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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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komm ein offenes Evangelienbuch über sein Haupt hielten. Hierauf schritt der
Bischof von Ostia zur Konsekration. Der Geweihte empfing das Pallium aus
den Händen des Archidiakonus, stieg auf den Thron, sprach das "?ÄX vovis-
cuiri" über alle Priester und vollzog, während das (Aoris, in oxeolsis v<zö
angestimmt wurde, die Messe. -- Es sind die bereits scharf ausgeprägten
Grundzüge des später immer glänzenderen und ausgedehnteren Rituals.

Der beherrschende Einfluß der oströmischen Kaiser, der im Falle der
Nichtbestätigung eine neue Wahl nothwendig machte, dauerte nur bis auf Kvn-
stantinus Pogouatus, welcher 678 auf den Tribut, 684 auf das Bestätigungs¬
recht verzichtete, so daß die Wahl Johanns V. 685 wieder eine ganz freie war.

Die durch bürgerliche Unruhen möglich gewordene gewaltsame Einsetzung
eines Laienpapstes im Jahre 757 veranlaßte die Verordnung Stephan's III-,
daß kein Laie oder Kleriker das Pontifikat erlangen dürfe, wenn er nicht vor¬
her in regelrechter Weise Kardinaldiakonus- oder Presbyter geworden sei. Es
folgt daraus die interessante Thatsache, daß, wie es anch geschehen ist, selbst
ein Laie oder ein Mitglied der niederen Orden zum Papste gewählt wer¬
den kann, vorausgesetzt uur, daß er vor der Konsekrirung zum Bischof ge¬
macht wird.

Ob Karl der Große wirklich von Hadrian I. auf einem laterauischen
.Konzil das Recht erhalten hat, den Papst zu ernennen, steht dahin. Thatsache
ist, daß die karolingischen Kaiser zum Theil Rechte auf die Besetzung des Heiligen
Stuhles geltend machten, zum Theil nicht. Mit der Ernennung des Formosus
891 wurde zum ersten Male der Grundsatz verletzt, daß nur ein Presbyter
oder Diakonus der römischen Kirche Papst werden könne; doch blieb eine
heftige Opposition und Verfolgung dieserhalb nicht aus. Stephan VI. ließ
den Leichnam des Formosns ausgraben und mißhandeln.

Das Bestätigungsrecht verblieb auch den nachkarolingischen Kaisern, ohne
daß diese jedoch es regelmäßig geltend machen konnten oder wollten. Johann IX.
hatte 898 auf einem römischen Konzil dekretirt, daß die Wahl in einer Ver¬
sammlung der Bischöfe und des ganzen Klerus in Gegenwart des Senates und
Volkes stattfinden und die Konsekration in Gegenwart der kaiserlichen Ge¬
sandten erfolgen solle, die muthmaßlich auch schon bei der Wahl gegenwärtig
waren. Es ist bemerkenswerth, daß hierbei nicht mehr von einer Betheiligung,
sondern nur von einer Assistenz des Volkes die Rede ist.

Die inneren und äußeren Bedrängnisse des deutschen Reiches im zehnten
Jahrhundert und die Wirren in Italien brachten es mit sich, daß die Papst¬
wahl wiederholt ohne die regelmäßigen Formen vor sich ging, ohne daß sie
deshalb eine Ungiltigkeitserklärnng erfahren hätte, Die Umstände zeigten sich
mächtiger als die menschlichen Satzungen und man mußte wohl oder übel


komm ein offenes Evangelienbuch über sein Haupt hielten. Hierauf schritt der
Bischof von Ostia zur Konsekration. Der Geweihte empfing das Pallium aus
den Händen des Archidiakonus, stieg auf den Thron, sprach das „?ÄX vovis-
cuiri" über alle Priester und vollzog, während das (Aoris, in oxeolsis v<zö
angestimmt wurde, die Messe. — Es sind die bereits scharf ausgeprägten
Grundzüge des später immer glänzenderen und ausgedehnteren Rituals.

Der beherrschende Einfluß der oströmischen Kaiser, der im Falle der
Nichtbestätigung eine neue Wahl nothwendig machte, dauerte nur bis auf Kvn-
stantinus Pogouatus, welcher 678 auf den Tribut, 684 auf das Bestätigungs¬
recht verzichtete, so daß die Wahl Johanns V. 685 wieder eine ganz freie war.

Die durch bürgerliche Unruhen möglich gewordene gewaltsame Einsetzung
eines Laienpapstes im Jahre 757 veranlaßte die Verordnung Stephan's III-,
daß kein Laie oder Kleriker das Pontifikat erlangen dürfe, wenn er nicht vor¬
her in regelrechter Weise Kardinaldiakonus- oder Presbyter geworden sei. Es
folgt daraus die interessante Thatsache, daß, wie es anch geschehen ist, selbst
ein Laie oder ein Mitglied der niederen Orden zum Papste gewählt wer¬
den kann, vorausgesetzt uur, daß er vor der Konsekrirung zum Bischof ge¬
macht wird.

