden vermag, mit welcher Wonne der Gottheit, welcher
Liebe sie schauten! -- Nur wovon der Vater und Sohn, nicht wie sie es
sprechen, kannst du, Sivuitin! erzählen. Denn dieses zu denken, hat die Seele
kein Bild; es zu sagen, nicht Worte die Sprache."

Daß darin für das Gedicht ein erheblicher Mangel liegt, empfindet der
Dichter sehr wohl; er entschuldigt sich gleich zu Anfang wegen der Kühnheit
seines Unternehmens, und erinnert von Zeit zu Zeit den Leser an diese Ent¬
schuldigung. "Immer weiter komm' ich auf meinem furchtbaren Wege. .
Auf beiden Seiten ist Abgrund! Da zur linken: ich soll nicht zu kühn den
Göttlichen singen! hier zur rechten: ich soll ihn mit feierlicher Würdigkeit
singen! Und ich bin Staub! O du, deß Blut auf Golgatha strömte, dessen
Allgegenwart mich von allen Seiten umringt hat, dn erforschest meine Gedanken!
Du siehest es alles, was ich denke, vorher, dn Näher! ja selber kein Wort
ist mir auf der Zunge, das du nicht wüßtest. Mein Gott, mein Versöhner:
leite mich, und wenn ich strauchle, vergieb mir's!"

Solch Gebet kommt dem Christen zu gut, aber nicht dem Dichter. Wenn
wir nichts von den großen Gedanken, die Christus oder Eloa gegen Gott aus¬
sprechen, erfahren, so haben wir eben nichts gewonnen. Dante, Milton, Jakob


Leider ist dieser göttliche Rathschluß ebensowenig episch darzustellen, wie
der Vorgang ans Erden, denn er steht von Ewigkeit fest, hat also keine Ge¬
schichte. Noch schlimmer aber ist, daß der^ Dichter von seinem wirklichen
mystischen Gehalt nicht mehr weiß als der gewöhnliche Verstand: er blickt
andachtsvoll zu ihm empor, aber er sieht ihn nicht.

Nach Anrufung der heiligen Muse wagt sich der Dichter sofort in die
tiefste Tiefe; er läßt die Dreifaltigkeit sich über ihre eigne Unergründlichkeit
unterhalten. „Jetzo erhuben sich neue, geheimnißvolle Gespräche zwischen ihm und
dem Ewigen, Schicksal enthüllenden Inhalts, heilig und furchtbar und hehr, voll
nie gehofster Entscheidung, selbst Unsterblichen dunkel." — Als der eben ge¬
schaffene Erzengel Elya Gott sieht, „sagte er dem Ewigen alle Gedanken, die
er hatte, die neuen erhabnen Empfindungen alle, die das große Herz ihm
dnrchwallten." — Abbadonna, der reuige Abtrünnige in der Hölle, empfindet
als schwerste Strafe, dem tiefen Gedanken der Erlösung nicht völlig nachdenken
zu können: — „kann ich mich himmlischer Dinge noch erinnern, so hab' ich
von diesem Geheimniß einst was Dunkles im Himmel gehört. In tiefer nächt¬
licher Ferne seh ich neue Gedanken voll wunderbarer Entdeckung, aber in
Labyrinthe verwirrt, sich gegen mich nähern . . ."

Dem Dichter geht es darin nicht besser als Abbedonna.

Ein andermal sieht Christus zu dem Vater empor. „Wer ist der Ge¬
schaffne, der zu empfinden vermag, mit welcher Wonne der Gottheit, welcher
Liebe sie schauten! — Nur wovon der Vater und Sohn, nicht wie sie es
sprechen, kannst du, Sivuitin! erzählen. Denn dieses zu denken, hat die Seele
kein Bild; es zu sagen, nicht Worte die Sprache."

