Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sehr schroff gegen die sich unter ihm ausbreitende Ebene abfällt, wodurch er
sich auffallend von dem südlichen AbHange unterscheidet, der allmälig in die
Ebene von Larissa übergeht. -- Am Mittage, noch in dem schwarzen Tannen-
walde, rasteten wir bei einer Quelle unter einigen Linden und Platanen, dann
ging es wieder rasch bergab, und als die Sonne dem Untergange nahte, er-
öffneten sich wundervolle Durchsichten auf die am Fuße des Gebirges ausge¬
breitete grüne Wiesenebene und den blauen Meerbusen, während das junge
Laub der Buchenwälder entzückenden Duft ausathmete, als ob Here mit ihrem
ambrosischen Oel sich halbe, wobei, wie Homer berichtet, Wohlgeruch Himmel
und Erde erfüllte.

Es war bereits ganz finster, als ich den Anfang der Ebene und das
Ziel meiner heutigen Wanderung erreichte. Diesmal beschloß ich es durchzu¬
setzen, im Freien zu übernachten, und ließ mich am Rande eines Waldes, un¬
weit des dicht am Fuße des Gebirges liegenden Dorfes Leftokaria häuslich
nieder. Doch auch diesmal suchte Gastfreundschaft mich auf. Es erschien ein
Mann, der sich als den Feldhüter des Ortes zu erkennen gab, und mich freund¬
lichst einlud, in sein Haus zu kommen. Doch es war so angenehm warm,
und der Ort auf der Wiese, wo ich mich niedergelassen, so anmuthig, daß ich
diesmal das Anerbieten entschieden ablehnte. Der Mann ging darauf fort,
und als ich mit meinen Decken mich zum Nachtquartier eingerichtet, auch ein
Feuer angezündet hatte, begann ich beim Schein meiner Laterne mein Tagebuch
zu schreiben. saccharo bedauerte, daß er der Kunst des Schreibens nicht
mächtig sei, und sagte: "Auch ich sollte in meiner Kindheit etwas lernen, aber
da wurde unser Dorf von den Türken verwüstet, die Männer ermordet, und
es war Niemand mehr da, der mich hätte unterrichten lassen. Bald darauf
kehrte jener gute Mann, der Feldhüter -- er hieß Theocharis -- zurück, und
brachte mir einen Teller mit einem schönen großen Speckeierkuchen, den er
mich, da ich nicht in sein Haus kommen wollte, hier zu verzehren ersuchte.
Das war ein ganz angenehmer Zuwachs zu meinem Proviant; es wurde nun
Thee bereitet, und bei dem Feuer unterhielten wir uns, bis die Müdigkeit ihr
Recht behauptete und mich auf mein Lager niederstreckte. Der Feldhüter sagte
nun, es sei zwar eben nichts zu befürchten hier, aber besser sei besser, er werde
seinen Mantel holen und auch hier draußen schlafen, um mir Gesellschaft zu
leisten. So geschah es denn. Nach einigen Stunden erwachte ich, und da
das Feuer verlöschen wollte, ging ich in den Wald, um ihm neue Nahrung zu
holen. Die Nachtigallen schlugen in dem Dickicht der Hainbuchen unablässig;
es war eine wunderschöne Nacht, die mehr zum Wachen als zum Schlafen
einlud, und fast zu früh erschien mir die jenseit des Meeres emporsteigende
Morgenröthe. Theocharis erhob sich, um ein Tschibuk zu rauchen, Saccharos


sehr schroff gegen die sich unter ihm ausbreitende Ebene abfällt, wodurch er
sich auffallend von dem südlichen AbHange unterscheidet, der allmälig in die
Ebene von Larissa übergeht. — Am Mittage, noch in dem schwarzen Tannen-
walde, rasteten wir bei einer Quelle unter einigen Linden und Platanen, dann
ging es wieder rasch bergab, und als die Sonne dem Untergange nahte, er-
öffneten sich wundervolle Durchsichten auf die am Fuße des Gebirges ausge¬
breitete grüne Wiesenebene und den blauen Meerbusen, während das junge
Laub der Buchenwälder entzückenden Duft ausathmete, als ob Here mit ihrem
ambrosischen Oel sich halbe, wobei, wie Homer berichtet, Wohlgeruch Himmel
und Erde erfüllte.

