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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Vom Rande?" -- "Es muß schön sein im Lande der Franken", rief die Fran
des Dimitri ans, laßt uns dahin ziehen, einen Tag dort leben und dann
sterben!" -- "Ich hatte einmal den Plan gefaßt", sagte der Hausherr, "von
hier auszuwandern, aber gerade an dem Abend wo ich aufbrechen wollte und
all mein Vieh und alles Uebrige bereit hatte, war den Türken davon Kund¬
schaft gebracht, und sie kamen und hinderten mich, so daß ich bleiben mußte."

Am Morgen des folgenden Tages machte ich mich mit einem Führer,
und einem Jäger, Namens Nilo, der für den besten Jäger des Dorfes Karia
galt, auf den Weg, den Gipfel des Olymp zu besteigen. Dem Rathe des
Jägers folgend, nahmen wir ein Pferd mit -- Saecharos weidete indessen die
seinigen in dem fetten Grase unter den Silberpappeln -- das Misere Mäntel
und Eßwaaren trug, denn Nilo hatte nach einiger Ueberlegung mit meinem
Wirth gesagt: "Ich halte das Pferd für durchaus nothwendig: wo sollen wir
etwas hernehmen uns in der Nacht zu bedecken" (denn die Partie ließ sich
nicht in einem Tage abmachen), "oder Speise oder Wasser? Oder wenn wir
sollten ein großes Stück Wild erlegen, einen Hirsch, ein Schwein oder wilde
Ziegen, wer trägt dies von dort oben nach Hans?" Der Führer (anch er
hieß Dimitri), sollte nun bis an die Grenze des Tannenwaldes, wo der Weg
aufhörte für das Pferd gangbar zu sein, uns begleiten, und dort mit diesem
mich und den Jäger erwarten, wenn wir gegen Abend wieder herunterstiegen.
Der Wald konnte uns dann reichlich mit Feuerung für die kalte Nacht
versehen.

Nachdem wir einige Vorberge überstiegen, schlugen wir einen außerordentlich
steilen Weg an einer sehr hohen und weit sich ausdehnenden kahlen Bergwand
ein, den wir fast zwei Stunden in einer und derselben Richtung verfolgten, und
der nicht minder durch seine Einförmigkeit, wie durch seine Steilheit beschwerlich
fiel. In einigen kleinen Senkungen lag hier Schnee, und es war mir ein
eigenthünlliches Ergötzen, über diese lange schon nicht mehr in solcher Fülle
gesehene weiße Masse hinznschreiten, und mit ihr meinen Durst zu löschen.
Oberhalb der Bergwand kamen wir auf einen Felsenvorsprung (^/^""^"^ nannte
man den Ort), wo Nur in der Nähe des Tannenwaldes, der in sehr malerischen
Gruppen die Abhänge bedeckte, Dimitri mit dem Pferde und dem Gepäck
zurückließen. Ans dein Vorsprung war gegen Osten eine weite Aussicht über
scharf in kahle Berge eingeschnittene Thäler, und jenseits, ans schroffem Ab¬
Hange, aus tiefen Schneefeldern hervorstarrend, ein schwarzer Tannenwald,
Wie wunderbar berührt ein solches Bild, berührt der eisige Windeshauch, der es
umweht, in diesen Gegenden des Südens ein nordisches Gemüth! Auf einer sehr
entfernten Bergwand entdeckte mein Führer eine Heerde "wilder Ziegen", wie
er sie nannte. Ich habe diese Thiere nie in der Nähe gesehen, doch nach ihrem


Vom Rande?" — „Es muß schön sein im Lande der Franken", rief die Fran
des Dimitri ans, laßt uns dahin ziehen, einen Tag dort leben und dann
sterben!" — „Ich hatte einmal den Plan gefaßt", sagte der Hausherr, „von
hier auszuwandern, aber gerade an dem Abend wo ich aufbrechen wollte und
all mein Vieh und alles Uebrige bereit hatte, war den Türken davon Kund¬
schaft gebracht, und sie kamen und hinderten mich, so daß ich bleiben mußte."

Am Morgen des folgenden Tages machte ich mich mit einem Führer,
und einem Jäger, Namens Nilo, der für den besten Jäger des Dorfes Karia
galt, auf den Weg, den Gipfel des Olymp zu besteigen. Dem Rathe des
Jägers folgend, nahmen wir ein Pferd mit — Saecharos weidete indessen die
seinigen in dem fetten Grase unter den Silberpappeln — das Misere Mäntel
und Eßwaaren trug, denn Nilo hatte nach einiger Ueberlegung mit meinem
Wirth gesagt: „Ich halte das Pferd für durchaus nothwendig: wo sollen wir
etwas hernehmen uns in der Nacht zu bedecken" (denn die Partie ließ sich
nicht in einem Tage abmachen), „oder Speise oder Wasser? Oder wenn wir
sollten ein großes Stück Wild erlegen, einen Hirsch, ein Schwein oder wilde
Ziegen, wer trägt dies von dort oben nach Hans?" Der Führer (anch er
hieß Dimitri), sollte nun bis an die Grenze des Tannenwaldes, wo der Weg
aufhörte für das Pferd gangbar zu sein, uns begleiten, und dort mit diesem
mich und den Jäger erwarten, wenn wir gegen Abend wieder herunterstiegen.
Der Wald konnte uns dann reichlich mit Feuerung für die kalte Nacht
versehen.

Nachdem wir einige Vorberge überstiegen, schlugen wir einen außerordentlich
steilen Weg an einer sehr hohen und weit sich ausdehnenden kahlen Bergwand
ein, den wir fast zwei Stunden in einer und derselben Richtung verfolgten, und
der nicht minder durch seine Einförmigkeit, wie durch seine Steilheit beschwerlich
fiel. In einigen kleinen Senkungen lag hier Schnee, und es war mir ein
eigenthünlliches Ergötzen, über diese lange schon nicht mehr in solcher Fülle
gesehene weiße Masse hinznschreiten, und mit ihr meinen Durst zu löschen.
Oberhalb der Bergwand kamen wir auf einen Felsenvorsprung (^/^»«^«^ nannte
man den Ort), wo Nur in der Nähe des Tannenwaldes, der in sehr malerischen
Gruppen die Abhänge bedeckte, Dimitri mit dem Pferde und dem Gepäck
zurückließen. Ans dein Vorsprung war gegen Osten eine weite Aussicht über
scharf in kahle Berge eingeschnittene Thäler, und jenseits, ans schroffem Ab¬
Hange, aus tiefen Schneefeldern hervorstarrend, ein schwarzer Tannenwald,
Wie wunderbar berührt ein solches Bild, berührt der eisige Windeshauch, der es
umweht, in diesen Gegenden des Südens ein nordisches Gemüth! Auf einer sehr
entfernten Bergwand entdeckte mein Führer eine Heerde „wilder Ziegen", wie
er sie nannte. Ich habe diese Thiere nie in der Nähe gesehen, doch nach ihrem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/277>, abgerufen am 20.10.2024.