Daß darin für das Gedicht ein erheblicher Mangel liegt, empfindet der
Dichter sehr wohl; er entschuldigt sich gleich zu Anfang wegen der Kühnheit
seines Unternehmens, und erinnert von Zeit zu Zeit den Leser an diese Ent¬
schuldigung. „Immer weiter komm' ich auf meinem furchtbaren Wege. .
Auf beiden Seiten ist Abgrund! Da zur linken: ich soll nicht zu kühn den
Göttlichen singen! hier zur rechten: ich soll ihn mit feierlicher Würdigkeit
singen! Und ich bin Staub! O du, deß Blut auf Golgatha strömte, dessen
Allgegenwart mich von allen Seiten umringt hat, dn erforschest meine Gedanken!
Du siehest es alles, was ich denke, vorher, dn Näher! ja selber kein Wort
ist mir auf der Zunge, das du nicht wüßtest. Mein Gott, mein Versöhner:
leite mich, und wenn ich strauchle, vergieb mir's!"

Solch Gebet kommt dem Christen zu gut, aber nicht dem Dichter. Wenn
wir nichts von den großen Gedanken, die Christus oder Eloa gegen Gott aus¬
sprechen, erfahren, so haben wir eben nichts gewonnen. Dante, Milton, Jakob


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139669"/>
            <p xml:id="ID_1103"> Leider ist dieser göttliche Rathschluß ebensowenig episch darzustellen, wie<lb/>
der Vorgang ans Erden, denn er steht von Ewigkeit fest, hat also keine Ge¬<lb/>
schichte. Noch schlimmer aber ist, daß der^ Dichter von seinem wirklichen<lb/>
mystischen Gehalt nicht mehr weiß als der gewöhnliche Verstand: er blickt<lb/>
andachtsvoll zu ihm empor, aber er sieht ihn nicht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1104"> Nach Anrufung der heiligen Muse wagt sich der Dichter sofort in die<lb/>
tiefste Tiefe; er läßt die Dreifaltigkeit sich über ihre eigne Unergründlichkeit<lb/>
unterhalten. &#x201E;Jetzo erhuben sich neue, geheimnißvolle Gespräche zwischen ihm und<lb/>
dem Ewigen, Schicksal enthüllenden Inhalts, heilig und furchtbar und hehr, voll<lb/>
nie gehofster Entscheidung, selbst Unsterblichen dunkel." &#x2014; Als der eben ge¬<lb/>
schaffene Erzengel Elya Gott sieht, &#x201E;sagte er dem Ewigen alle Gedanken, die<lb/>
er hatte, die neuen erhabnen Empfindungen alle, die das große Herz ihm<lb/>
dnrchwallten." &#x2014; Abbadonna, der reuige Abtrünnige in der Hölle, empfindet<lb/>
als schwerste Strafe, dem tiefen Gedanken der Erlösung nicht völlig nachdenken<lb/>
zu können: &#x2014; &#x201E;kann ich mich himmlischer Dinge noch erinnern, so hab' ich<lb/>
von diesem Geheimniß einst was Dunkles im Himmel gehört. In tiefer nächt¬<lb/>
licher Ferne seh ich neue Gedanken voll wunderbarer Entdeckung, aber in<lb/>
Labyrinthe verwirrt, sich gegen mich nähern . . ."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1105"> Dem Dichter geht es darin nicht besser als Abbedonna.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1106"> Ein andermal sieht Christus zu dem Vater empor. &#x201E;Wer ist der Ge¬<lb/>
schaffne, der zu empfinden vermag, mit welcher Wonne der Gottheit, welcher<lb/>
Liebe sie schauten! &#x2014; Nur wovon der Vater und Sohn, nicht wie sie es<lb/>
sprechen, kannst du, Sivuitin! erzählen. Denn dieses zu denken, hat die Seele<lb/>
kein Bild; es zu sagen, nicht Worte die Sprache."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1107"> Daß darin für das Gedicht ein erheblicher Mangel liegt, empfindet der<lb/>
Dichter sehr wohl; er entschuldigt sich gleich zu Anfang wegen der Kühnheit<lb/>
seines Unternehmens, und erinnert von Zeit zu Zeit den Leser an diese Ent¬<lb/>
schuldigung. &#x201E;Immer weiter komm' ich auf meinem furchtbaren Wege. .<lb/>
Auf beiden Seiten ist Abgrund! Da zur linken: ich soll nicht zu kühn den<lb/>
