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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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wünschte? daß aus "Vilmar's französischer Literaturgeschichte" sich der "Vours
as littür^wriz trÄM^isv" von Villemain entpuppen würde? daß die "Zeitschrift
sür Zivilistik und Praxis", die in der Phantasie eines Entleihers existirte, aus
dem "Archiv fiir zivilistische Praxis" und der "Zeitschrift sür Zivilrecht und
Prozeß" zusammengeronnen war? Derartige ergötzliche Konfusionen kommen
glücklicherweise so häufig vor, daß sie dem Bibliothekar sein saures Amt einiger¬
maßen versüßen helfen. Was für komisches Unheil hat nicht schon die Ver¬
wechslung der fünf L angerichtet: Lützow, Lücke, Lübker, Lübke und Lemcke!
Der Leser kennt die Anekdote von jenem Toaste, den jemand an einer Tafel aus¬
gebracht haben soll, bei der der bekannte Bildhauer Tieck, der Bruder des Dich¬
ters, anwesend war: "Oranien hoch!" Der Unglückselige, derben Trinkspruch aus¬
brachte, hatte, wie sich später herausstellte, den Bildhauer Tieck mit dem Dich¬
ter Tieck, den Dichter Tieck mit dem Dichter Tiedge und des letztern "Urania"
mit Oranien verwechselt. Lo non poro, bsu trop^to. Folgendes aber ist
nicht erfunden, obgleich es nicht um ein Haar wahrscheinlicher ist. Ein junger
Mann verlangt auf der Bibliothek: "Lübker's Kunstlexikon". Es wird ihm
eröffnet, daß ein Buch dieses Titels überhaupt uicht existire, wohl aber ein
"Realwörterbuch des klassischen Alterthums" vou Lübker und ein "Handbuch
der Kunstgeschichte ' von Lübke, und zunächst konstcitirt, welches von diesen
beiden Büchern der Suchende wohl gemeint habe. Da er sich für das letztere
entschließt, so wird die weitere Frage an ihn gerichtet, ob ihm nicht eine
Spezialdarstellung lieber sei, als dies Kompendium, ob er eine Geschichte der
Architektur, der Plastik oder der Malerei wünsche. Die Antwort lautet: "Keins
von allen dreien, sondern der Musik." Hierauf wird ihm denn, da hier beim
besten Willen weder Lübke noch Lübker helfen kann, die "Musikgeschichte" von
Ambros gebracht. Er blättert eine Weile darin herum und giebt sie dann
zurück mit dem Bemerken, daß er das, was er suche, auch hierin nicht finden
könne. Nun wird ihm endlich mit der direkten Frage zu Leibe gegangen,
worüber er denn eigentlich Auskunft wünsche, und da stellt sich denn heraus,
daß er eine Darstellung -- der Zahlenverhältnisse in den Saitenschwingungen
sucht! Und das sollte in "Lübker's Kunstlexikon" zu finden sein! Ein der¬
artiger Scherz ist im Stande, einen für wochenlange Plagen zu entschädigen.
Nicht minder erquickende Momente sind es, wenn der biedere sekundärer er¬
scheint, der gelesen hat, daß Livius seine Darstellung der römischen Geschichte
unter anderem ans Fabius Pictor, Cinclus Alimentus und Valerius Antias
geschöpft habe, und um in dem echt wissenschaftlichen Drange, an die Quellen
vorzudringen, sich die Geschichtswerke dieser drei aufbietet, die nur leider --
seit nahezu zwei tausend Jahren schon verschollen sind. Oder wenn der Se-
kondeleutnant, der feinen üblichen Sommeraufsatz schreiben will und sich


wünschte? daß aus „Vilmar's französischer Literaturgeschichte" sich der „Vours
as littür^wriz trÄM^isv" von Villemain entpuppen würde? daß die „Zeitschrift
sür Zivilistik und Praxis", die in der Phantasie eines Entleihers existirte, aus
dem „Archiv fiir zivilistische Praxis" und der „Zeitschrift sür Zivilrecht und
Prozeß" zusammengeronnen war? Derartige ergötzliche Konfusionen kommen
glücklicherweise so häufig vor, daß sie dem Bibliothekar sein saures Amt einiger¬
maßen versüßen helfen. Was für komisches Unheil hat nicht schon die Ver¬
wechslung der fünf L angerichtet: Lützow, Lücke, Lübker, Lübke und Lemcke!
Der Leser kennt die Anekdote von jenem Toaste, den jemand an einer Tafel aus¬
gebracht haben soll, bei der der bekannte Bildhauer Tieck, der Bruder des Dich¬
ters, anwesend war: „Oranien hoch!" Der Unglückselige, derben Trinkspruch aus¬
brachte, hatte, wie sich später herausstellte, den Bildhauer Tieck mit dem Dich¬
ter Tieck, den Dichter Tieck mit dem Dichter Tiedge und des letztern „Urania"
mit Oranien verwechselt. Lo non poro, bsu trop^to. Folgendes aber ist
nicht erfunden, obgleich es nicht um ein Haar wahrscheinlicher ist. Ein junger
Mann verlangt auf der Bibliothek: „Lübker's Kunstlexikon". Es wird ihm
eröffnet, daß ein Buch dieses Titels überhaupt uicht existire, wohl aber ein
„Realwörterbuch des klassischen Alterthums" vou Lübker und ein „Handbuch
der Kunstgeschichte ' von Lübke, und zunächst konstcitirt, welches von diesen
beiden Büchern der Suchende wohl gemeint habe. Da er sich für das letztere
entschließt, so wird die weitere Frage an ihn gerichtet, ob ihm nicht eine
Spezialdarstellung lieber sei, als dies Kompendium, ob er eine Geschichte der
Architektur, der Plastik oder der Malerei wünsche. Die Antwort lautet: „Keins
von allen dreien, sondern der Musik." Hierauf wird ihm denn, da hier beim
besten Willen weder Lübke noch Lübker helfen kann, die „Musikgeschichte" von
Ambros gebracht. Er blättert eine Weile darin herum und giebt sie dann
zurück mit dem Bemerken, daß er das, was er suche, auch hierin nicht finden
könne. Nun wird ihm endlich mit der direkten Frage zu Leibe gegangen,
worüber er denn eigentlich Auskunft wünsche, und da stellt sich denn heraus,
daß er eine Darstellung — der Zahlenverhältnisse in den Saitenschwingungen
sucht! Und das sollte in „Lübker's Kunstlexikon" zu finden sein! Ein der¬
artiger Scherz ist im Stande, einen für wochenlange Plagen zu entschädigen.
Nicht minder erquickende Momente sind es, wenn der biedere sekundärer er¬
scheint, der gelesen hat, daß Livius seine Darstellung der römischen Geschichte
unter anderem ans Fabius Pictor, Cinclus Alimentus und Valerius Antias
geschöpft habe, und um in dem echt wissenschaftlichen Drange, an die Quellen
vorzudringen, sich die Geschichtswerke dieser drei aufbietet, die nur leider —
seit nahezu zwei tausend Jahren schon verschollen sind. Oder wenn der Se-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/271>, abgerufen am 20.10.2024.