Es war bereits ganz finster, als ich den Anfang der Ebene und das
Ziel meiner heutigen Wanderung erreichte. Diesmal beschloß ich es durchzu¬
setzen, im Freien zu übernachten, und ließ mich am Rande eines Waldes, un¬
weit des dicht am Fuße des Gebirges liegenden Dorfes Leftokaria häuslich
nieder. Doch auch diesmal suchte Gastfreundschaft mich auf. Es erschien ein
Mann, der sich als den Feldhüter des Ortes zu erkennen gab, und mich freund¬
lichst einlud, in sein Haus zu kommen. Doch es war so angenehm warm,
und der Ort auf der Wiese, wo ich mich niedergelassen, so anmuthig, daß ich
diesmal das Anerbieten entschieden ablehnte. Der Mann ging darauf fort,
und als ich mit meinen Decken mich zum Nachtquartier eingerichtet, auch ein
Feuer angezündet hatte, begann ich beim Schein meiner Laterne mein Tagebuch
zu schreiben. saccharo bedauerte, daß er der Kunst des Schreibens nicht
mächtig sei, und sagte: „Auch ich sollte in meiner Kindheit etwas lernen, aber
da wurde unser Dorf von den Türken verwüstet, die Männer ermordet, und
es war Niemand mehr da, der mich hätte unterrichten lassen. Bald darauf
kehrte jener gute Mann, der Feldhüter — er hieß Theocharis — zurück, und
brachte mir einen Teller mit einem schönen großen Speckeierkuchen, den er
mich, da ich nicht in sein Haus kommen wollte, hier zu verzehren ersuchte.
Das war ein ganz angenehmer Zuwachs zu meinem Proviant; es wurde nun
Thee bereitet, und bei dem Feuer unterhielten wir uns, bis die Müdigkeit ihr
Recht behauptete und mich auf mein Lager niederstreckte. Der Feldhüter sagte
nun, es sei zwar eben nichts zu befürchten hier, aber besser sei besser, er werde
seinen Mantel holen und auch hier draußen schlafen, um mir Gesellschaft zu
leisten. So geschah es denn. Nach einigen Stunden erwachte ich, und da
das Feuer verlöschen wollte, ging ich in den Wald, um ihm neue Nahrung zu
holen. Die Nachtigallen schlugen in dem Dickicht der Hainbuchen unablässig;
es war eine wunderschöne Nacht, die mehr zum Wachen als zum Schlafen
einlud, und fast zu früh erschien mir die jenseit des Meeres emporsteigende
Morgenröthe. Theocharis erhob sich, um ein Tschibuk zu rauchen, Saccharos


