Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

möchte, er wolle zu dem Pferde zurückkehren, um mit diesem und Dimitri
nach einem Orte, dessen Lage er mir beschrieb, mir entgegen zu kommen. Ich
nahm diesen Vorschlag an und wir trennten uns. Bald verlor ich ihn aus
dem Gesichte, und war nun ganz allein in dieser tiefen Einöde. Ich fühlte
mich, obgleich des Bergsteigens in hohem Maße gewohnt, sehr ermüdet, nament¬
lich waren die Kniee von dem langen Abwärtsgehen angegriffen, und die Füße
wollten gar nicht mehr fort. Von dem einen Schuh war durch das unglaub¬
lich spitzige Gestein die Sohle zur Hälfte ganz weggefressen und ich mußte
beinahe barfuß über das Geröll wandern. Doch hatte ich den besten Muth.
Als ich endlich bei der kleinen Wiese angekommen war, suchte ich nach frischen
Spuren von Hochwild, denn der Jäger hatte mir gesagt, wenn ich diese fände,
so sei es wahrscheinlich, daß auch heute Abend hier solches sich einfinden werde,
wenn aber nicht, fo sei es unnütz, mich dort lange aufzuhalten. Die Spuren
fand ich nun zwar nicht, doch setzte ich mich hinter einen Felsenvorsprung, und
lauerte eine Zeit lang, indem ich mich ausruhte. Bald sah ich in nicht gar
weiter Entfernung, doch außer Schußweite, sechs der sogenannten wilden Ziegen,
die ruhig weideten. Ich hoffte, sie würden näher kommen, doch sie entfernten
sich allmülig immer mehr; ich schlich ihnen nach und mußte endlich aus zu
weiter Entfernung schießen. Dennoch fiel ans meine zweite Kugel eine von
ihnen nieder, raffte sich aber sogleich wieder auf und nahm mit den übrigen
eiligst den Weg in das höhere Gebirge. Fast hätte ich mich durch die Jagd¬
lust trotz meiner Abgemattetheit verleiten lassen sie zu verfolgen, doch mein zeris-
sener Schuh hinderte mich sehr, auch war es schon beinahe finster, und so hielt
ich es denn doch für vernünftiger, meinen Rückweg fortzusetzen.

An der bezeichneten Stelle fand ich den Jäger und Dimitri, und bestieg
nun mit großem Wohlbehagen mein Roß. Unseren früheren Plan, in dem
Tannenwalde Quartier zu nehmen, gaben wir, der Einsamkeit überdrüssig, auf,
und zogen es vor, in einer Mantra, d. h. einem Orte, wo Hirten mit ihrem
Vieh im Freien wohnen, -- ihre Gerätschaften rings an einigen Bäumen
aufgehängt --, zu Übermächte". Hier fanden wir nnn zwar an gut gelaunten
Ziegenhirten Gesellschaft, auch Milch und Käse in Ueberfluß, aber großen
Mangel an Brennholz, so daß ich mich bei unserem überaus spärlichen Feuer
die ganze Nacht nach dem nun nicht mehr erreichbaren Tannenwalde und
seinem Holzreichthum sehnte. An dein kahlen Wiesenplatze war nicht einmal
ein Busch oder ein Felsen, hinter dem man sich vor dein eisig sausenden Nacht-
Winde hätte bergen können, und ich schätzte mich daher glücklich, als von der
erscheinenden Morgenröthe die herannahende Wärme des Tages verkündet
ward. Ich ließ nun Kaffee kochen, und nachdem ich ihn, gewürzt dnrch vor¬
treffliche Ziegenmilch, bei dem Nest unseres verglimmenden Feuers genossen


möchte, er wolle zu dem Pferde zurückkehren, um mit diesem und Dimitri
nach einem Orte, dessen Lage er mir beschrieb, mir entgegen zu kommen. Ich
nahm diesen Vorschlag an und wir trennten uns. Bald verlor ich ihn aus
dem Gesichte, und war nun ganz allein in dieser tiefen Einöde. Ich fühlte
mich, obgleich des Bergsteigens in hohem Maße gewohnt, sehr ermüdet, nament¬
lich waren die Kniee von dem langen Abwärtsgehen angegriffen, und die Füße
wollten gar nicht mehr fort. Von dem einen Schuh war durch das unglaub¬
lich spitzige Gestein die Sohle zur Hälfte ganz weggefressen und ich mußte
beinahe barfuß über das Geröll wandern. Doch hatte ich den besten Muth.
