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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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und ein Tschibuk geraucht, setzten wir uns noch vor Aufgang der Sonne in
Marsch, und kamen gegen Mittag nach Karia zurück. Auf dem Wege dahin
schoß ich ewige rothe Rebhühner, wobei mein Hühnerhund durch seine Geschick-
lichkeit Aufsehen erregte. Ich fragte Nilo, weshalb er sich nicht auch einen
Hund abrichte. "Das hilft uns hier nichts", antwortete er, sobald wir so
etwas haben, kommt der Türke und nimmt es uns; ich hatte einst ein zahmes
Rebhuhn, das ich brauchte, um die wilden zu locken (die dann durch hingelegte
Pferdehaarschlingen sehr leicht sich fangen lassen), doch sobald der Aga davon
erfuhr, eignete er es ohne Weiteres sich zu." Die Rebhühner waren mehr
als um die Hälfte größer als ich sie früher irgendwo gesehen, und man rühmte
mir nun wieder die ausgezeichnet heilsame und nährende Kraft der Kräuter des
Olymp, welcher man diese Vergrößerung zuschrieb. Sehr zufrieden mit meiner
Wanderung auf den Gipfel, kehrte ich nach Karia zurück, und ich mußte mir
sagen, daß die Schönheit der Gegenden, die ich gesehen, dem Geschmack der
alten Götter alle Ehre mache, da sie diese sich vorzugsweise zum Wohnplatz
ausgesucht.

Ich machte nun Anstalt zur Abreise, obgleich man mir in Karia eifrig
zuredete, doch länger zu verweilen, ja zu verweilen bis zum August, und dann
abermals nach den Gipfeln des Olymp hinaufzusteigen. Sie sagten: "Dann
findet man dort oben sicher stets einen heiteren Himmel, und nur die Schluchten
sind noch mit Schnee gefüllt: zu dieser Zeit, wo die glühende Sommerhitze
Wiesen und Felder in den niedrigeren Gegenden ausdorrt, beginnt hier ein
zweiter Frühling, indem sanfte Wärme in reicher Fülle junge Kräuter hervor¬
lockt, die unbeschreiblichen Wohlgeruch aushauchen: dann ziehen die Hirten
der Umgegend sammt Frauen und Kindern mit ihrem Vieh auf die Weide¬
plätze zwischen den höchsten Gipfeln des Olymp, und das Leben, welches dann
dort oben geführt wird, ist über alle Begriffe heiter und glückselig."

Doch meines Bleibens war nun nicht länger hier, und ich brach noch
an demselben Tage von Karia auf, um den Rückweg nach Thessalonich anzu¬
treten. Nachdem ich von meinen wohlwollenden, gemüthlichen Gastfreunden
herzlichen Abschied genommen, war ich nun wieder allein mit Saccharos.
Mein Weg führte mich in östlicher Richtung zunächst durch ein reizendes, tief
eingeschnittenes waldiges Felsenthal, in welchem einige Stunden von Karia an
sehr romantischer Stelle ein altes byzantinisches Kloster liegt. Im oberen
Theile des Thales herrscht die Tanne, weiter unten sind schöne dichte Wälder
von Weißbuchen, die oft lange Strecken weit, über dem Wege laubenartig zu¬
sammengewachsen sind, so daß man, ohne sich zu bücken, unter ihnen hinreiten
kann. Gegen den Fuß des Gebirges wurde der Weg sehr steil abschüssig, wie
denn überhaupt der östliche Abhang des Olymp, auf dem ich mich jetzt befand,


Grenzboten I. 1S73. SS

und ein Tschibuk geraucht, setzten wir uns noch vor Aufgang der Sonne in
Marsch, und kamen gegen Mittag nach Karia zurück. Auf dem Wege dahin
schoß ich ewige rothe Rebhühner, wobei mein Hühnerhund durch seine Geschick-
lichkeit Aufsehen erregte. Ich fragte Nilo, weshalb er sich nicht auch einen
Hund abrichte. „Das hilft uns hier nichts", antwortete er, sobald wir so
etwas haben, kommt der Türke und nimmt es uns; ich hatte einst ein zahmes
Rebhuhn, das ich brauchte, um die wilden zu locken (die dann durch hingelegte
Pferdehaarschlingen sehr leicht sich fangen lassen), doch sobald der Aga davon
erfuhr, eignete er es ohne Weiteres sich zu." Die Rebhühner waren mehr
als um die Hälfte größer als ich sie früher irgendwo gesehen, und man rühmte
mir nun wieder die ausgezeichnet heilsame und nährende Kraft der Kräuter des
Olymp, welcher man diese Vergrößerung zuschrieb. Sehr zufrieden mit meiner
Wanderung auf den Gipfel, kehrte ich nach Karia zurück, und ich mußte mir
sagen, daß die Schönheit der Gegenden, die ich gesehen, dem Geschmack der
alten Götter alle Ehre mache, da sie diese sich vorzugsweise zum Wohnplatz
ausgesucht.

Ich machte nun Anstalt zur Abreise, obgleich man mir in Karia eifrig
zuredete, doch länger zu verweilen, ja zu verweilen bis zum August, und dann
abermals nach den Gipfeln des Olymp hinaufzusteigen. Sie sagten: „Dann
findet man dort oben sicher stets einen heiteren Himmel, und nur die Schluchten
sind noch mit Schnee gefüllt: zu dieser Zeit, wo die glühende Sommerhitze
Wiesen und Felder in den niedrigeren Gegenden ausdorrt, beginnt hier ein
zweiter Frühling, indem sanfte Wärme in reicher Fülle junge Kräuter hervor¬
lockt, die unbeschreiblichen Wohlgeruch aushauchen: dann ziehen die Hirten
der Umgegend sammt Frauen und Kindern mit ihrem Vieh auf die Weide¬
plätze zwischen den höchsten Gipfeln des Olymp, und das Leben, welches dann
dort oben geführt wird, ist über alle Begriffe heiter und glückselig."

Doch meines Bleibens war nun nicht länger hier, und ich brach noch
an demselben Tage von Karia auf, um den Rückweg nach Thessalonich anzu¬
treten. Nachdem ich von meinen wohlwollenden, gemüthlichen Gastfreunden
herzlichen Abschied genommen, war ich nun wieder allein mit Saccharos.
Mein Weg führte mich in östlicher Richtung zunächst durch ein reizendes, tief
eingeschnittenes waldiges Felsenthal, in welchem einige Stunden von Karia an
sehr romantischer Stelle ein altes byzantinisches Kloster liegt. Im oberen
Theile des Thales herrscht die Tanne, weiter unten sind schöne dichte Wälder
von Weißbuchen, die oft lange Strecken weit, über dem Wege laubenartig zu¬
sammengewachsen sind, so daß man, ohne sich zu bücken, unter ihnen hinreiten
kann. Gegen den Fuß des Gebirges wurde der Weg sehr steil abschüssig, wie
denn überhaupt der östliche Abhang des Olymp, auf dem ich mich jetzt befand,


Grenzboten I. 1S73. SS
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/281>, abgerufen am 27.09.2024.