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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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zugleich das feinste musikalisch gebildete Ohr für den sinnlichen Gehalt der
Sprache und dessen Schönheit: vielleicht kein andrer deutscher Dichter kam ihm
darin gleich. Freilich hat er mitunter fehlgegriffen; seine ersten Hexameter
klingen ganz unglaublich; was er für die Veredlung der Sprache gethan, er¬
kennt man am besten aus der Folge seiner Verbesserungen.

Bei dem ernsthaften Versuch, die antiken Versmaße nachzubilden, entdeckte
man in der deutschen Sprache eine Fülle und Kraft, von der man früher keine
Ahnung gehabt. So wurde auch die Sprache ein Organ, gegen das Gemeine
anzukämpfen: mit Staunen sah man, zu welcher langathmigen Energie sie sich
aufraffen könne. Die ausgedehnte, rhythmisch vollendete schwungvolle Periode
ist Klopstocks Werk: eine stolze, gehaltene Beredsamkeit gab der Sprache
das Selbstgefühl wieder, das im Stammeln, Seufzen und Fluchen der Pie¬
tisten und Lohensteinicmer nicht minder verkümmert war, als in den wässrigen
Reimereien der Gvttschedischen Zeit. Klopstock war eigentlich nur der Täufer:
durch ihn wurde die Sprache befähigt, dem künftigen Dichter von Gottes
Gnaden als edles Organ willig zu sein.

Nicht geringe Schwierigkeiten bot ferner der Stoff: die Passion -- der
Ausschnitt aus dem Evangelium vom Oelberg bis zur Himmelfahrt -- wider¬
strebt schon an sich der epischen Behandlung, da der Held nicht handelt, son¬
dern nur leidet; sein Handeln, d. h. sein Lehren, sällt außerhalb dieses Rahmens.
Schlimmer wird die Sache noch dadurch, daß zwar nicht nach dem Wortlaut
der Schrift, aber nach der orthodoxen Auslegung den Held nnr darum leidet,
weil er leiden will; .sein Leiden ist also nur uneigentlich.

Die Aufgabe des Dichters war nun, dadurch einige Bewegung in die Bege¬
benheit zu bringen, daß er die wirklich Handelnden, d. h. die Verfolger, in ihren
Motiven zeigte. Dazu kommt es erst im vierten Gesang, wo im Synedrinm über
Jesus Rath gehalten wird. Die Reden von Caiphas und Philo sind in ihrer
leidenschaftlichen Art vortrefflich, wenn man erwägt, daß Deutschland damals
noch keine Parlamentsredner hatte; aber Klopstock verdirbt es dadurch, daß er
es verschmäht, ihre positiven Motive aufzusuchen, daß er sie als reine Heuchler
und Bösewichter, d. h. als absolut uninteressante Menschen schildert. Das
geht über die Bibel hinaus: hat doch Paulus selbst den Herrn verfolgt, ehe
er ihn kannte!

Völlig lahm ist der Gang in den ersten Gesängen: das Stillleben auf
dem Oelberg, die Charakteristik der Jünger, nicht durch irgend ein Handeln,
sondern durch Recensionen ihrer Schutzengel, die sehr aufmerksam ihre Phy¬
siognomie beobachten.

Der schlimmste Fehler ist, daß wir nicht den Menschensohn sehn, dessen
Leiden eine sympathische Seite in uns selbst erregt, sondern den verkappten


zugleich das feinste musikalisch gebildete Ohr für den sinnlichen Gehalt der
Sprache und dessen Schönheit: vielleicht kein andrer deutscher Dichter kam ihm
darin gleich. Freilich hat er mitunter fehlgegriffen; seine ersten Hexameter
klingen ganz unglaublich; was er für die Veredlung der Sprache gethan, er¬
kennt man am besten aus der Folge seiner Verbesserungen.

Bei dem ernsthaften Versuch, die antiken Versmaße nachzubilden, entdeckte
man in der deutschen Sprache eine Fülle und Kraft, von der man früher keine
Ahnung gehabt. So wurde auch die Sprache ein Organ, gegen das Gemeine
anzukämpfen: mit Staunen sah man, zu welcher langathmigen Energie sie sich
aufraffen könne. Die ausgedehnte, rhythmisch vollendete schwungvolle Periode
ist Klopstocks Werk: eine stolze, gehaltene Beredsamkeit gab der Sprache
das Selbstgefühl wieder, das im Stammeln, Seufzen und Fluchen der Pie¬
tisten und Lohensteinicmer nicht minder verkümmert war, als in den wässrigen
Reimereien der Gvttschedischen Zeit. Klopstock war eigentlich nur der Täufer:
durch ihn wurde die Sprache befähigt, dem künftigen Dichter von Gottes
Gnaden als edles Organ willig zu sein.