Als ich endlich bei der kleinen Wiese angekommen war, suchte ich nach frischen
Spuren von Hochwild, denn der Jäger hatte mir gesagt, wenn ich diese fände,
so sei es wahrscheinlich, daß auch heute Abend hier solches sich einfinden werde,
wenn aber nicht, fo sei es unnütz, mich dort lange aufzuhalten. Die Spuren
fand ich nun zwar nicht, doch setzte ich mich hinter einen Felsenvorsprung, und
lauerte eine Zeit lang, indem ich mich ausruhte. Bald sah ich in nicht gar
weiter Entfernung, doch außer Schußweite, sechs der sogenannten wilden Ziegen,
die ruhig weideten. Ich hoffte, sie würden näher kommen, doch sie entfernten
sich allmülig immer mehr; ich schlich ihnen nach und mußte endlich aus zu
weiter Entfernung schießen. Dennoch fiel ans meine zweite Kugel eine von
ihnen nieder, raffte sich aber sogleich wieder auf und nahm mit den übrigen
eiligst den Weg in das höhere Gebirge. Fast hätte ich mich durch die Jagd¬
lust trotz meiner Abgemattetheit verleiten lassen sie zu verfolgen, doch mein zeris-
sener Schuh hinderte mich sehr, auch war es schon beinahe finster, und so hielt
ich es denn doch für vernünftiger, meinen Rückweg fortzusetzen.

An der bezeichneten Stelle fand ich den Jäger und Dimitri, und bestieg
nun mit großem Wohlbehagen mein Roß. Unseren früheren Plan, in dem
Tannenwalde Quartier zu nehmen, gaben wir, der Einsamkeit überdrüssig, auf,
und zogen es vor, in einer Mantra, d. h. einem Orte, wo Hirten mit ihrem
Vieh im Freien wohnen, — ihre Gerätschaften rings an einigen Bäumen
aufgehängt —, zu Übermächte«. Hier fanden wir nnn zwar an gut gelaunten
Ziegenhirten Gesellschaft, auch Milch und Käse in Ueberfluß, aber großen
Mangel an Brennholz, so daß ich mich bei unserem überaus spärlichen Feuer
die ganze Nacht nach dem nun nicht mehr erreichbaren Tannenwalde und
seinem Holzreichthum sehnte. An dein kahlen Wiesenplatze war nicht einmal
ein Busch oder ein Felsen, hinter dem man sich vor dein eisig sausenden Nacht-
Winde hätte bergen können, und ich schätzte mich daher glücklich, als von der
erscheinenden Morgenröthe die herannahende Wärme des Tages verkündet
ward. Ich ließ nun Kaffee kochen, und nachdem ich ihn, gewürzt dnrch vor¬
treffliche Ziegenmilch, bei dem Nest unseres verglimmenden Feuers genossen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0280" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139573"/>
          <p xml:id="ID_785" prev="#ID_784"> möchte, er wolle zu dem Pferde zurückkehren, um mit diesem und Dimitri<lb/>
nach einem Orte, dessen Lage er mir beschrieb, mir entgegen zu kommen. Ich<lb/>
nahm diesen Vorschlag an und wir trennten uns. Bald verlor ich ihn aus<lb/>
dem Gesichte, und war nun ganz allein in dieser tiefen Einöde. Ich fühlte<lb/>
mich, obgleich des Bergsteigens in hohem Maße gewohnt, sehr ermüdet, nament¬<lb/>
lich waren die Kniee von dem langen Abwärtsgehen angegriffen, und die Füße<lb/>
wollten gar nicht mehr fort. Von dem einen Schuh war durch das unglaub¬<lb/>
lich spitzige Gestein die Sohle zur Hälfte ganz weggefressen und ich mußte<lb/>
beinahe barfuß über das Geröll wandern. Doch hatte ich den besten Muth.<lb/>
Als ich endlich bei der kleinen Wiese angekommen war, suchte ich nach frischen<lb/>
Spuren von Hochwild, denn der Jäger hatte mir gesagt, wenn ich diese fände,<lb/>
so sei es wahrscheinlich, daß auch heute Abend hier solches sich einfinden werde,<lb/>
wenn aber nicht, fo sei es unnütz, mich dort lange aufzuhalten. Die Spuren<lb/>
fand ich nun zwar nicht, doch setzte ich mich hinter einen Felsenvorsprung, und<lb/>
lauerte eine Zeit lang, indem ich mich ausruhte. Bald sah ich in nicht gar<lb/>
weiter Entfernung, doch außer Schußweite, sechs der sogenannten wilden Ziegen,<lb/>
die ruhig weideten. Ich hoffte, sie würden näher kommen, doch sie entfernten<lb/>
sich allmülig immer mehr; ich schlich ihnen nach und mußte endlich aus zu<lb/>
weiter Entfernung schießen. Dennoch fiel ans meine zweite Kugel eine von<lb/>
ihnen nieder, raffte sich aber sogleich wieder auf und nahm mit den übrigen<lb/>
eiligst den Weg in das höhere Gebirge. Fast hätte ich mich durch die Jagd¬<lb/>
lust trotz meiner Abgemattetheit verleiten lassen sie zu verfolgen, doch mein zeris-<lb/>
sener Schuh hinderte mich sehr, auch war es schon beinahe finster, und so hielt<lb/>