Ob Karl der Große wirklich von Hadrian I. auf einem laterauischen
.Konzil das Recht erhalten hat, den Papst zu ernennen, steht dahin. Thatsache
ist, daß die karolingischen Kaiser zum Theil Rechte auf die Besetzung des Heiligen
Stuhles geltend machten, zum Theil nicht. Mit der Ernennung des Formosus
891 wurde zum ersten Male der Grundsatz verletzt, daß nur ein Presbyter
oder Diakonus der römischen Kirche Papst werden könne; doch blieb eine
heftige Opposition und Verfolgung dieserhalb nicht aus. Stephan VI. ließ
den Leichnam des Formosns ausgraben und mißhandeln.

Das Bestätigungsrecht verblieb auch den nachkarolingischen Kaisern, ohne
daß diese jedoch es regelmäßig geltend machen konnten oder wollten. Johann IX.
hatte 898 auf einem römischen Konzil dekretirt, daß die Wahl in einer Ver¬
sammlung der Bischöfe und des ganzen Klerus in Gegenwart des Senates und
Volkes stattfinden und die Konsekration in Gegenwart der kaiserlichen Ge¬
sandten erfolgen solle, die muthmaßlich auch schon bei der Wahl gegenwärtig
waren. Es ist bemerkenswerth, daß hierbei nicht mehr von einer Betheiligung,
sondern nur von einer Assistenz des Volkes die Rede ist.

Die inneren und äußeren Bedrängnisse des deutschen Reiches im zehnten
Jahrhundert und die Wirren in Italien brachten es mit sich, daß die Papst¬
wahl wiederholt ohne die regelmäßigen Formen vor sich ging, ohne daß sie
deshalb eine Ungiltigkeitserklärnng erfahren hätte, Die Umstände zeigten sich
mächtiger als die menschlichen Satzungen und man mußte wohl oder übel


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[0333] komm ein offenes Evangelienbuch über sein Haupt hielten. Hierauf schritt der Bischof von Ostia zur Konsekration. Der Geweihte empfing das Pallium aus den Händen des Archidiakonus, stieg auf den Thron, sprach das „?ÄX vovis- cuiri" über alle Priester und vollzog, während das (Aoris, in oxeolsis v<zö angestimmt wurde, die Messe. — Es sind die bereits scharf ausgeprägten Grundzüge des später immer glänzenderen und ausgedehnteren Rituals. Der beherrschende Einfluß der oströmischen Kaiser, der im Falle der Nichtbestätigung eine neue Wahl nothwendig machte, dauerte nur bis auf Kvn- stantinus Pogouatus, welcher 678 auf den Tribut, 684 auf das Bestätigungs¬ recht verzichtete, so daß die Wahl Johanns V. 685 wieder eine ganz freie war. Die durch bürgerliche Unruhen möglich gewordene gewaltsame Einsetzung eines Laienpapstes im Jahre 757 veranlaßte die Verordnung Stephan's III-, daß kein Laie oder Kleriker das Pontifikat erlangen dürfe, wenn er nicht vor¬ her in regelrechter Weise Kardinaldiakonus- oder Presbyter geworden sei. Es folgt daraus die interessante Thatsache, daß, wie es anch geschehen ist, selbst ein Laie oder ein Mitglied der niederen Orden zum Papste gewählt wer¬ den kann, vorausgesetzt uur, daß er vor der Konsekrirung zum Bischof ge¬ macht wird. Ob Karl der Große wirklich von Hadrian I. auf einem laterauischen .Konzil das Recht erhalten hat, den Papst zu ernennen, steht dahin. Thatsache ist, daß die karolingischen Kaiser zum Theil Rechte auf die Besetzung des Heiligen Stuhles geltend machten, zum Theil nicht. Mit der Ernennung des Formosus 891 wurde zum ersten Male der Grundsatz verletzt, daß nur ein Presbyter oder Diakonus der römischen Kirche Papst werden könne; doch blieb eine heftige Opposition und Verfolgung dieserhalb nicht aus. Stephan VI. ließ den Leichnam des Formosns ausgraben und mißhandeln. Das Bestätigungsrecht verblieb auch den nachkarolingischen Kaisern, ohne daß diese jedoch es regelmäßig geltend machen konnten oder wollten. Johann IX. hatte 898 auf einem römischen Konzil dekretirt, daß die Wahl in einer Ver¬ sammlung der Bischöfe und des ganzen Klerus in Gegenwart des Senates und Volkes stattfinden und die Konsekration in Gegenwart der kaiserlichen Ge¬ sandten erfolgen solle, die muthmaßlich auch schon bei der Wahl gegenwärtig waren. Es ist bemerkenswerth, daß hierbei nicht mehr von einer Betheiligung, sondern nur von einer Assistenz des Volkes die Rede ist. Die inneren und äußeren Bedrängnisse des deutschen Reiches im zehnten Jahrhundert und die Wirren in Italien brachten es mit sich, daß die Papst¬ wahl wiederholt ohne die regelmäßigen Formen vor sich ging, ohne daß sie deshalb eine Ungiltigkeitserklärnng erfahren hätte, Die Umstände zeigten sich mächtiger als die menschlichen Satzungen und man mußte wohl oder übel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/333>, abgerufen am 20.10.2024.