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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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tungen zur Abendmahlzeit wurden viele Entschuldigungen gemacht, daß wegen
des heutigen Fasttages ich nicht wie sich's gehöre, bewirthet werde" könne;
doch war vortreffliche Milch im Hause, die zwar der griechischen Kirche auch
als Fastenspeise gilt, woran ich mich aber natürlich uicht zu kehren hatte.
Als man sie für mich aufs Feuer setzte, sagte die Hausfrau: "Seht, diese
Franken sind auch Christen und essen doch Milch am Fasttage!" Ob¬
gleich aber durch dieses Wort die Beobachtung der Fasten als nicht grade
wesentlich zum Christenthum gehörig erklärt war, so fiel doch Niemandem
unter meinen Wirthen ein, die Fastenpflicht im allergeringsten zu brechen, und
auch nur den Thee, welchen ich bereiten ließ, sich mit Milch zu mischen, so
sehr auch dieser, bis dahin für sie gänzlich unbekannte Stoff Beifall fand.
Das Abendbrot der guten Leute bestand aus nichts, als einer in Brodteig
ans einem eisernen Diskus (noch jetzt genannt) gebackenen großen Pastete
von olympischen wilden Kräutern, die ohne irgend eine weitere Zuthat bereitet
war. Ich fand aber, ganz gegen meine Erwartung, dieses Gericht vom aus¬
gezeichnetsten Wohlgeschmack, und wurde belehrt, daß dies von der Vortreff¬
lichkeit herrühre, deren sich die Olympischen Kräuter zu rühmen hätten. Auch
seien hier alle Thiere größer und von feinerem Geschmack, als in anderen
Gegenden, und an den Rebhühnern und Hasen, die ich später hier zu schießen
Gelegenheit hatte, glaubte ich diese Bemerkung allerdings bestätigt zu finden.
Das überaus schmackhafte Brod war aus einem Gemisch von Roggen und
Hirse bereitet. Diese Gegend ist die einzige in Griechenland oder Kleinasien
wo ich Roggenfelder gesehen; in allen anderen wird diese Getreideart, über
welche man von den Griechen auch wohl die eigenthümliche Behauptung hört,
daß deren Genuß dumm mache, vollständig verschmäht.

Ich verlebte einen höchst gemüthlichen Abend mit meinen liebenswürdigen
Gastfreunden auf der schöne" Terrasse, wo wir noch bis spät zusammen faßen
bei "homerischen Fackelschein." Als Lichthalter diente nämlich ein großes
eisernes, leuchterförmiges Gerüst, welches brennenden Kienspan aufnahm (noch
jetzt 6"<je genannt, von dem antiken und durch dessen Glanz zwischen dem
grünen Laubwerk und der eigenthümlichen Architektur, unter dem dunkeln
Sternenhimmel, sehr interessante Lichteffekte erschienen. Einen Gegenstand des
Gespräches bildeten wieder die Klagen über den Druck und die unerträglichen
Erpressungen der türkischen Willkürherrschaft, wie ich denn überhaupt nie eine
so allgemein und so bitter sich aussprechende Unzufriedenheit mit einer be¬
stehenden Regierung gefunden habe, als auf dieser Reise durch Thessalien und
Macedonien. Man behauptete auch, die tyrannische Habsucht der Türken sei
eine Hauptursache der hier so oft sich bildenden Räuberbanden: "Wenn den
Leuten Alles genommen wird", sagte man, "wovon sollen sie endlich leben als


tungen zur Abendmahlzeit wurden viele Entschuldigungen gemacht, daß wegen
des heutigen Fasttages ich nicht wie sich's gehöre, bewirthet werde» könne;
doch war vortreffliche Milch im Hause, die zwar der griechischen Kirche auch
als Fastenspeise gilt, woran ich mich aber natürlich uicht zu kehren hatte.
Als man sie für mich aufs Feuer setzte, sagte die Hausfrau: „Seht, diese
Franken sind auch Christen und essen doch Milch am Fasttage!" Ob¬
gleich aber durch dieses Wort die Beobachtung der Fasten als nicht grade
wesentlich zum Christenthum gehörig erklärt war, so fiel doch Niemandem
unter meinen Wirthen ein, die Fastenpflicht im allergeringsten zu brechen, und
auch nur den Thee, welchen ich bereiten ließ, sich mit Milch zu mischen, so
sehr auch dieser, bis dahin für sie gänzlich unbekannte Stoff Beifall fand.
Das Abendbrot der guten Leute bestand aus nichts, als einer in Brodteig
ans einem eisernen Diskus (noch jetzt genannt) gebackenen großen Pastete
von olympischen wilden Kräutern, die ohne irgend eine weitere Zuthat bereitet
war. Ich fand aber, ganz gegen meine Erwartung, dieses Gericht vom aus¬
gezeichnetsten Wohlgeschmack, und wurde belehrt, daß dies von der Vortreff¬
lichkeit herrühre, deren sich die Olympischen Kräuter zu rühmen hätten. Auch
seien hier alle Thiere größer und von feinerem Geschmack, als in anderen
Gegenden, und an den Rebhühnern und Hasen, die ich später hier zu schießen
Gelegenheit hatte, glaubte ich diese Bemerkung allerdings bestätigt zu finden.
Das überaus schmackhafte Brod war aus einem Gemisch von Roggen und
Hirse bereitet. Diese Gegend ist die einzige in Griechenland oder Kleinasien
wo ich Roggenfelder gesehen; in allen anderen wird diese Getreideart, über
welche man von den Griechen auch wohl die eigenthümliche Behauptung hört,
daß deren Genuß dumm mache, vollständig verschmäht.

