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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Anblick aus der Ferne und ihrem Gehörn zu urtheilen, das man mir in Karia
zeigte, sind sie nichts anderes, als Gemsen. Ich bemühte mich eine Zeit lang
umsonst, diese Heerde zu sehen -- weil ich an den Anblick nicht gewöhnt war,
während meine Begleiter sogar die jungen Zicklein zu bemerken behaupteten,
doch bald darauf sah ich sie so gut wie meine Leute.

Das weitere Steigen ging ununterbrochen steil sort, so daß es mich denn
endlich doch sehr ermüdete. Zuweilen mußten wir über weite mit hohem
Schnee bedeckte Abhänge schreiten, die sich steil bis in ungeheure Tiefen hinab¬
zogen: ein Ausglitschen und Hallen wäre hier höchst gefährlich und leicht
tödtlich gewesen, da man unwiderstehlich dem Abgrunde zngleiten würde. Der
Jäger bediente sich der Fußstapfen meiner breitsohligen Jagdschuhe, und be¬
hauptete, daß er ohne diese hier nicht würde gehen können, den er trug jene
primitive griechische Fußbekleidung (r"5"x<>"Xtc- genannt), die aus einem ein¬
zigen, rings um den Fuß aufgeschlagenen und dann mit dünnen Riemen fest¬
gebundenen Stück wilder Schweinshaut besteht. Für felsige Wege ist diese
sehr geeignet, doch auf schlüpfrigen Schneeabhängen durchaus nicht brauchbar.
Nilo war übrigens in so früher Jahreszeit noch nie hier oben gewesen.

Als wir die Schneeabhänge überschritten, erhob sich der Boden nur noch
in sanftem Ansteigen bis zum nahen Gipfel Jtchuma. Die Berge sind hier
oben ganz kahl -- kein Strauch, kein vorspringender Fels zum Schutz gegen
die Witterung. Der Jäger sagte: "Wehe dem, welchen hier ein Unwetter
überfällt! Der Sturm ist zuweilen so heftig, daß er die Menschen von der
Erde aufhebt, und man kann von Glück sagen, wenn man nicht von dem in
faustgroßen Stücken herabschmetternden Hagel erschlagen wird."

, Endlich ans dem Gipfel angelangt, entbehrte ich zwar einer weiten
ungetrübten Aussicht in die Ferne, denn dem wolkensammelnden Zeus beliebte
es, uns mit dunklem Nebel und Schneegestöber zu umgeben, oder die Nebel
zerreißend uns immer nur beschränkte Bilder zu vergönnen: aber dieses Wet¬
ter, bei welchem ein mächtiger Zephyros die Wolken hier und her trieb, war
fast interessanter als ein ganz Heller reiner Himmel hätte sein können. Kolos¬
sale groteske Wolkengestalten brausten durch Thäler, über Gipfel hin, Nebel¬
nacht umhüllte uus -- dann plötzliche Himmelsheitere, ein Erscheinen des
fernen blauen Meeres, der weißen Spitzen des Ossa, Pelion, Pindus, ein
glühender Sonnenblick, von weiten Schneefeldern blendend zurückgeworfen,
dann wieder von wüthendem Sturm herangepeitschter Wolken Schnee und Hagel.
-- Nach und nach gewannen wir die Ansicht von vielen Schneefeldern und
dunklen Schluchten, so wie von einer großen Zahl von Gipfeln des Olymp
(man zählt 70), die durch zwischen ihnen liegende kesselförmige Thäler getrennt
werden, theils abgerundet, theils als zackige Felsen sich erhebend. Auf einem


Anblick aus der Ferne und ihrem Gehörn zu urtheilen, das man mir in Karia
zeigte, sind sie nichts anderes, als Gemsen. Ich bemühte mich eine Zeit lang
umsonst, diese Heerde zu sehen — weil ich an den Anblick nicht gewöhnt war,
während meine Begleiter sogar die jungen Zicklein zu bemerken behaupteten,
doch bald darauf sah ich sie so gut wie meine Leute.

Das weitere Steigen ging ununterbrochen steil sort, so daß es mich denn
endlich doch sehr ermüdete. Zuweilen mußten wir über weite mit hohem
Schnee bedeckte Abhänge schreiten, die sich steil bis in ungeheure Tiefen hinab¬
zogen: ein Ausglitschen und Hallen wäre hier höchst gefährlich und leicht
tödtlich gewesen, da man unwiderstehlich dem Abgrunde zngleiten würde. Der
Jäger bediente sich der Fußstapfen meiner breitsohligen Jagdschuhe, und be¬
hauptete, daß er ohne diese hier nicht würde gehen können, den er trug jene
primitive griechische Fußbekleidung (r«5«x<>"Xtc- genannt), die aus einem ein¬
zigen, rings um den Fuß aufgeschlagenen und dann mit dünnen Riemen fest¬
gebundenen Stück wilder Schweinshaut besteht. Für felsige Wege ist diese
sehr geeignet, doch auf schlüpfrigen Schneeabhängen durchaus nicht brauchbar.
Nilo war übrigens in so früher Jahreszeit noch nie hier oben gewesen.