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139575"/>
          <p xml:id="ID_790" prev="#ID_789"> sehr schroff gegen die sich unter ihm ausbreitende Ebene abfällt, wodurch er<lb/>
sich auffallend von dem südlichen AbHange unterscheidet, der allmälig in die<lb/>
Ebene von Larissa übergeht. &#x2014; Am Mittage, noch in dem schwarzen Tannen-<lb/>
walde, rasteten wir bei einer Quelle unter einigen Linden und Platanen, dann<lb/>
ging es wieder rasch bergab, und als die Sonne dem Untergange nahte, er-<lb/>
öffneten sich wundervolle Durchsichten auf die am Fuße des Gebirges ausge¬<lb/>
breitete grüne Wiesenebene und den blauen Meerbusen, während das junge<lb/>
Laub der Buchenwälder entzückenden Duft ausathmete, als ob Here mit ihrem<lb/>
ambrosischen Oel sich halbe, wobei, wie Homer berichtet, Wohlgeruch Himmel<lb/>
und Erde erfüllte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_791" next="#ID_792"> Es war bereits ganz finster, als ich den Anfang der Ebene und das<lb/>
Ziel meiner heutigen Wanderung erreichte. Diesmal beschloß ich es durchzu¬<lb/>
setzen, im Freien zu übernachten, und ließ mich am Rande eines Waldes, un¬<lb/>
weit des dicht am Fuße des Gebirges liegenden Dorfes Leftokaria häuslich<lb/>
nieder. Doch auch diesmal suchte Gastfreundschaft mich auf. Es erschien ein<lb/>
Mann, der sich als den Feldhüter des Ortes zu erkennen gab, und mich freund¬<lb/>
lichst einlud, in sein Haus zu kommen. Doch es war so angenehm warm,<lb/>
und der Ort auf der Wiese, wo ich mich niedergelassen, so anmuthig, daß ich<lb/>
diesmal das Anerbieten entschieden ablehnte. Der Mann ging darauf fort,<lb/>
und als ich mit meinen Decken mich zum Nachtquartier eingerichtet, auch ein<lb/>
Feuer angezündet hatte, begann ich beim Schein meiner Laterne mein Tagebuch<lb/>
zu schreiben. saccharo bedauerte, daß er der Kunst des Schreibens nicht<lb/>
mächtig sei, und sagte: &#x201E;Auch ich sollte in meiner Kindheit etwas lernen, aber<lb/>
da wurde unser Dorf von den Türken verwüstet, die Männer ermordet, und<lb/>
es war Niemand mehr da, der mich hätte unterrichten lassen. Bald darauf<lb/>
kehrte jener gute Mann, der Feldhüter &#x2014; er hieß Theocharis &#x2014; zurück, und<lb/>
brachte mir einen Teller mit einem schönen großen Speckeierkuchen, den er<lb/>
mich, da ich nicht in sein Haus kommen wollte, hier zu verzehren ersuchte.<lb/>
Das war ein ganz angenehmer Zuwachs zu meinem Proviant; es wurde nun<lb/>
Thee bereitet, und bei dem Feuer unterhielten wir uns, bis die Müdigkeit ihr<lb/>
Recht behauptete und mich auf mein Lager niederstreckte. Der Feldhüter sagte<lb/>
nun, es sei zwar eben nichts zu befürchten hier, aber besser sei besser, er werde<lb/>
seinen Mantel holen und auch hier draußen schlafen, um mir Gesellschaft zu<lb/>
leisten. So geschah es denn. Nach einigen Stunden erwachte ich, und da<lb/>
das Feuer verlöschen wollte, ging ich in den Wald, um ihm neue Nahrung zu<lb/>
holen. Die Nachtigallen schlugen in dem Dickicht der Hainbuchen unablässig;<lb/>
es war eine wunderschöne Nacht, die mehr zum Wachen als zum Schlafen<lb/>
einlud, und fast zu früh erschien mir die jenseit des Meeres emporsteigende<lb/>
Morgenröthe. Theocharis erhob sich, um ein Tschibuk zu rauchen, Saccharos</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0282] sehr schroff gegen die sich unter ihm ausbreitende Ebene abfällt, wodurch er sich auffallend von dem südlichen AbHange unterscheidet, der allmälig in die Ebene von Larissa übergeht. — Am Mittage, noch in dem schwarzen Tannen- walde, rasteten wir bei einer Quelle unter einigen Linden und Platanen, dann ging es wieder rasch bergab, und als die Sonne dem Untergange nahte, er- öffneten sich wundervolle Durchsichten auf die am Fuße des Gebirges ausge¬ breitete grüne Wiesenebene und den blauen Meerbusen, während das junge Laub der Buchenwälder entzückenden Duft ausathmete, als ob Here mit ihrem ambrosischen Oel sich halbe, wobei, wie Homer berichtet, Wohlgeruch Himmel und Erde erfüllte. Es war bereits ganz finster, als ich den Anfang der Ebene und das Ziel meiner heutigen Wanderung erreichte. Diesmal beschloß ich es durchzu¬ setzen, im Freien zu übernachten, und ließ mich am Rande eines Waldes, un¬ weit des dicht am Fuße des Gebirges liegenden Dorfes Leftokaria häuslich nieder. Doch auch diesmal suchte Gastfreundschaft mich auf. Es erschien ein Mann, der sich als den Feldhüter des Ortes zu erkennen gab, und mich freund¬ lichst einlud, in sein Haus zu kommen. Doch es war so angenehm warm, und der Ort auf der Wiese, wo ich mich niedergelassen, so anmuthig, daß ich diesmal das Anerbieten entschieden ablehnte. Der Mann ging darauf fort, und als ich mit meinen Decken mich zum Nachtquartier eingerichtet, auch ein Feuer angezündet hatte, begann ich beim Schein meiner Laterne mein Tagebuch zu schreiben. saccharo bedauerte, daß er der Kunst des Schreibens nicht mächtig sei, und sagte: „Auch ich sollte in meiner Kindheit etwas lernen, aber da wurde unser Dorf von den Türken verwüstet, die Männer ermordet, und es war Niemand mehr da, der mich hätte unterrichten lassen. Bald darauf kehrte jener gute Mann, der Feldhüter — er hieß Theocharis — zurück, und brachte mir einen Teller mit einem schönen großen Speckeierkuchen, den er mich, da ich nicht in sein Haus kommen wollte, hier zu verzehren ersuchte. Das war ein ganz angenehmer Zuwachs zu meinem Proviant; es wurde nun Thee bereitet, und bei dem Feuer unterhielten wir uns, bis die Müdigkeit ihr Recht behauptete und mich auf mein Lager niederstreckte. Der Feldhüter sagte nun, es sei zwar eben nichts zu befürchten hier, aber besser sei besser, er werde seinen Mantel holen und auch hier draußen schlafen, um mir Gesellschaft zu leisten. So geschah es denn. Nach einigen Stunden erwachte ich, und da das Feuer verlöschen wollte, ging ich in den Wald, um ihm neue Nahrung zu holen. Die Nachtigallen schlugen in dem Dickicht der Hainbuchen unablässig; es war eine wunderschöne Nacht, die mehr zum Wachen als zum Schlafen einlud, und fast zu früh erschien mir die jenseit des Meeres emporsteigende Morgenröthe. Theocharis erhob sich, um ein Tschibuk zu rauchen, Saccharos

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/282
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/282>, abgerufen am 20.10.2024.