Ich verlebte einen höchst gemüthlichen Abend mit meinen liebenswürdigen
Gastfreunden auf der schöne» Terrasse, wo wir noch bis spät zusammen faßen
bei „homerischen Fackelschein." Als Lichthalter diente nämlich ein großes
eisernes, leuchterförmiges Gerüst, welches brennenden Kienspan aufnahm (noch
jetzt 6«<je genannt, von dem antiken und durch dessen Glanz zwischen dem
grünen Laubwerk und der eigenthümlichen Architektur, unter dem dunkeln
Sternenhimmel, sehr interessante Lichteffekte erschienen. Einen Gegenstand des
Gespräches bildeten wieder die Klagen über den Druck und die unerträglichen
Erpressungen der türkischen Willkürherrschaft, wie ich denn überhaupt nie eine
so allgemein und so bitter sich aussprechende Unzufriedenheit mit einer be¬
stehenden Regierung gefunden habe, als auf dieser Reise durch Thessalien und
Macedonien. Man behauptete auch, die tyrannische Habsucht der Türken sei
eine Hauptursache der hier so oft sich bildenden Räuberbanden: „Wenn den
Leuten Alles genommen wird", sagte man, „wovon sollen sie endlich leben als


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[0276] tungen zur Abendmahlzeit wurden viele Entschuldigungen gemacht, daß wegen des heutigen Fasttages ich nicht wie sich's gehöre, bewirthet werde» könne; doch war vortreffliche Milch im Hause, die zwar der griechischen Kirche auch als Fastenspeise gilt, woran ich mich aber natürlich uicht zu kehren hatte. Als man sie für mich aufs Feuer setzte, sagte die Hausfrau: „Seht, diese Franken sind auch Christen und essen doch Milch am Fasttage!" Ob¬ gleich aber durch dieses Wort die Beobachtung der Fasten als nicht grade wesentlich zum Christenthum gehörig erklärt war, so fiel doch Niemandem unter meinen Wirthen ein, die Fastenpflicht im allergeringsten zu brechen, und auch nur den Thee, welchen ich bereiten ließ, sich mit Milch zu mischen, so sehr auch dieser, bis dahin für sie gänzlich unbekannte Stoff Beifall fand. Das Abendbrot der guten Leute bestand aus nichts, als einer in Brodteig ans einem eisernen Diskus (noch jetzt genannt) gebackenen großen Pastete von olympischen wilden Kräutern, die ohne irgend eine weitere Zuthat bereitet war. Ich fand aber, ganz gegen meine Erwartung, dieses Gericht vom aus¬ gezeichnetsten Wohlgeschmack, und wurde belehrt, daß dies von der Vortreff¬ lichkeit herrühre, deren sich die Olympischen Kräuter zu rühmen hätten. Auch seien hier alle Thiere größer und von feinerem Geschmack, als in anderen Gegenden, und an den Rebhühnern und Hasen, die ich später hier zu schießen Gelegenheit hatte, glaubte ich diese Bemerkung allerdings bestätigt zu finden. Das überaus schmackhafte Brod war aus einem Gemisch von Roggen und Hirse bereitet. Diese Gegend ist die einzige in Griechenland oder Kleinasien wo ich Roggenfelder gesehen; in allen anderen wird diese Getreideart, über welche man von den Griechen auch wohl die eigenthümliche Behauptung hört, daß deren Genuß dumm mache, vollständig verschmäht. Ich verlebte einen höchst gemüthlichen Abend mit meinen liebenswürdigen Gastfreunden auf der schöne» Terrasse, wo wir noch bis spät zusammen faßen bei „homerischen Fackelschein." Als Lichthalter diente nämlich ein großes eisernes, leuchterförmiges Gerüst, welches brennenden Kienspan aufnahm (noch jetzt 6«<je genannt, von dem antiken und durch dessen Glanz zwischen dem grünen Laubwerk und der eigenthümlichen Architektur, unter dem dunkeln Sternenhimmel, sehr interessante Lichteffekte erschienen. Einen Gegenstand des Gespräches bildeten wieder die Klagen über den Druck und die unerträglichen Erpressungen der türkischen Willkürherrschaft, wie ich denn überhaupt nie eine so allgemein und so bitter sich aussprechende Unzufriedenheit mit einer be¬ stehenden Regierung gefunden habe, als auf dieser Reise durch Thessalien und Macedonien. Man behauptete auch, die tyrannische Habsucht der Türken sei eine Hauptursache der hier so oft sich bildenden Räuberbanden: „Wenn den Leuten Alles genommen wird", sagte man, „wovon sollen sie endlich leben als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/276>, abgerufen am 27.09.2024.