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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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an der Wahl wurde von ihm nicht unbeachtet gelassen, und Leo IX. erklärte
geradezu, daß er die Würde erst annehmen werde, wenn Klerus und Volk
einmüthig und feierlich sich für ihn erklärt haben. Den letzten der Vier hatte
Heinrich auf den Rath eines Mannes gewählt, welcher vielleicht schon damals,
als er im Auftrage Roms den Kaiser um Ernennung des Kirchenfürsten bat,
in seinem stolzen Haupte den Plan trug, welcher nicht nur die Kirche vou
jeder weltlichen Autorität frei machen, sondern auch den römischen Bischof über
den Kaiser erhöhen und dem Papstthum zum Gipfel der Macht verhelfen sollte.
Der Mönch Hildebrand, nachmals Gregor der Siebente, führte die Gesandt¬
schaft, welche von Heinrich die Ernennung Viktor's II. erlangte, und ebenso
diejenige, welche von der Kaiserin Agnes die Bestätigung der von Klerus und
Volk vorgenommenen Wahl Stephan's VI. einholte. -- Ebenderselbe hatte
nicht geringen Antheil an der Erhebung des Nachfolgers Nikolaus II., vor
welchem der von einer Adelspartei mit Unterstützung des Volkes eingesetzte
Benedikt X. weichen mußte.

Kaiser Heinrich III. war im Jahre 1056 gestorben. Papst Nikolaus II.,
von Hildebrand berathen, bestieg den päpstlichen Thron drei Jahre später, als
Heinrich IV., der Erbe der deutschen und römischen Kaiserkrone, ein neunjäh¬
riger Knabe war. In dieser Zeit ist der kolossalste Umschwung, der möglich
war, in dem Verhältniß zwischen dem Staat und der Kirche, dem Kaiserthum
und dem Papstthum eingetreten. Kaiser Heinrich III., stark durch seine Per¬
sönlichkeit und die Einheit des Reiches, hatte Päpste ab- und eingesetzt, und
die Prälaten hatten ihn darum gebeten, "wie die Knechte ihren Herrn." Hein¬
rich IV., schwach durch falsche Erziehung und Leitung und durch Zwist im
Innern- des Reiches, ist vom Papste abgesetzt werden, und der Name Canossa
ist zum Symbol für die tiefste Demüthigung der weltlichen vor der geistlichen
Macht geworden. Man wundere sich nicht über den plötzlichen und gewalt¬
samen Umschwung. Die Rechtsfrage zwischen Kaiser und Papst war, wie
man gesehen, im Grnnde immer eine Machtfrage gewesen. Wenn jetzt ein
Mann wie Hildebrand einem Jüngling wie Heinrich IV. gegenüberstand, so
konnte nicht zweifelhaft sein, zu wessen Gunsten die Lösung der Frage aus-
schlagen mußte.

Hildebrand, tief durchdrungen von der Ueberzeugung, daß die geistliche Gewalt
hoch erhaben sei über der weltlichen, war entschlossen diesem Verhältniß Ausdruck
zu geben. Das Erste mußte sein, daß die Wahl des Kirchenoberhauptes von
jedem weltlichen Einfluß frei gemacht werde. Die Zeitverhältnisse waren die
günstigsten und noch ehe drei Jahre nach dem Tode Heinrichs III. verflossen
waren, schon im ersten Jahre des Papstthums Nikolaus' H., geschah der erste
und entscheidende Schritt dazu, weshalb diese Epoche zugleich als die wichtigste


an der Wahl wurde von ihm nicht unbeachtet gelassen, und Leo IX. erklärte
geradezu, daß er die Würde erst annehmen werde, wenn Klerus und Volk
einmüthig und feierlich sich für ihn erklärt haben. Den letzten der Vier hatte
Heinrich auf den Rath eines Mannes gewählt, welcher vielleicht schon damals,
als er im Auftrage Roms den Kaiser um Ernennung des Kirchenfürsten bat,
in seinem stolzen Haupte den Plan trug, welcher nicht nur die Kirche vou
jeder weltlichen Autorität frei machen, sondern auch den römischen Bischof über
den Kaiser erhöhen und dem Papstthum zum Gipfel der Macht verhelfen sollte.
Der Mönch Hildebrand, nachmals Gregor der Siebente, führte die Gesandt¬
schaft, welche von Heinrich die Ernennung Viktor's II. erlangte, und ebenso
diejenige, welche von der Kaiserin Agnes die Bestätigung der von Klerus und
Volk vorgenommenen Wahl Stephan's VI. einholte. — Ebenderselbe hatte
nicht geringen Antheil an der Erhebung des Nachfolgers Nikolaus II., vor
welchem der von einer Adelspartei mit Unterstützung des Volkes eingesetzte
Benedikt X. weichen mußte.

Kaiser Heinrich III. war im Jahre 1056 gestorben. Papst Nikolaus II.,
von Hildebrand berathen, bestieg den päpstlichen Thron drei Jahre später, als
Heinrich IV., der Erbe der deutschen und römischen Kaiserkrone, ein neunjäh¬
riger Knabe war. In dieser Zeit ist der kolossalste Umschwung, der möglich
war, in dem Verhältniß zwischen dem Staat und der Kirche, dem Kaiserthum
und dem Papstthum eingetreten. Kaiser Heinrich III., stark durch seine Per¬
sönlichkeit und die Einheit des Reiches, hatte Päpste ab- und eingesetzt, und
die Prälaten hatten ihn darum gebeten, „wie die Knechte ihren Herrn." Hein¬
rich IV., schwach durch falsche Erziehung und Leitung und durch Zwist im
Innern- des Reiches, ist vom Papste abgesetzt werden, und der Name Canossa
ist zum Symbol für die tiefste Demüthigung der weltlichen vor der geistlichen
Macht geworden. Man wundere sich nicht über den plötzlichen und gewalt¬
samen Umschwung. Die Rechtsfrage zwischen Kaiser und Papst war, wie
man gesehen, im Grnnde immer eine Machtfrage gewesen. Wenn jetzt ein
Mann wie Hildebrand einem Jüngling wie Heinrich IV. gegenüberstand, so
konnte nicht zweifelhaft sein, zu wessen Gunsten die Lösung der Frage aus-
schlagen mußte.

Hildebrand, tief durchdrungen von der Ueberzeugung, daß die geistliche Gewalt
hoch erhaben sei über der weltlichen, war entschlossen diesem Verhältniß Ausdruck
zu geben. Das Erste mußte sein, daß die Wahl des Kirchenoberhauptes von
jedem weltlichen Einfluß frei gemacht werde. Die Zeitverhältnisse waren die
günstigsten und noch ehe drei Jahre nach dem Tode Heinrichs III. verflossen
waren, schon im ersten Jahre des Papstthums Nikolaus' H., geschah der erste
und entscheidende Schritt dazu, weshalb diese Epoche zugleich als die wichtigste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/335>, abgerufen am 27.09.2024.