Als wir die Schneeabhänge überschritten, erhob sich der Boden nur noch
in sanftem Ansteigen bis zum nahen Gipfel Jtchuma. Die Berge sind hier
oben ganz kahl — kein Strauch, kein vorspringender Fels zum Schutz gegen
die Witterung. Der Jäger sagte: „Wehe dem, welchen hier ein Unwetter
überfällt! Der Sturm ist zuweilen so heftig, daß er die Menschen von der
Erde aufhebt, und man kann von Glück sagen, wenn man nicht von dem in
faustgroßen Stücken herabschmetternden Hagel erschlagen wird."

, Endlich ans dem Gipfel angelangt, entbehrte ich zwar einer weiten
ungetrübten Aussicht in die Ferne, denn dem wolkensammelnden Zeus beliebte
es, uns mit dunklem Nebel und Schneegestöber zu umgeben, oder die Nebel
zerreißend uns immer nur beschränkte Bilder zu vergönnen: aber dieses Wet¬
ter, bei welchem ein mächtiger Zephyros die Wolken hier und her trieb, war
fast interessanter als ein ganz Heller reiner Himmel hätte sein können. Kolos¬
sale groteske Wolkengestalten brausten durch Thäler, über Gipfel hin, Nebel¬
nacht umhüllte uus — dann plötzliche Himmelsheitere, ein Erscheinen des
fernen blauen Meeres, der weißen Spitzen des Ossa, Pelion, Pindus, ein
glühender Sonnenblick, von weiten Schneefeldern blendend zurückgeworfen,
dann wieder von wüthendem Sturm herangepeitschter Wolken Schnee und Hagel.
— Nach und nach gewannen wir die Ansicht von vielen Schneefeldern und
dunklen Schluchten, so wie von einer großen Zahl von Gipfeln des Olymp
(man zählt 70), die durch zwischen ihnen liegende kesselförmige Thäler getrennt
werden, theils abgerundet, theils als zackige Felsen sich erhebend. Auf einem


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[0278] Anblick aus der Ferne und ihrem Gehörn zu urtheilen, das man mir in Karia zeigte, sind sie nichts anderes, als Gemsen. Ich bemühte mich eine Zeit lang umsonst, diese Heerde zu sehen — weil ich an den Anblick nicht gewöhnt war, während meine Begleiter sogar die jungen Zicklein zu bemerken behaupteten, doch bald darauf sah ich sie so gut wie meine Leute. Das weitere Steigen ging ununterbrochen steil sort, so daß es mich denn endlich doch sehr ermüdete. Zuweilen mußten wir über weite mit hohem Schnee bedeckte Abhänge schreiten, die sich steil bis in ungeheure Tiefen hinab¬ zogen: ein Ausglitschen und Hallen wäre hier höchst gefährlich und leicht tödtlich gewesen, da man unwiderstehlich dem Abgrunde zngleiten würde. Der Jäger bediente sich der Fußstapfen meiner breitsohligen Jagdschuhe, und be¬ hauptete, daß er ohne diese hier nicht würde gehen können, den er trug jene primitive griechische Fußbekleidung (r«5«x<>"Xtc- genannt), die aus einem ein¬ zigen, rings um den Fuß aufgeschlagenen und dann mit dünnen Riemen fest¬ gebundenen Stück wilder Schweinshaut besteht. Für felsige Wege ist diese sehr geeignet, doch auf schlüpfrigen Schneeabhängen durchaus nicht brauchbar. Nilo war übrigens in so früher Jahreszeit noch nie hier oben gewesen. Als wir die Schneeabhänge überschritten, erhob sich der Boden nur noch in sanftem Ansteigen bis zum nahen Gipfel Jtchuma. Die Berge sind hier oben ganz kahl — kein Strauch, kein vorspringender Fels zum Schutz gegen die Witterung. Der Jäger sagte: „Wehe dem, welchen hier ein Unwetter überfällt! Der Sturm ist zuweilen so heftig, daß er die Menschen von der Erde aufhebt, und man kann von Glück sagen, wenn man nicht von dem in faustgroßen Stücken herabschmetternden Hagel erschlagen wird." , Endlich ans dem Gipfel angelangt, entbehrte ich zwar einer weiten ungetrübten Aussicht in die Ferne, denn dem wolkensammelnden Zeus beliebte es, uns mit dunklem Nebel und Schneegestöber zu umgeben, oder die Nebel zerreißend uns immer nur beschränkte Bilder zu vergönnen: aber dieses Wet¬ ter, bei welchem ein mächtiger Zephyros die Wolken hier und her trieb, war fast interessanter als ein ganz Heller reiner Himmel hätte sein können. Kolos¬ sale groteske Wolkengestalten brausten durch Thäler, über Gipfel hin, Nebel¬ nacht umhüllte uus — dann plötzliche Himmelsheitere, ein Erscheinen des fernen blauen Meeres, der weißen Spitzen des Ossa, Pelion, Pindus, ein glühender Sonnenblick, von weiten Schneefeldern blendend zurückgeworfen, dann wieder von wüthendem Sturm herangepeitschter Wolken Schnee und Hagel. — Nach und nach gewannen wir die Ansicht von vielen Schneefeldern und dunklen Schluchten, so wie von einer großen Zahl von Gipfeln des Olymp (man zählt 70), die durch zwischen ihnen liegende kesselförmige Thäler getrennt werden, theils abgerundet, theils als zackige Felsen sich erhebend. Auf einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/278>, abgerufen am 27.09.2024.