Nicht geringe Schwierigkeiten bot ferner der Stoff: die Passion — der
Ausschnitt aus dem Evangelium vom Oelberg bis zur Himmelfahrt — wider¬
strebt schon an sich der epischen Behandlung, da der Held nicht handelt, son¬
dern nur leidet; sein Handeln, d. h. sein Lehren, sällt außerhalb dieses Rahmens.
Schlimmer wird die Sache noch dadurch, daß zwar nicht nach dem Wortlaut
der Schrift, aber nach der orthodoxen Auslegung den Held nnr darum leidet,
weil er leiden will; .sein Leiden ist also nur uneigentlich.

Die Aufgabe des Dichters war nun, dadurch einige Bewegung in die Bege¬
benheit zu bringen, daß er die wirklich Handelnden, d. h. die Verfolger, in ihren
Motiven zeigte. Dazu kommt es erst im vierten Gesang, wo im Synedrinm über
Jesus Rath gehalten wird. Die Reden von Caiphas und Philo sind in ihrer
leidenschaftlichen Art vortrefflich, wenn man erwägt, daß Deutschland damals
noch keine Parlamentsredner hatte; aber Klopstock verdirbt es dadurch, daß er
es verschmäht, ihre positiven Motive aufzusuchen, daß er sie als reine Heuchler
und Bösewichter, d. h. als absolut uninteressante Menschen schildert. Das
geht über die Bibel hinaus: hat doch Paulus selbst den Herrn verfolgt, ehe
er ihn kannte!

Völlig lahm ist der Gang in den ersten Gesängen: das Stillleben auf
dem Oelberg, die Charakteristik der Jünger, nicht durch irgend ein Handeln,
sondern durch Recensionen ihrer Schutzengel, die sehr aufmerksam ihre Phy¬
siognomie beobachten.

Der schlimmste Fehler ist, daß wir nicht den Menschensohn sehn, dessen
Leiden eine sympathische Seite in uns selbst erregt, sondern den verkappten


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[0374] zugleich das feinste musikalisch gebildete Ohr für den sinnlichen Gehalt der Sprache und dessen Schönheit: vielleicht kein andrer deutscher Dichter kam ihm darin gleich. Freilich hat er mitunter fehlgegriffen; seine ersten Hexameter klingen ganz unglaublich; was er für die Veredlung der Sprache gethan, er¬ kennt man am besten aus der Folge seiner Verbesserungen. Bei dem ernsthaften Versuch, die antiken Versmaße nachzubilden, entdeckte man in der deutschen Sprache eine Fülle und Kraft, von der man früher keine Ahnung gehabt. So wurde auch die Sprache ein Organ, gegen das Gemeine anzukämpfen: mit Staunen sah man, zu welcher langathmigen Energie sie sich aufraffen könne. Die ausgedehnte, rhythmisch vollendete schwungvolle Periode ist Klopstocks Werk: eine stolze, gehaltene Beredsamkeit gab der Sprache das Selbstgefühl wieder, das im Stammeln, Seufzen und Fluchen der Pie¬ tisten und Lohensteinicmer nicht minder verkümmert war, als in den wässrigen Reimereien der Gvttschedischen Zeit. Klopstock war eigentlich nur der Täufer: durch ihn wurde die Sprache befähigt, dem künftigen Dichter von Gottes Gnaden als edles Organ willig zu sein. Nicht geringe Schwierigkeiten bot ferner der Stoff: die Passion — der Ausschnitt aus dem Evangelium vom Oelberg bis zur Himmelfahrt — wider¬ strebt schon an sich der epischen Behandlung, da der Held nicht handelt, son¬ dern nur leidet; sein Handeln, d. h. sein Lehren, sällt außerhalb dieses Rahmens. Schlimmer wird die Sache noch dadurch, daß zwar nicht nach dem Wortlaut der Schrift, aber nach der orthodoxen Auslegung den Held nnr darum leidet, weil er leiden will; .sein Leiden ist also nur uneigentlich. Die Aufgabe des Dichters war nun, dadurch einige Bewegung in die Bege¬ benheit zu bringen, daß er die wirklich Handelnden, d. h. die Verfolger, in ihren Motiven zeigte. Dazu kommt es erst im vierten Gesang, wo im Synedrinm über Jesus Rath gehalten wird. Die Reden von Caiphas und Philo sind in ihrer leidenschaftlichen Art vortrefflich, wenn man erwägt, daß Deutschland damals noch keine Parlamentsredner hatte; aber Klopstock verdirbt es dadurch, daß er es verschmäht, ihre positiven Motive aufzusuchen, daß er sie als reine Heuchler und Bösewichter, d. h. als absolut uninteressante Menschen schildert. Das geht über die Bibel hinaus: hat doch Paulus selbst den Herrn verfolgt, ehe er ihn kannte! Völlig lahm ist der Gang in den ersten Gesängen: das Stillleben auf dem Oelberg, die Charakteristik der Jünger, nicht durch irgend ein Handeln, sondern durch Recensionen ihrer Schutzengel, die sehr aufmerksam ihre Phy¬ siognomie beobachten. Der schlimmste Fehler ist, daß wir nicht den Menschensohn sehn, dessen Leiden eine sympathische Seite in uns selbst erregt, sondern den verkappten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/374>, abgerufen am 20.10.2024.