ich es denn doch für vernünftiger, meinen Rückweg fortzusetzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_786" next="#ID_787"> An der bezeichneten Stelle fand ich den Jäger und Dimitri, und bestieg<lb/>
nun mit großem Wohlbehagen mein Roß. Unseren früheren Plan, in dem<lb/>
Tannenwalde Quartier zu nehmen, gaben wir, der Einsamkeit überdrüssig, auf,<lb/>
und zogen es vor, in einer Mantra, d. h. einem Orte, wo Hirten mit ihrem<lb/>
Vieh im Freien wohnen, &#x2014; ihre Gerätschaften rings an einigen Bäumen<lb/>
aufgehängt &#x2014;, zu Übermächte«. Hier fanden wir nnn zwar an gut gelaunten<lb/>
Ziegenhirten Gesellschaft, auch Milch und Käse in Ueberfluß, aber großen<lb/>
Mangel an Brennholz, so daß ich mich bei unserem überaus spärlichen Feuer<lb/>
die ganze Nacht nach dem nun nicht mehr erreichbaren Tannenwalde und<lb/>
seinem Holzreichthum sehnte. An dein kahlen Wiesenplatze war nicht einmal<lb/>
ein Busch oder ein Felsen, hinter dem man sich vor dein eisig sausenden Nacht-<lb/>
Winde hätte bergen können, und ich schätzte mich daher glücklich, als von der<lb/>
erscheinenden Morgenröthe die herannahende Wärme des Tages verkündet<lb/>
ward. Ich ließ nun Kaffee kochen, und nachdem ich ihn, gewürzt dnrch vor¬<lb/>
treffliche Ziegenmilch, bei dem Nest unseres verglimmenden Feuers genossen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0280] möchte, er wolle zu dem Pferde zurückkehren, um mit diesem und Dimitri nach einem Orte, dessen Lage er mir beschrieb, mir entgegen zu kommen. Ich nahm diesen Vorschlag an und wir trennten uns. Bald verlor ich ihn aus dem Gesichte, und war nun ganz allein in dieser tiefen Einöde. Ich fühlte mich, obgleich des Bergsteigens in hohem Maße gewohnt, sehr ermüdet, nament¬ lich waren die Kniee von dem langen Abwärtsgehen angegriffen, und die Füße wollten gar nicht mehr fort. Von dem einen Schuh war durch das unglaub¬ lich spitzige Gestein die Sohle zur Hälfte ganz weggefressen und ich mußte beinahe barfuß über das Geröll wandern. Doch hatte ich den besten Muth. Als ich endlich bei der kleinen Wiese angekommen war, suchte ich nach frischen Spuren von Hochwild, denn der Jäger hatte mir gesagt, wenn ich diese fände, so sei es wahrscheinlich, daß auch heute Abend hier solches sich einfinden werde, wenn aber nicht, fo sei es unnütz, mich dort lange aufzuhalten. Die Spuren fand ich nun zwar nicht, doch setzte ich mich hinter einen Felsenvorsprung, und lauerte eine Zeit lang, indem ich mich ausruhte. Bald sah ich in nicht gar weiter Entfernung, doch außer Schußweite, sechs der sogenannten wilden Ziegen, die ruhig weideten. Ich hoffte, sie würden näher kommen, doch sie entfernten sich allmülig immer mehr; ich schlich ihnen nach und mußte endlich aus zu weiter Entfernung schießen. Dennoch fiel ans meine zweite Kugel eine von ihnen nieder, raffte sich aber sogleich wieder auf und nahm mit den übrigen eiligst den Weg in das höhere Gebirge. Fast hätte ich mich durch die Jagd¬ lust trotz meiner Abgemattetheit verleiten lassen sie zu verfolgen, doch mein zeris- sener Schuh hinderte mich sehr, auch war es schon beinahe finster, und so hielt ich es denn doch für vernünftiger, meinen Rückweg fortzusetzen. An der bezeichneten Stelle fand ich den Jäger und Dimitri, und bestieg nun mit großem Wohlbehagen mein Roß. Unseren früheren Plan, in dem Tannenwalde Quartier zu nehmen, gaben wir, der Einsamkeit überdrüssig, auf, und zogen es vor, in einer Mantra, d. h. einem Orte, wo Hirten mit ihrem Vieh im Freien wohnen, — ihre Gerätschaften rings an einigen Bäumen aufgehängt —, zu Übermächte«. Hier fanden wir nnn zwar an gut gelaunten Ziegenhirten Gesellschaft, auch Milch und Käse in Ueberfluß, aber großen Mangel an Brennholz, so daß ich mich bei unserem überaus spärlichen Feuer die ganze Nacht nach dem nun nicht mehr erreichbaren Tannenwalde und seinem Holzreichthum sehnte. An dein kahlen Wiesenplatze war nicht einmal ein Busch oder ein Felsen, hinter dem man sich vor dein eisig sausenden Nacht- Winde hätte bergen können, und ich schätzte mich daher glücklich, als von der erscheinenden Morgenröthe die herannahende Wärme des Tages verkündet ward. Ich ließ nun Kaffee kochen, und nachdem ich ihn, gewürzt dnrch vor¬ treffliche Ziegenmilch, bei dem Nest unseres verglimmenden Feuers genossen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/280
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/280>, abgerufen am 27.09.2024.