Göttlichen singen! hier zur rechten: ich soll ihn mit feierlicher Würdigkeit<lb/>
singen! Und ich bin Staub! O du, deß Blut auf Golgatha strömte, dessen<lb/>
Allgegenwart mich von allen Seiten umringt hat, dn erforschest meine Gedanken!<lb/>
Du siehest es alles, was ich denke, vorher, dn Näher! ja selber kein Wort<lb/>
ist mir auf der Zunge, das du nicht wüßtest. Mein Gott, mein Versöhner:<lb/>
leite mich, und wenn ich strauchle, vergieb mir's!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1108" next="#ID_1109"> Solch Gebet kommt dem Christen zu gut, aber nicht dem Dichter. Wenn<lb/>
wir nichts von den großen Gedanken, die Christus oder Eloa gegen Gott aus¬<lb/>
sprechen, erfahren, so haben wir eben nichts gewonnen. Dante, Milton, Jakob</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0376] Leider ist dieser göttliche Rathschluß ebensowenig episch darzustellen, wie der Vorgang ans Erden, denn er steht von Ewigkeit fest, hat also keine Ge¬ schichte. Noch schlimmer aber ist, daß der^ Dichter von seinem wirklichen mystischen Gehalt nicht mehr weiß als der gewöhnliche Verstand: er blickt andachtsvoll zu ihm empor, aber er sieht ihn nicht. Nach Anrufung der heiligen Muse wagt sich der Dichter sofort in die tiefste Tiefe; er läßt die Dreifaltigkeit sich über ihre eigne Unergründlichkeit unterhalten. „Jetzo erhuben sich neue, geheimnißvolle Gespräche zwischen ihm und dem Ewigen, Schicksal enthüllenden Inhalts, heilig und furchtbar und hehr, voll nie gehofster Entscheidung, selbst Unsterblichen dunkel." — Als der eben ge¬ schaffene Erzengel Elya Gott sieht, „sagte er dem Ewigen alle Gedanken, die er hatte, die neuen erhabnen Empfindungen alle, die das große Herz ihm dnrchwallten." — Abbadonna, der reuige Abtrünnige in der Hölle, empfindet als schwerste Strafe, dem tiefen Gedanken der Erlösung nicht völlig nachdenken zu können: — „kann ich mich himmlischer Dinge noch erinnern, so hab' ich von diesem Geheimniß einst was Dunkles im Himmel gehört. In tiefer nächt¬ licher Ferne seh ich neue Gedanken voll wunderbarer Entdeckung, aber in Labyrinthe verwirrt, sich gegen mich nähern . . ." Dem Dichter geht es darin nicht besser als Abbedonna. Ein andermal sieht Christus zu dem Vater empor. „Wer ist der Ge¬ schaffne, der zu empfinden vermag, mit welcher Wonne der Gottheit, welcher Liebe sie schauten! — Nur wovon der Vater und Sohn, nicht wie sie es sprechen, kannst du, Sivuitin! erzählen. Denn dieses zu denken, hat die Seele kein Bild; es zu sagen, nicht Worte die Sprache." Daß darin für das Gedicht ein erheblicher Mangel liegt, empfindet der Dichter sehr wohl; er entschuldigt sich gleich zu Anfang wegen der Kühnheit seines Unternehmens, und erinnert von Zeit zu Zeit den Leser an diese Ent¬ schuldigung. „Immer weiter komm' ich auf meinem furchtbaren Wege. . Auf beiden Seiten ist Abgrund! Da zur linken: ich soll nicht zu kühn den Göttlichen singen! hier zur rechten: ich soll ihn mit feierlicher Würdigkeit singen! Und ich bin Staub! O du, deß Blut auf Golgatha strömte, dessen Allgegenwart mich von allen Seiten umringt hat, dn erforschest meine Gedanken! Du siehest es alles, was ich denke, vorher, dn Näher! ja selber kein Wort ist mir auf der Zunge, das du nicht wüßtest. Mein Gott, mein Versöhner: leite mich, und wenn ich strauchle, vergieb mir's!" Solch Gebet kommt dem Christen zu gut, aber nicht dem Dichter. Wenn wir nichts von den großen Gedanken, die Christus oder Eloa gegen Gott aus¬ sprechen, erfahren, so haben wir eben nichts gewonnen. Dante, Milton, Jakob

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/376
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/376>, abgerufen am 20.10.2024.